: „Warum sitzt ihr nicht auf den Bäumen?“
Das hessische Wirtschaftsministerium ordnete kurz vor den Kommunalwahlen Sofortvollzug für den Baubeginn eines umstrittenen Autobahnteilstücks in Frankfurt an / Der aktive Protest der Autobahn-GegnerInnen brachte einen Teilerfolg ■ Aus Frankfurt Marion Scherpf
Durchgefroren, mit müden, enttäuschten Gesichtern, hocken acht Leute zusammengepfercht in einer winzigen Gartenhütte. Die Tür geht auf, eine etwa 40jährige Frau schaut vorwurfsvoll in die Runde. „Was macht ihr hier“, fragt sie, „wir brauchen euch draußen. Warum sitzt ihr nicht auf den Bäumen? Die fällen einen nach dem anderen.“ Die Angesprochenen nicken. Das Brummen der Motorsägen haben sie schon stundenlang im Ohr.
Seit elf Jahren kämpfen vier Frankfurter Bürgerinitiativen gegen den Bau der sogenannten Ostumgehung. Das anfangs zehnspurig geplante, dann nach massiven Protesten auf zunächst vier Spuren abgespeckte Autobahnteilstück von 2,5 Kilometern Länge soll mitten durch das letzte zusammenhängende Grüngebiet im Frankfurter Nordosten führen. Obstwiesen, Spazierwege und 750 Kleingärten sollen zubetoniert werden. Jahrelang hatten die AutobahngegnerInnen den Baubeginn durch Klagen vor dem Kasseler Verwaltungsgerichtshof verhindert. Die Bauplaner besserten nach: weitere Lärmschutzwände wurden beschlossen.
Vier Wochen vor der Kommunalwahl wollte Hessens Wirtschaftsminister Alfred Schmidt (FDP) dann offenbar sichergehen, daß das umstrittene Straßenbauprojekt auch bei einem Machtwechsel in Frankfurt durchgeführt wird. Er ordnete den „Sofortvollzug“ des Baubeginns an, obwohl das Kasseler Gericht erst vier von insgesamt etwa zwanzig Klagen behandelt hatte. Begründung: Das „besondere öffentliche Interesse“ und die „Schaffung einer leistungsfähigen Verteilerschiene, um den unerträglich gewordenen Durchgangsverkehr in den Wohngebieten (...) zu verringern.“
Andersrum wird ein Schuh draus, halten die AutobahngegnerInnen dagegen: Mehr Straßen produzieren mehr Autoverkehr. Frankfurt hat schon jetzt die meisten Autopendler aller bundesdeutschen Großstädte.
Montag, 13.Februar, neun Uhr: Ein Trupp von Waldarbeitern, flankiert von einem starken Polizeiaufgebot, beginnt mit den Rodungen am Bornheimer Hang. Hier soll eine 40 Meter breite Autobahnbrücke gebaut werden, zur „Überdachung des Landschaftsraumes“, wie es in der Hochglanzbroschüre des hessischen Wirtschaftsministeriums heißt. Mit solch originellen Wortschöpfungen will Schmidt laut Vorwort „Akzeptanz für die städtebauliche Einbindung“ bei der Bevölkerung gewinnen. Bei manchen scheint ihm das tatsächlich gelungen zu sein. Eine alte Frau, die mit ihrem Dackel vorbeikommt, blafft einen Autobahngegner an: „Gehen Sie doch von dem Baum weg, lassen Sie die Leute arbeiten. Wir brauchen die Straßen! Haben Sie ein Auto?“ Der Mann verneint. „Na also“, triumphiert die Alte, „dann können Sie das doch alles gar nicht beurteilen.“
Viele AutobahngegnerInnen hoffen, daß sie bis zu den Kommunalwahlen am 12.März „das Schlimmste verhindern können“. Denn, so Ellen Häfner, Sprecherin der „Aktion Moloch Autobahn“, „die Stadt hat unseren Informationen zufolge noch keine Bauaufträge vergeben“.
Die SPD, Anfang der achtziger Jahre selbst Verfechterin des Straßenbauprojekts, schreibt jetzt in ihrem Wahlprogramm, sie lehne die „Stadtautobahnen im Frankfurter Osten ab, da diese nur zusätzlichen Individualverkehr in die Stadt bringen und wichtige Grünflächen zerstören.“ Zwar drückt sich Spitzenkandidat Volker Hauff nicht immer eindeutig aus, aber Ellen Häfner meint: „Wenn eine entsprechend starke grüne Fraktion Druck macht, können selbst bereits vergebene Bauaufträge wieder zurückgenommen werden.“ Daß vier Wochen vor der Wahl mit dem Sofortvollzug Sachzwänge geschaffen werden sollen, das hält Ellen Häfner für eine Schande. Der Minister selbst kann an seinem Tun nichts Schändliches finden. Der Zeitpunkt seiner Entscheidung habe „nichts mit der Wahl zu tun“. Merkwürdig - wieso vermerkt dann das Sitzungsprotokoll des hessischen Straßenbauamtes am 19. Dezember: „Nach Auffassung des Ministeriums würde an Aktivitäten rein äußerlich eine Baufeldräumung ausreichen, aber aus politischen Gründen (Ausgang der Kommunalwahl im März '89 ungewiß) sollte bis zur Wahl eine große Auftragsvergabe mit hoher Bindung erfolgt sein.“
Mit fantasievollen Protestaktionen versuchen die AutobahngegnerInnen seit Montag, die „Baufeldräumung“ aufzuhalten. Sie besetzen Bäume, bis ihnen im ursprünglichen Sinne des Wortes der Ast abgesägt wird, sie spicken die Baumstämme mit Nägeln, und immer wieder verwickeln sie Waldarbeiter und Polizisten in Gespräche über die Unsinnigkeit ihres Tuns. Nachdem 400 Bäume gefällt und bei Brandrodungen drei Gartenhäuschen in Flammen aufgegangen waren, konnten die Bürgerinitiativen am Donnerstag einen ersten Teilerfolg verbuchen: Die Rodungsarbeiten ruhen.
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