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Im Zentrum der Anklage: Ein Wecker

■ Der Prozeß gegen Ingrid Strobl beginnt / Die Bundesanwaltschaft hat sich mit dem Pragraphen 129a bewaffnet

Am kommenden Dienstag wird vor der Staatsschutzkammer des Düsseldorfer Oberlandesgerichts der Prozeß gegen die 36jährige Journalistin und engagierte Feministin Ingrid Strobl eröffnet. Nach über einjähriger Untersuchungshaft muß sie sich wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“, den „Revolutionären Zellen“, verantworten. Paragraph 129a des Strafgesetzbuches macht's möglich. Die Beweislage gegen die aus Österreich stammende Journalistin ist dürftig.

Ein Wecker der Marke Emes Sonochron hat das ganze Verfahren ins Rollen gebracht und ist auch Dreh- und Angelpunkt der Anklage. Ingrid Strobl kaufte eines dieser Exemplare im September 1986 in einem Kölner Uhrengeschäft. Kurz vor Weihnachten 1987, im Zuge von bundesweiten Fahndungsaktionen von BKA und Bundesanwaltschaft, wurde sie dann verhaftet. Denn dieser Wecker - behauptet die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklageschrift - soll im September 1986 bei einem Sprengstoffanschlag auf das Hauptverwaltungsgebäude der Lufthansa in Köln als Zündzeitverzögerer benutzt worden sein. Damals hatten sich „Revolutionäre Zellen“ (RZ) zu dem Anschlag bekannt und ihn damit begründet, daß die Lufthansa bei der Abschiebung von Flüchtlingen Hilfsdienste leiste und an der Misere von Frauen in der Dritten Welt, etwa durch Prostitutionstourismus, verdiene.

Ein zerknüllter Zettel dient als Beweis

Daß Ingrid Strobl genau diesen Wecker gekauft hat, will die Bundesanwaltschaft (BAW) mit Hilfe von Aufnahmen einer Video -Kamera beweisen. Denn die Journalistin ist gefilmt worden. Allerdings ist die Videoaufzeichnung für den Nachweis eines ganz konkreten Weckerkaufs ein untaugliches Mittel. Der Kauf eines Weckers durch Ingrid Strobl an sich ist nicht strittig. Wenn es allerdings um den Nachweis geht, daß sie einen ganz bestimmten Wecker erworben haben soll, besteht nach Angaben von Edith Lunnebach, der Rechtsanwältin der Journalistin, eine „Beweislücke“.

Die BAW behauptet, das Verkaufspersonal habe bei jedem Weckerkauf - übrigens auf Anweisungen des Bundeskriminalamts - Buch geführt, und die Nummer des von Ingrid Strobl gekauften Weckers sei identisch mit den Überresten des bei dem Sprengstoffanschlag verwendeten Exemplars.

Demgegenüber fehlt, so Edith Lunnebach, in der ordentlichen Buchführung ausgerechnet die Verpackungsnummer des von ihrer Mandantin gekauften Weckers. Statt dessen sei von der Bundesanwaltschaft „ein zerknüllter Zettel“ mit verschiedenen Handschriften und einer Nummer vorgelegt worden, und es existierten unterschiedliche Versionen des Verkaufspersonals darüber, wann von wem unter welchen Umständen die Nummer auf den Zettel geschrieben worden ist.

Doch selbst wenn es sich um den beim Anschlag verwendeten Wecker handeln sollte, bleibt die Frage ungeklärt, wie er an den Ort des Geschehens gelangt ist.

Ingrid Strobl selbst hat ausgesagt, daß sie den Wecker aus Gefälligkeit für einen alten Bekannten gekauft habe, weil dieses Modell schwer zu kaufen gewesen sei. Den Namen des Bekannten - sie nennt ihn X - verschweigt die Journalistin aus verständlichen Gründen. Sie will - so ihre Einlassungen zur Haftprüfung im September vergangenen Jahres - keinem anderen Menschen die Erfahrungen zumuten, die sie selbst seit ihrer Verhaftung gemacht hat, nämlich, „daß man sich verhalten kann, wie man will - es wird auf jeden Fall gegen einen verwendet“. Im übrigen sei sie „davon überzeugt..., daß auch X persönlich nichts mit dem Anschlag zu tun hat“.

Ermittlungsbehörden schließen kurz

Auch aus Gründen der „politischen Moral“ und ihrer eigenen Glaubwürdigkeit als engagierte und gesellschaftskritische Journalistin und Theoretikerin lehnt Ingrid Strobl es prinzipiell ab, den Namen des Bekannten preiszugeben. „Ich könnte mir selbst nicht mehr in die Augen sehen, und das wäre ein noch viel fundamentalerer Eingriff in mein Leben, in meine Persönlichkeit, als das Gefängnis.“

Nachdem Ingrid Strobl sich schriftlich in dieser Weise zur Anklage geäußert hatte, war der zuständige Richter des Düsseldorfer Oberlandesgerichts Arend nicht bereit, die Beschuldigte beim Haftprüfungstermin im September persönlich anzuhören, denn „die einzige Frage, die ich hätte stellen wollen“ - so der Richter -, wolle sie nicht beantworten: eben die Frage nach dem Bekannten. Entsprechend ist für Ingrid Strobl die Aufrechterhaltung ihrer Inhaftierung nichts anderes als „Beugehaft“. Mehr hat die Bundesanwaltschaft nicht gegen sie in der Hand. Trotz monatelanger Überwachung vor ihrer Verhaftung kann ihr das BKA keine Verbindungen zu den „Revolutionären Zellen“, deren Mitglied sie laut Anklage immerhin sein soll, nachweisen.

Jetzt versucht die BAW, ihre Anklage mit einem Umkehrschluß zu untermauern: wenn Ingrid Strobl einen Wecker gekauft habe, der bei einem Anschlag benutzt wurde, muß sie Mitglied der „RZ“ sein, denn es gehöre zu ihren Prinzipien, daß nur Mitglieder Material für Anschläge beschafften. Behauptungen, für die es wiederum keinerlei Beweise gibt.

„Anschlagsrelevante Themen“ beschrieben

Auch politische Stellungnahmen werden gegen die Journalistin herangezogen, etwa: „Die Angeschuldigte zählt sich selbst zur sogenannten ,68er‘ Generation und hat sich ab ihrem 16.Lebensjahr entsprechend in der Studentenbewegung politisch engagiert.“ Ihr wird angelastet, daß sie „häufig und sehr scharf“ über Themen wie Bevölkerungs- oder Flüchtlingspolitik geschrieben hat, Themen, die die Bundesanwaltschaft ebenso wie Gen- und Reproduktionstechnologie für „anschlagsrelevant“ erklärt hat. Sogar mit dem Buch über die Teilnahme von Frauen am bewaffneten Widerstand in der NS-Zeit, das sie in der Haftzeit abgeschlossen hat, wird gegen sie argumentiert. Bisher hat das Oberlandesgericht Düsseldorf 13 Verhandlungstage für den Prozeß anberaumt - bis Anfang April - und 31 ZeugInnen sowie einen Sachverständigen geladen.

Weitere Verdächtigte

Im Rahmen ihrer zahlreichen Razzien im Dezember 1987, in deren Zusammenhang Ingrid Strobl verhaftet wurde, wurden damals insgesamt 33 Wohnungen und Arbeitsplätze durchsucht und gegen 23 Personen Ermittlungsverfahren nach Paragraph 129a eingeleitet. In Hamburg wurde die Setzerin Ursula Penselin verhaftet, weil sie angeblich bei „konspirativen“ Treffen mit anderen Frauen Anschläge auf die Bekleidungsfirma Adler vorbereitet und damit die militante Frauenorganisation „Rote Zora“ unterstützt hat.

An Verdächtigung

„selbst schuld“

Ursula Penselin mußte acht Monate nach ihrer Verhaftung freigelassen werden. Sie hatte klargemacht, daß die angeblich „konspirativen“ Treffen Redaktionssitzungen von 'e -colibri‘ waren, einer Zeitschrift, die sich kritisch mit Gen- und Reproduktionstechnologie befaßt. Dennoch bekommt sie für die Haft - darunter drei Monate totaler Isolation keine Haftentschädigung. Begründung des Oberlandesgerichts Düsseldorf: Sie habe durch ihr „unvernünftiges“ Verhalten zum Beispiel, sich der Überwachung durch Kriminalbeamte zu entziehen - selbst zu der Verdächtigung beigetragen.

Ermittlungsverfahren gegen andere, zum Beispiel die Mitarbeiterinnen des Essener Gen-Archivs, schleppen sich dahin. Den Frauen wird Akteneinsicht verweigert, und sie haben noch immer nicht alle beschlagnahmten Materialien aus ihrem Archiv zurückbekommen.

Nach vier Personen, drei Frauen und einem Mann, wird seit über einem Jahr gefahndet. Gegen sie werden die gleichen Anschuldigungen erhoben wie gegen Ulla Penselin und Ingrid Strobl. Um an Informationen zu gelangen, sollten Bekannte aus dem persönlichen und dienstlichen Umfeld der Gesuchten unter Androhung von Erzwingungshaft dazu gebracht werden, Aussagen zu machen. Bei all dem steht zu vermuten, daß es nicht nur um Erfolgszwang und Beweisnot bei BKA und BAW geht. Im Rahmen solcher Aktionen geraten immer mehr Personen der linken Szene, vor allem aber auch aus der radikalen Frauenbewegung, ins Visier der Datensammler.

Gitti Hentschel

Der Prozeß gegen Ingrid Strobl findet zunächst im Sondergebäude des OLG Düsseldorf, Tannenstraße 26 statt: 14/15.2, 21/22.2; jeweils um 9.30 Uhr.

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