: Mafia sagt ja zum Binnenmarkt
■ Wie Siziliens „Cosa nostra“ 1992 nutzen will / Vor dem Totalzusammenbruch aller Antikörper gegen die organisierte Kriminalität
Teil 5: Werner Raith
Don Vitale gehört dem ersten Anschein nach weder zu den Begüterten noch zu den ganz Armen in Palermo. Daß er irgendeine größere Nummer sein könnte, läßt weder sein kleiner Radio-Elektro-Haushaltsgeräteladen nahe dem Hafen erkennen noch sein leicht abgeschabtes Äußeres. Wenn er fragt - er tut es selten, weil sein Neffe ihm seine Worte offenbar von den Augen abliest -, hört man kaum Interesse heraus, allerdings auch keine Gleichgültigkeit. Müde wirkt er meist, und keinesfalls strahlt er Macht aus.
Dennoch: Als er mich vor einiger Zeit mit einer vom Bürgermeister Orlando verordneten Polizeieskorte bei Fernsehaufnahmen sah (sie sollte uns lästige Ordnungshüter fernhalten, die hier ständig nach der Dreherlaubnis fragen), ließ er mir durch seinen Neffen sagen: „Wenn Sie hier Wichtiges drehen wollen, sollten Sie nicht den Orlando bitten. Sagen Sie, Sie kommen von Don Vitale, und Sie können überall drehen, es steht Ihnen jedes Haus offen.“
Don Vitale kann, wie er selbst müde sagt, nur schwer lesen und schreiben schon gar nicht. „In meiner Jugend war das noch nicht so wichtig„; er mag so an die 65 Jahre alt sein. Umso überraschender dann seine Fragen, auch wenn sie eher nebenbei gestellt scheinen: Wie das denn sei in der Bundesrepublik, wenn man in eine Aktiengesellschaft eintreten wolle? Ob man die Wertpapiere anonym kaufen könne oder ob die Namen wissen wollen? Wieviele Aktien es am freien Markt gebe, und ab welcher Summe von Investitionen man auffalle? Und wenn eine GmbH als Käufer auftrete, ob die bei Aktienkäufen alle ihre Gesellschafter offenbaren müsse?
Der Neffe hat plötzlich einen zerknitterten Zettel in der Hand mit allerlei Namen drauf. Wie potent denn die Firma Philipp Holzmann aus Frankfurt sei? Man habe gehört, daß die in Corleone einen Riesenstaudamm baue. (Tatsächlich hat der 500 Millionen-DM-Auftrag just aus einem der berüchtigsten Mafianester der Welt an eine deutsche Firma beträchtliches Aufsehen erregt.) Oder Hochtief in München? Thosti? Und wie rentabel sind Versicherungen? Schließlich: Ob es viele Privatbanken gebe und ob man die so einfach aufmachen oder kaufen könne? „Nicht daß ich Geld hätte“, sagt Don Vitale, „aber ich bin ein alter Mann und habe einfach Zeit, neugierig zu sein. Man möchte viel mehr wissen als man weiß.“
Auf dem Weg dazu ist er. Als ich ihn drei Tage später wieder aufsuche, weil mein bei ihm gekaufter Recorder eine Macke hat, würdigt er mich keines Blickes. Auch der Neffe ist sehr formell: „Desidera?“ - Was wünschen Sie? Ich druckse herum, bin mir klar, daß man da nichts forcieren darf, komme dann aber doch zum Thema Investitionen. Es interessiere ihn nicht mehr, läßt Don Vitale wissen. Und der Neffe sagt beim Hinausgehen, man könne vielleicht später wieder mal miteinander reden. Der Grund? Man habe mich mit „cattiva gente“ gesehen, mit bösen Leuten. Da ich keine Ahnung habe, wen er meint, frage ich penetrant nach. „Quei poliziotti“, sagt er, „die von der Via Roma.“
Tatsächlich: Dort war ich zufällig zwei bundesdeutschen Kriminalern über den Weg gelaufen, die ich früher mal in Rom kennengelernt hatte. Deren Visite in Palermo, wohl der organisierten Kriminalität gewidmet, sollte aber eigentlich niemandem bekannt sein.
Don Vitale ist keineswegs der einzige, der sich in Palermo für vieles interessiert, was im europäischen Ausland geschieht und möglich ist. Immer häufiger sehen sich speziell des Italienischen kundige Besucher aus der Bundesrepublik, aus England, Frankreich, Belgien von scheinbar zufälligen Tischnachbarn in Restaurants in angeregte Gespräche über die Wirtschaftssituation und, danach, über rentable Anlagemöglichkeiten in ihren Ländern verwickelt. Und oft bemerken sie erstaunt, wie die neuen Bekannten über vieles auf dem Laufenden sind - meist auch darüber, wo die Fremden wohnen, welche Ausflüge sie unternehmen, wo sie gestern waren. Oft vereinbart man auch, miteinander in Kontakt zu bleiben. Allerdings erweisen sich die von den Palermitanern angegebenen Adressen oft als unzutreffend - die freundlichen Herren sind ihrerseits zwar recht wißbegierig, rücken aber nicht gerne etwas über sich selbst heraus. Meine Begegnung mit den deutschen Polizisten hat bei Don Vitale wohl den Argwohn heraufbeschworen, ich wolle ihn ausforschen.
Vom Hoteldieb zum Millionär
Don Vitale gehört zur mittleren Ebene der Mafia-Clans in der Kalsa, dem alten Hafenquartier Palermos. Gruppen, wie die seine, nährten sich bis vor zwanzig Jahren noch von den eher „redlichen“, zumindest aber traditionellen Mafia-Geschäften: Schutzgelderpressung, Tabakschmuggel, Kontrolle von Straßenräubern und Hoteldieben. Nun aber, durch den Einstieg ins Drogengeschäft seit einem Jahrzehnt, sind auch sie so reich geworden, daß sie, wie die Großclans von Ciaculli oder von Corleone, -zig Millionen von Dollars auf der hohen Kante haben, so viel, daß sie sie in Palermo schon gar nicht, in Sizilien schlecht und in ganz Italien nur mit Mühe unauffällig genug unterbringen können, um nicht ins Netz der Mafia-Fahnder zu geraten. Zwar werden in den nächsten Monaten und Jahren mehr als umgerechnet zehn Milliarden Mark alleine aus EG-Kassen zur Sanierung Palermos auf die Insel fließen, zusätzlich zu den circa 20 Milliarden Mark, die Italien zur Inselentwicklung bereitstellt. Doch antimafiose Administratoren wie der palermitanische Bürgermeister Leoluca Orlando tragen Sorge dafür, daß von den Aufträgen sämtliche Firmen ausgeschlossen sind, die irgendwie einmal in mafiose Machenschaften verwickelt waren oder die auch nur einen „anrüchigen“ Teilhaber aufweisen.
Die „Cosa nostra“, wie sich das in den siebziger Jahren entstandene (zeitweise wieder zerbrochene, nun wieder funktionierende) Mafia-Syndikat der zehn größten Gruppen auf der Insel nennt, muß derzeit mehr denn je nach anderen Anlagemöglichkeiten suchen - und sie sucht sie vor allem im Ausland. Zwar sind noch keineswegs alle Sondierungen dafür abgeschlossen, doch wie es scheint, gerät die Bundesrepublik dabei immer mehr zum Hauptinteressensgebiet der Mafia. Ein auf den ersten Blick erstaunlicher Gegensatz zu den nur mageren Erkenntnissen über mafiose Infiltrationen, wie sie unsere Behörden dingfest gemacht haben oder zugeben. Weit über die Erpressung von Schutzgeldern, Ausbeutung von Prostitution und Rauschgifthandel scheint Mafioses in der BRD noch nicht zu bestehen. Diese eher dünne Beweislage spricht nicht unbedingt gegen die Polizei, bei der man immerhin sensibler als in der Politik die Gefahr eines Eindringens organisierter Banden registriert, sondern eher dafür, daß die „Cosa nostra“ Wege sucht - und vielleicht schon kräftig beschreitet -, sich ohne viel Aufsehen hereinzustehlen.
„Gerade daß sich die Bundesrepublik mit ihren Ordnungsvorstellungen für quasi immun gegen die Mafia hält“, sagt der Mafia-Experte Ciccio La Licata, „macht die BRD so attraktiv für die Mafia: Es war immer ihre Stärke, dort einzudringen, wo man glaubte, sie könne gar nicht eindringen.“ Als es erste Anzeichen gab, die Mafia wolle sich in den Mailänder Aktienmarkt einschalten, brüllten die Börsenaufseher vor Lachen: Das sei ganz und gar unmöglich, die könnten höchstens in ganz kleinem Rahmen spekulieren, sonst würden sie sofort auffallen und dingfest gemacht. Seit etwa zwei Monaten weiß man, daß mafiose Firmen längst fest im Aktiennetz verankert sind: „Die haben“, sagt Luciano Violante von der Antimafia-Kommission des Parlaments, „zuerst in Palermo Firmen gegründet, die nicht ihren Namen trugen, sondern einen ganz anderen: den ihres Schwagers, ihres Naffen oder einer Tante. Diese Firmen sind dann als Teilhaber in andere oberitalienische Gesellschaften eingetreten - und die wiederum sind mit ihrem nun beträchtlichem Kapital an die Börse gegangen. Die Spur bis zum palermitanischen Boss zurückzuverfolgen, ist damit faktisch unmöglich.“ Ein Rezept, das die Clans jetzt offenbar auch zum Aufbau gesamteuropäischer Netze zu wiederholen gedenken: Über scheinbar „lupenreine“ Unternemen, die der Börsenkontrolle unterstehen, suchen sie ausländische Firmen zu unterwandern.
Dazu kommt speziell hinsichtlich der Bundesrepublik freilich noch ein weiterer Aspekt, der so abstrus erscheint, daß selbst gestandene Mafiosi lange Zeit nicht an ihn glauben mochten: Die BRD ist heute faktisch der einzige Staat Europas, in dem Geldwäsche - also das Umtauschen illegal erzielter Gewinne in „unverdächtige“ Anlagen oder Gelder - nicht unter Strafe steht.
Selbst die in Finanzfragen so zugeknöpfte Schweiz hat inzwischen scharfe Vorschriften, die beispielsweise zur Festellung sämtlicher Beteiligter und zur zentralen Anzeige aller größeren Transaktionen im Finanzsektor verpflichten. Der Rücktritt der eidgenössischen Justizministerin Ende vorigen Jahres im Gefolge unsauberer Geschäfte ihres Mannes war ein wichtiges Signal. Noch vor zwei Jahren hätte man den Machenschaften des Herrn Gemahl überhaupt nicht auf die Spur kommen können. Spektakulärster Fall für die Italiener: die Aufdeckung eines Transfers von jahrzehntelang monatlich gut einer Million Mark des einstigen palermitanischen Bürgermeisters Vito Ciancimino auf Schweizer Konten, die auf die Namen seiner Frau, seiner Schwester und seiner Neffen lauteten - ausnahmslos illegale Gelder von Bestechung, Erpressung und Drogenhandel, wie sich nun erwies. Bundesdeutsche Gesetze hätten einen solchen Ermittlungserfolg nicht gestattet.
Derzeit sind Mafia-Clans gerade mit einer umfangreichen Neuordnung ihrer Interessen beschäftigt - und da könnte die BRD noch weitere Attraktion für sie gewinnen, gibt es doch hier viel von dem, was ihnen gut, teuer und zukunftsträchtig erscheint. Eine Reihe spektakulärer Razzien und Festnahmen in den letzten drei Monaten hat die Vielfalt der Untergrundgeschäfte aufgezeigt, in denen die „Ehrenwerten“ derzeit aktiv sind. So handeln sie in ganz Europa mit Falschgeld en gros (Drukkereien in Italien und den Vereinigten Staaten, Sorten: Dollars, Franken, Lire, DM), klauen im Auftrag südamerikanischer Barone in europäischen Galerien millionenteure Gemälde, bieten für Leute mit Schwarzgeld „Wäsche“ über Geisterbanken in den USA (die keinen Dollar Kapital besitzen, aber den „Kunden“ jedes gewünschte Geschäft bestätigen und damit gegenüber Behörden große Geldmengen „legalisieren“), steigen in den Chemiehandel zwischen Europa und den arabischen und asiatischen Staaten ein und kaufen Waffen, soviel sie erwischen können - und durchaus vom Feinsten, wie letztens eine Partie Mirage-Jagdbomber direkt aus Frankreich für Guinea-Bissau zeigte; Cobra-Helikopter und LeopardI-Panzer aus Nato-Beständen gehören schon seit Jahren zum Standardangebot.
„Deutschland“, sagt Mafiologe Ciccio La Licata, „wird derzeit das Wunschland der Gangs schlechthin: Nachdem man immer den Eindruck hatte, die Behörden und Politiker seien da besonders auf Draht, zeigt sich nun im Libyenskandal und bei den Plutonium-Schiebereien, welch herrliche Möglichkeiten sich für Banden mit internationalen Verbindungen ergeben könnten.“
Ziel der Clans ist, so haben palermitanische Fahnder nach Aussagen geständiger Clan-Bosse der mittleren Ebene herausgefunden, der Aufbau eines europaweiten Netzes von Akquisitions- und Zulieferzentralen teuer gehandelten illegalen Ausfuhrgutes einerseits (etwa in der BRD, Frankreich, England und die Einrichtung schnell und problemlos funktionierender Ausfuhrbrückenköpfe in Ländern mit wenig effizienten Behörden andererseits (etwa Italien und Spanien), um mit den international besonders gut absetzbaren Waren „Made in Europe“ Dritt- und Zweitweltländer - und in nicht zu ferner Zukunft wohl auch den Ostblock - zu beliefern.
1993 geht's erst richtig los
Der freie Warenverkehr ab 1993 wird in Europa die bisher lästige Trennung in Länder mit guten Kauf-, aber schlechten Schmuggelmöglichkeiten und solchen mit leichter Ausfuhr, aber schlechter Warenqualität endlich aufheben. Dazu kommt, was Mafia-Exerten wie der Soziologe Nando dalla Chiesa als „den rapiden Zusammenbruch der Antikörper gegen die Organisierte Kriminalität“ nennen: In Italien bekämpfen sich die Ermittler in Palermo längst mehr untereinander, als daß sie sich gegen die Mafia verwenden; Großverfahren wie den „Maxiprozeß“ gegen mehr als 450 Angeklagte wird es nicht mehr geben.
In den USA hat der erfolgreichste Antimafia-Staatsanwalt Rudolph Giuliani nicht der Versuchung widerstehen können und seinen Job zugunsten einer Bürgermeister-Kandidatur aufgeben; in der Schweiz hat der Entdecker der „Pizza Connection“, Paolo Bernasconi, vom Staatsanwalts- zum Anwaltsberuf gewechselt. In der Bundesrepublik weigern sich die Politiker stur, das Eindringen mafioser Gruppen, aber auch den internen, „genuin deutschen“ Aufbau mafia-ähnlicher Filzereien zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn den Fahndern Mittel und Normen zum Kampf dagegen zur Verfügung zu stellen. Weitblickend, wie sie sind, haben die Clans mittlerweile auch begonnen, die flankierenden politischen Sicherungen ihrer künftig angepeilten Geschäfte aufzubauen. Hatten sie sich bisher in Italien vor allem an die großen Regierungsparteien - Christdemokraten und neuerdings vor allem Sozialisten - gehalten, so knüpfen sie derzeit immer deutlicher Kontakte zu rechtsextremistischen Gruppen; bei einigen neofaschistischen Attentaten - etwa auf den Schnellzug Mailand - Neapel: 15 Tote - boten sie den Bombenlegern regelrecht logistische und technische Hilfe. Das wollte heimischen Fahndern zuerst gar nicht in den Kopf, müßten die „Ehrenwerten“ den Faschisten eigentlich doch immer noch gram sein, weil Mussolini einst einen, allerdings vergeblichen, Ausrottungsfeldzug gegen die Bosse geführt hat. Doch die Allianz mit den ganz Rechten macht Sinn: Sie nämlich erschließen den Clans Verbindungen in die Führungszirkel nationalistischer Militärdiktaturen in Afrika und Südamerika und mancher Israel feindlicher Staaten im Orient, und die Machthaber dort sind genau auf das scharf, was mafiose Clans anzubieten haben: von Kanälen für Rauschgifthandel über Geldwäsche bis - und das vor allem Waffenlieferungen en gros.
Don Vitale hat davon auch schon Wind bekommen. Der Schönhuber-Ruck in Berlin hat ihn jedenfalls so beeindruckt, daß er seinen Ärger über meine Polizeibekanntschaften zurückgestellt und mir über seinen Neffen hat mitteilen lassen, er wolle Genaueres über die neuen Rechtsausleger in der Bundesrepublik wissen.
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