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ROT-Grün: 28.000 Wohnungen und ein „Umweltkonzern“

■ In den SPD/AL-Koalitionsverhandlungen wurde in Sachen Bauen und Wohnen sowie Umwelt und Verkehr weitgehende Einigung erzielt / Noch mancher „Klärungsbedarf“ in den Details des proklamierten sozialen und ökologischen Stadtumbaus

Abseits des Getöses um die AL-interne Essential-Diskussion haben die Verhandlungsdelegationen von SPD und AL in den eingerichteten zwölf Untergruppen mittlerweile bei vielen Sachfragen Kompromisse formuliert. Beide Seiten loben die „konstruktive Atmosphäre“ der Gespräche.

Im folgenden zunächst die wichtigsten vorläufigen Zwischenergebnisse der Kommission „Bauen, Wohnen und Mieten“: Mietenpolitik: Über eine bundesweite Mietrechtsreform soll in Berlin eine neue Form der Mietpreisbindung eingeführt werden, die auch für bereits aus der Bindung herausgefallene Sozialbauwohnungen gilt. Mieten, die unterhalb der Höchstwerte einer Mietwerttabelle liegen, dürfen danach um höchstens fünf Prozent jährlich erhöht werden. Diese Begrenzung gilt auch für Neuvermietungen, es sei denn, der Vermieter weist per Ertragsberechnung eine Unwirtschaftlichkeit des Wohnungsbestandes nach. Modernisierungsbedingte Kosten dürfen zur Zurückdrängung privater Modernisierungstätigkeit mit höchstens sieben (bisher waren es elf) Prozent auf die Miete umgelegt werden. Flankierende Schritte sind das Verbot der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, die Einschränkung der Duldungspflicht des Mieters bei Modernisierungen, das Verbot von Abstandszahlungen und unter anderem ein befristeter Mietenstopp bei städtischen Wohnungsbaugesellschaften und landeseigenen Altbauwohnungen.

Weiter einigten sich Parteien auf den Bau von 7.000 neuen Wohnungen pro Jahr, darunter 6.000 bis 6.500 Sozialwohnungen. Die SPD hatte ursprünglich insgesamt 7.500 Wohnungen im Visier, während die AL schon bei einer geringeren Zahl eine Zubetonierung der Stadt befürchtete. Deshalb wurde vereinbart, daß der Neubau am Innenstadtrand und in den Außenbezirken stärker gefördert werden müsse. „Dabei sind Umweltverträglichkeiten, Grünflächenerhalt oder

-ausgleich, bedarfsgerechte Infrastruktur und Stadtteilverträglichkeit der Verdichtung zu gewährleisten“, heißt es in einer das Bauen in der Innenstadt eigentlich ausschließenden Kompromißformel.

Zur Bekämpfung der Wohnungsnot sollen freilich zusätzlich alle Reserven im Bestand aktiviert werden. Die Stichworte dazu: Ein grundsätzlicher Abrißstopp, Reduzierung von Leerstand und Zweckentfremdung. In der vierjährigen Regierungszeit sind hiermit bis zu 2.500 Wohnungen aktivierbar, so die Hoffnung der rot-grünen Wohnungspolitiker. Beschlossen ist die sukzessive Umstellung der Wohnungsbauförderung auf Baudarlehen. In Berlin bisher nicht dagewesene strenge Instandhaltungsgebote sollen über die regelmäßige Kontrolle des Zustandes von Mietwohnungen, genannt „Wohnungs- und Gebäude-TÜV“, durchgesetzt werden.

Beim Stichwort Stadterneuerung verständigten sich SPD und AL auf eine deutliche Verbesserung der Bewohnermitbestimmung. In den Schwerpunktgebieten der Erneuerung werden nach der Absichtserklärung örtliche Verwaltungsgenossenschaften aufgebaut; überhaupt soll durch die Einrichtung von örtlichen Bürgerausschüssen und Projektbüros dezentral von den betroffenen Bewohnern in Sachen Altbausanierung entschieden werden.

„Klärungsbedarf“ für einige noch offene Detailfragen signalisierten die rot-grünen Verhandlungspartner in der Arbeitsgruppe „Umwelt und Verkehr“. Allerdings dokumentieren die vorliegenden Diskussionsprotokolle auch hier ein hohes Maß an Übereinstimmung. Ein sofort „abgehakter“ Punkt: Der im letzten durchgepeitsche Flächennutzungsplan wird revidiert. Alle Landwirtschafts- und Kleingartenflächen, die der abgewählte Senat in zehn bzw. 15 Jahren als gewerbliches Bauland nutzen wollte, sollen als Grünflächen ausgewiesen werden. Darüber hinaus sollen Bauern und Kleingärtner zunächst weiter auf industriellen Reserveflächen bleiben dürfen, die in einer ersten Dringlichkeitsstufe zur Umnutzung vorgesehen sind. Das Landschaftsprogramm wird dem FNP rechtlich gleichgestellt.

Eine geänderte Smog-Verordnung soll auch den überwiegend durch Ozon hervorgerufenen sogenannten Sommer-Smog berücksichtigen. Schon ab der Warnstufe eins soll es ein Fahrverbot für alle Kraftfahrzeuge geben, die die US-Norm zur Schadstoffminderung nicht erfüllen. Ein neuer Forschungsreaktor des Hahn-Meitner-Instituts wird nicht gebaut. Der im Moment stillgelegte Reaktor soll erst dann wieder in Betrieb genommen werden, wenn durch eine Sicherheitsanalyse unabhängiger Gutachter eine Gesundheitsgefährdung für Anwohner und Mitarbeiter des Instituts ausgeschlossen werden kann.

Dem hessischen Modell folgend, gibt es in Berlin ein Energiespargesetz, ein umfassendes Wärmedämmungsprogramm, die Förderung dezentraler Blockheizkraftwerke und eine Politik zur schrittweisen Verdrängung von Strom aus dem Wärmemarkt. Verabredet ist „die Umwandlung der Bewag in einen Umweltkonzern unter der Aufsicht des Umweltsenats„; dem Energieunternehmen werden keine zusätzlichen Kraftwerkskapazitäten zur reinen Stromerzeugung mehr genehmigt. Noch nicht förmlich beschlossen ist die Rücknahme des Stromlieferungsvertrages zwischen Preussen Electra, Bewag und der DDR-Außenhandelsgesellschaft Intrac; Al -Informationen, nach denen Bonner SPD-Deutschlandpolitiker dagegen Bedenken geäußert hätten, sind laut Beteuerung des energiepolitischen Sprechers der SPD, Behrendt, jedoch unzutreffend.

Auf dem Sektor Verkehrspolitik mußte die AL in den Verhandlungen ihre Utopie der „autofreien Stadt“ beerdigen. Dennoch können Bürgerinitiativen jubilieren: Die Nord-Süd -Straße wird ebensowenig gebaut wie die Verlängerung der Bundesautobahn nach Neukölln und die B101 als übergeordnete Hauptverkehrsstraße in Steglitz zwischen Munsterdamm und Malteserstraße. Der S-Bahn-Südring soll bis 1992, der Nordring bis 1994 in Betrieb gehen. Noch nicht abschließend geklärt sind Zeitpunkte und Umfang des weiteren Ausbaus von S- und U-Bahn. Das AL-Verlangen nach einer Reaktivierung der S-Bahn-Strecke nach Lichterfelde-Süd und Staaken parallel zur Ringeröffnung will die SPD erst noch prüfen. 200 Millionen Mark könnten dafür durch eine modifizierte Form der Verlängerung der U-Bahn-Linie9 eingespart werden, sagen die AL-Unterhändler. Sie schlugen vor, nur noch zwei unterirdische Bahnhöfe an der Albrechtstraße und am Munsterdamm zu bauen und die neue Linie dann neben die Lichterfelder S-Bahn-Gleise bis zum Bahnhof Lankwitz als Umsteige- und Endpunkt zu verschenken.

Konsens ist die Schaffung zusätzlicher Busspuren. Eine „Grüne Welle“ für Busse wird angestrebt. Die Taktzeiten bei Bus und S-Bahn soll tagsüber maximal zehn Minuten, auf allen U-Bahn-Linien fünf Minuten betragen. Der Preis für ein übertragbares Umweltticket wird im Jahresabonnement zwischen 50 und 60 Mark monatlich betragen (hier sind die Verkehrsexperten von SPD/AL noch am Rechnen).

In die Magnet-Bahn sollen keine weiteren öffentlichen Mittel mehr gesteckt werden. Den geplanten Südübergang am Schichauweg schätzt man als „nicht akzeptabel“ ein; im Sinne einer umweltverträglichen Lösung soll über einen anderen Übergang mit der DDR neu verhandelt werden. Die Brücken am Sachsendamm sollen bleiben; die geplante Autobahn soll im sogenannten Dammpreßverfahren in Tunnellage unter dem Sachsendamm gebaut werden.

Wichtig außerdem für Autofahrer, aber mehr noch für Fußgänger und Radler: In allen Stadtgebieten, in denen es einen „Nutzungskonflikt zwischen Fußgängern und Autofahrern“ gibt, wird eine flächenhafte Verkehrsberuhigung mit Tempo30 erfolgen. Für die FahrradfahrerInnen werden Velorouten gebaut; der Bau von Radwegen auf Bürgersteigen - ein besonders unfallträchtiges Ärgernis - soll gestoppt werden.

„Manches war nicht so einfach reinzudrücken“, so ein unter dem Strich sehr zufriedener AL-Experte und Alt-Realo zu den reformpolitischen Proklamationen. Währenddessen verwiesen SPD-Fachpolitiker auf die Fortschreibung von schon im sozialdemokratischen Wahlprogramm enthaltenen Forderungen und auf frühere gleichlautende Anträge im Abgeordnetenhaus. Freilich müssen erst einmal die FinanzpolitikerInnen aus beiden Parteien den ausgehandelten Zwischenergebnissen zustimmen.

Thomas Knauf

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