: „Die Ursachen von Gewalt bekämpfen“
■ SPD und AL ein gutes Stück weiter auf dem Weg in eine Koalition
Die Verhandlungskommission von AL und SPD über die drei von Walter Momper aufgestellten Essentials hat insgesamt sechsmal getagt und sich geeinigt. In einem Anhang werden auch Vorschläge der beiden Fraktionen für die zukünftige Zusammenarbeit gemacht, die an anderer Stelle in die Koalitionsvereinbarungen eingefügt werden. Der Geschäftsführende Ausschuß der AL hat dem Papier bereits einstimmig zugestimmt. Der SPD -Landesvorstand befaßte sich erst nach Redaktionsschluß mit dem Verhandlungsergebnis. I.
Der Status von Berlin stellt die Grundlage der Lebensfähigkeit der Stadt dar, solange er nicht in eine gesamteuropäische Friedensregelung überführt werden kann. Die Anwesenheit der Drei Mächte hat seit dem Ende des Krieges ermöglicht, daß die Stadt sich frei und demokratisch entwickeln konnte.
Der Status darf nicht zur Fessel für notwendige Entwicklungen in der Zukunft werden. Im Rahmen der Vier -Mächte-Verantwortung besteht ein beträchtlicher Spielraum für pragmatische Lösungen, der bislang nicht ausgesnutzt wurde. Die vermeintlichen politisch-geographischen Nachteile der Stadt können so zu ihrem Vorteil gewendet werden.
Die Handhabung der alliierten Rechte bedarf einer Selbstbindung durch die Drei Mächte, die die demokratische und rechtsstaatliche Entwicklung im Vergleich zu den Ländern der Bundesrepublik nicht mehr einschränkt als für die Gewähleistung der äußeren Sicherheit zwingend geboten ist. Die Kompetenzen der Alliierten für die innere Sicherheit sollten deshalb möglichst vollständig und generell, wenn auch rückholbar, auf die deutschen Behörden übertragen werden. Der Senat von Berlin wird Gespräche mit den Drei Mächten aufnehmen, um einen Abbau des Besatzungsrechtes und eine weitestgehende Übertragung von Kompetenzen an deutsche Organe zu erreichen.
Die beiden Fraktionen werden sicherstellen, daß künftig deutsche Behörden demokratisch legitimierte Entscheidungen und Verfahren nicht durch mißbräuchliche Berufung auf alliiierte Rechte umgehen. II.
Die Bindungen zum Bund und die Einheitlichung der rechtlichen Verhältnisse in Berlin (West) und dem Bundesgebiet schaffen die Grundlage der Politik in Berlin (West). Aus dem Dritten Überleitungsgesetz ergibt sich für beide Fraktionen die Notwendigkeit, das gesamte Bundesrecht, soweit es Berlin-Klauseln enthält, in dieser Legislaturperiode zu übernehmen.
Der Senat wird in Fällen, in denen Bundesgesetze der Situation von Berlin (West) nicht Rechnung tragen und gegen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger wirken, frühzeitig alle geeigneten Initiativen auf Bundesebene ergreifen, um eine Änderung dieser Gesetze zu erreichen. Ein politischer Neuanfang erfordert, alle Handungsmöglichkeiten auszunutzen und die politische Initiative zu ergreifen. Daher wird der Senat von Berlin alle Möglichkeiten ausschöpfen, die ihm durch Bundesratsinitiativen, durch politischen Einfluß auf die Bundesgesetzgebung, durch eine Politik der Dezentralisierung von Entscheidungen im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung und bei der verwaltungsmäßigen Ausführung von Bundesrecht gegeben sind. III.
Ziel der beiden Fraktionen ist das Zurückdrängen von Gewalt in allen gesellschaftlichen Bereichen. Gewalt bricht auch dort auf, wo legitime Bedürfnisse in der Gesellschaft ignoriert werden. Die beiden Fraktionen wollen die Ursachen von Gewalt bekämpfen. Sie wollen gesellschaftliche Konflikte politisch lösen und gewaltproduzierende soziale Verhältnisse und Strukturen zurückdrängen. Nach der Rechtsordnung darf nur der Staat darüber entscheiden, wer zur Ausübung unmittelbaren Zwangs befugt ist. Für beide Fraktionen ist die Anwendung unmittelbaren Zwanges streng an Recht und Gesetz gebunden. Der Einsatz staatlicher Vollzugsmittel muß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Der Staat muß einschreiten, wo Einzelne oder Gruppen rechtswidrig ihre Interessen mit wirtschaftlicher Macht oder physischer Gewalt durchsetzen wollen. Die Fraktionen sind sich darin einig daß der Einsatz staatlicher Gewalt stets nur letztes Mittel sein darf. Der Staat ist verpflichtet, Schwächere zu schützen, wenn deren Rechte gefährdet oder verletzt werden.
Alliiertes Recht
Die beiden Fraktionen sind sich darin einig, den Senat von Berlin aufzufordern, Gespräche mit den Drei Mächten aufzunehmen, - daß das geltende alliierte Recht nach einer gründlichen Rechtsbereinigung vollständig in deutscher Sprache neu veröffentlicht wird; - daß das alliierte Strafrecht für die Vorschriften beschränkt wird, die für den Besatzungzweck und den Schutz der Besatzungmächte nach heutigem Verständnis erforderlich sind und daß im übrigen eine Anpassung an moderne Rechtsentwicklungen erfolgt; - daß für den Fall der Veletzung subjektiver Rechte der Bürger durch die alliierten Militärregierungen ein gesetzlicher Richter in Berlin gewährleistet wird; - daß die Überwachung des Post-, Telefon und Telegrafenverkehrs einer rechtsstaatlichen Kontrolle unterwofen wird; zumindest muß, soweit deutsche Behörden Kommunikationskontrollen veranlassen oder Ergebnisse von Kommunikationskontrollen Dritter nutzen, sichergestellt sein, daß diese im Bereich des Verfassungssschutzes der Kontrolle einer der G-10 -Kommission des Deutschen Bundestages nachgebildeten Überwachungseinrichtung des Abgeordnetenhauses von Berlin oder im Bereich der Strafverfolgung einer richterlichen Kontrolle unterliegen; - daß einer der tragenden Grundsätze des Rechtsstaates, die Verhältnismäßigkeit der Mittel, auch für Maßnahmen der alliierten Militärregierungen gilt; - daß die Alliierten sich bei der Wahrnehmung ihrer Rechte in bezug auf ihre Truppen entsprechend den Regeln verhalten, die die Drei Mächte mit der Bundesrepublik Deutschland für ihr Verhalten im Bundesgebiet vereinbart haben, einschließlich der Achtung des deutschen Rechts.
Die beiden Fraktionen werden auch von dem Initiativrecht auf Änderung alliierter Vorschriften gemäß der Drei-Mächte -Erklärung über Berlin von 1955 Gebrauch machen.
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