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■ Gerade noch auf der Berlinale, jetzt schon in Bremer Kinos: Oliver Stones Film „Talk Radio“ ist eine One-Man-Show mit Eric Bogosian, eine Radio-Show mit nichts als Radio
Um Dallas herum müssen es an die dreißig Sender sein, die mit ihren radio shows um die Gunst der Hörer buhlen, hohe Einschaltquoten bedeuten hohe Gewinne. Konkurrenz beherrscht den Markt in einem Maße, der DJs und Talkmaster zu Heroen stilisiert. Nur mit ihrer Stimme vollziehen sie Abend für Abend einen Balanceakt zwischen Publikumsgunst und gutem Geschmack, jederzeit auf der Suche nach neuen Ideen und Sensationen für ein Paar Hörer mehr.
So ein shock jock ist Barry Champlain (Eric Bogosian). Ausgestattet mit einem rotzfrechen Mundwerk poltert er allabendlich durch den Äther mit Nighttalk, seiner Radio -Talkshow. Eine gut halbbstündige Eingangssequenz führt in Oliver Stones neuester Produktion Talk Radio mitten ins Herz der nächtlichen Show. In einem Parforce Ritt durch sein Repertoire der Schimpfwörter und Beleidigungen, der Lebensphilosophien und Belehrungen nimmt Barry seine Anrufer im Handstreich. Das enge Studio mit seinen Glaswänden ist für ihn das Zentrum seiner Macht. Er hat erkannt, daß nur noch Grenzüberschreitungen im Land der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten zum Erfolg führen. Erfolg heißt: Mehr Hörer, mehr Werbeeinnahmen, mehr Honorar.
Talk Radio ist ein Film der Gegensätze, präsentiert in einer
One-Man-Show. Champlain springt mit seinen Anruferinnen nach Belieben um, aggressiv, verletzend und kompromißlos. Er zieht die Fäden in einem brutalen Spiel der Kräfte, bei dem er offensichtlich immer die besseren Karten hat. Ein Knpofdruck genügt und schon ist ein Gesprächspartner abgewürgt und das nächste Opfer am Telephon, ganz wie es ihm gefällt. Er spürt nichts von den Bedürfnissen der Menschen, mit denen er redet, er benutzt ihre Stichworte.
Drogenfreaks, neurotische Frauen, Schwarze, Hausfrauen und Rechtsradikale gehören zum Stammpublikum seiner Sendung. Sie sind Vehikel für den Talkmaster, auch die letzten Barrieren des Zumutbaren niederzureißen. Doch Barrys Vostellung von Unterhaltung birgt Gefahren. Je erbarmungsloser er der amerikanischen Gesellschaft auf den Zahn fühlt, desto mehr regt sich die Stimme von Law und Order. Morddrohungen, Päckchen mit toten Ratten, Hakenkreuzfahnen und Beschimpfungen sind Ausdruck der reaktionären Stimmung im Lande, die es ernst meint, auch wenn Barry alle Befürchtungen wegwischt.
Es ist müßig, wiederzugeben, wie der jüdische Moderator liberales Gedankengut mit dem Vorschlaghammer unter das Volk prügelt, die deutsche Fassung kann nur ein Abklatsch des Origi
nals bieten. Bogosians Radiostimme, die so oft gelobt wurde, bleibt uns vorenthalten, die bedrückende Stimmung des Nachtspektakels vermittelt sich mehr über das Bild als über die Sprache. Das Rotlicht in Großaufnahme, das sich mit dem Speichel zerstäubenden Mund Barrys ablöst, erzielt in der synchronisierten Version eine andere Wirkung. Die rotierende Kamera, die das Studiopult einkreist und den Kontrapunkt zum Leben draußen setzt, verarmt dadurch zum bloßen visuellen Eindruck. Eric Bogosian, die Entdeckung dieses Films, der auch am Drehbuch mitwirkte, spielte die Geschichte lange am Public Theater in New York. Seine Pöbeleien sind nur im Kontext der amerikanischen Mediensituation und der gesellschaftlichen Situation generell zu sehen, sagte er selbst, doch hier scheitert Talk Radio am europäischen Markt. Dies ist ein Kinostück für Amerika, in englischer Sprache über den amerikanischen common sense. Die Einsamkeit des Individuums, seine Unfähigkeit zur Öffnung nach außen, die eigentlichen Stützen der Handlung verschwimmen im Wortwust der Stimmen. Nicht einaml der Tod Barrys im Kugelhagel eines Fanatikers vermag dies aufzuweichen. Zu wenig für einen wirklich mitreißenden Film.
J.F.Sebastian
Gondel 18 und 20.30 Uhr
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