piwik no script img

Ein Fest auf der Bastille

■ Franz Held, sozialdemokratischer Dramatiker, schrieb dieses Stück 1889 für die Jahrhundertfeier der französischen Revolution, als Vorspiel zu einer Revolutionstrilogie „Massen“. Ob das Stück je fertiggestellt und aufgeführt wurde, wissen wir nicht.

Franz Held

Die Passage, die wir hier abdrucken spielt am Abend vor dem „Sturm auf die Bastille“. Ein Festessen der feinen Gesellschaft.

(Während auf der einen Seite der Tafel ziemlich vernehmlich gesprochen wird - es tut nichts, wenn auch das eine oder andre Wort des Schauspielers unter den Tisch fällt - klingt von der andern beständig ein Summen darein. Dazu Teller-, Gläser- und Gabelgeklirr.) Beleidigte Dame (zum Banquier).

Unerhört! Uns an diesen Platz zu setzen! Grade so gut hätte man uns auf einen andern der Thürme Frau von Marillac (zur Frau Zollpächter).

Gewiß, meine Beste! Ich bin im Hotel des Menus Plaisirs auf der Gallerie gewesen! Alle Umsitzenden.

Ah! Erzählen Sie doch! Frau v.Marillac

Die Generalstände sind an und für sich die langweiligste Erfindung von der Welt. Aber wie köstlich hab‘ ich mich über den „schönen“ Hauptmann de Quincey amüsirt, der mich unausgesetzt mit seinem Lorgnon von unten herauf anschmachtete! Zum Spaß erwiderte ich seine Blicke ein wenig. Stiftsdame (leise zur Gouverneurin).

Die Sorte Spaß kennt man leider. Ach! Frau von Marillac

Währenddessen sprach ein gewisser Mi - wie war's doch gleich? - Mirabeau! Montmorency.

Soll ein veritabler Graf sein, meine beste Baroneß! Seine Familie gehört zur allerobersten Stufe der allerbesten Compagnie! Frau von Marillac.

Ein Graf? Sitzt aber ja bei den Gemeinen?! Generalpächter.

Er ist mit seinem Papa brouilliert - der Papa hat seine Hand von dem ungerathenen Sohn gänzlich zurückgezogen - wegen einer Entführung, sagt man. Sämmtliche Damen.

Entführung? Wie idyllisch! Gouverneur.

Ja, ganz richtig. Vor nicht allzu langer Zeit noch hat dieser Mirabeau einen Tuchladen in Marseilles aufgethan, um sich über Wasser zu halten. Frau Generalpächter.

Einen Tuchladen? Fi done! Sämmtliche Damen.

Wie gemein! Unglaublich! Stiftsdame (zu Frau v. Marillac).

Nun, man kann ihn doch anschauen, ohne sich allzu viel zu vergeben. Er ist immerhin aus einer titulirten Familie. Würden Sie mir die Austern-Pastete reichen? Aber all die andern Vertreter dieses dritten Standes - ! Und wie das über Nacht so komisch anmaßend geworden ist! Frau v. Marillac.

Sie haben Recht. Wirklich nicht der Mühe werth, hinzuseh'n. Lauter simple Advokaten, mit glatt rasirten, mürrischen Faltengesichtern. Namen, die man nie in einem Cercle gehört hat: Barnave, Bailly, Robespierre, Marat, Danton Montmorency.

Ich bewundre Sie, meine Gnädigste! Wie können Sie das Zeugs nur behalten? Sie sollten Chemie studirt haben! Frau v. Marillac.

Behalten? Ach, ich weiß mir leider nicht anders zu helfen! Seit meinem letzten Wochenbett leid‘ ich so an Schlaflosigkeit! Und da nehm‘ ich die Gazetten vor, mit den unendlichen Sitzungsberichten drinn - so dusele ich denn allmälig friedlich ein. Diese fünf bis sechs Namen wiederholen sich aber immer und immer wieder, ich kann sie gar nicht mehr los werden. Noch im Einschlafen muß ich mechanisch vor mich hinschnurren - 93 - 94 - Robespierre, R., R., - ierre - erre - brr! Wie das rasselt! Gräßlich! Gouverneurin (zu Camille, der hinter ihr steht, zärtlich).

Ein Glas Madeira, Ernst! (er bringt es) Du mußt näher herankommen! Sonst verschüttest Du ja den Wein! Stiftsdame (leise zum Gouverneur, während Camille

einschenkt).

Ich finde, daß dieser Bursche sich Ihrer Frau Gemahlin viel zu sehr nähert. Ja, die Domestiken haben heut zu Tage keine Schulung mehr. Fräulein de la Motte

Haben die Abgeordneten der Roturiers denn wenigstens eine hübsche Tracht? Herr von Breze.

Schwarz! Schwarz! Eine Rabenversammlung. Fräulein de la Motte.

Unglaublich! Herr von Breze.

Anordnung des Oberhofmarschallamts. Stiftsdame.

Sehr angebracht!

Fräulein de la Motte (auf ihren Bräutigam von Breze zeigend, zur Gouverneurin).

Mein Armand ist nämlich auch Deputirter. O er ist zu reizend in seinem kirschrothen Sammtrock mit den bunten Straußenfedern auf dem Hut! Generalprocurator (zum Gouverneur).

Nein, nein! Sie haben sich zu sehr in Unkosten gestürzt, Excellenz! Ich bin überzeugt, daß allein diese Schildkröte aus Jamaica ein paar hundert Livres kostet. Beleidigte Dame (flüsternd, zu Dr.Guillotin).

Das ist wirklich für diesen Geizhals eine Leistung! Dr.Guillotin (ebenso).

Seiner Frau zu Lieb! Beleidigte Dame.

Ich finde gar nichts an ihr. Aeltlich. Wie lang sind sie doch verheirathet? Dr.Guillotin.

Zwei Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau - warten Sie also sieben Jahre. Herr von Breze (zum Akademiker).

Und ich sage Ihnen nochmals, als Mann der Praxis, Herr Profesor, dem Bauer mehr wie drei Sols täglich geben, heißt nur, ihn zu Müßiggang und Soff verführen. Und 17 Sols für den Kleinbürger in der Stadt - das ist das Aeußerste!

Omar der Mohrenknabe (hat mit einer Orange gespielt, die ihm Frau Reveillon reichte. Die Orange rollt die Treppenstufen hinunter. Er fängt an zu heulen). Frau Generalpächter (außer sich).

Omar! Was hast Du? Doch nicht weh gethan, mein Engelchen?! Dr.Guillotin (zu Frau v.Marillac).

Ein Engelchen, schwärzer, wie Satan! Montmorency (zu Camille).

Was sperrt er's Maul auf! Hol‘ er doch die Orange herauf! Hurtig! Camille.

Das ist nicht mein Dienst. Montmorency (sprachlos vor Staunen).

Wie? Was? Flegel - ! Gouverneurin.

Er hat Recht, lassen Sie ihn, Herr Herzog! Er ist nur zu meinem persönlichen Dienst kommandirt! (Montmorency macht ihr eine entschuldigende Verbeugung. Die andern Lakaien sind bei den Worten Montmorencys in Masse der Orange nachgestürzt und haben sie Omar zurückgebracht). Montmorency (ärgerlich zur Frau Zollpächter).

Was flennt denn die Range? Frau Zollpächter.

Lassen Sie ihn doch, Herzog! (zu Omar) Sei wieder gut, mein Herzchen! Du bekommst auch Marzipan! (sie küßt ihn stürmisch ab. Andere Damen nehmen ihn gleichfalls auf den Schooß, küssen und hätscheln ihn, bis er sich beruhigt). Generalpächter (in der Unterhaltung mit Montmorency).

Abschaffen! Nichts als abschaffen! Dieser Necker! Alles mäht er nieder, wie eine Sense! Brückenzölle, Mühlen- und Bäckerei-Monopole - ricks, racks - (er macht die Bewegung des Mähens). v.Breze.

Die „Beschwerdehefte“ meiner Dorfuntertanen fordern ganz klipp und klar völlige Abschaffung der sämmtlichen Frohnden und Winzerei-Gerechtsamen! Allerliebst! Bischof.

Und die Zehnten! Oberst.

Und die Werbergebühren! (zur Wittwe.) Ich bin nämlich nach Paris gekommen, um „Kerle zu machen“. (faire des hommes). Wittwe.

Pfui, Herr Oberst! Oberst.

Gnädige Frau belieben?! Ich dachte an Rekruten-Werbung. An sonst nichts. v.Breze.

Selbst Jagdrechte, Alles, Alles nimmt uns dieser Necker. Sein Ricks und Racks streicht unsre Ernte nieder, wie ein Hagelwetter! (springt auf.) Nieder mit Necker! Alle (fanatisch).

Nieder mit Necker! (sie stoßen klirrend an). Generalpächter.

-Ernte nieder? Die Ernte wird mir so wie so in diesem Mißjahr nichts einbringen auf all meinen Gütern. Abbe Leron

(flüstert der Wittwe zu, hinter der er gerade vorbei kommt). Der Aermste! Wie abgehungert er schon aussieht mit seinen Fleischerbacken! Sollen wir nicht eine Collecte für ihn veranstalten? (Lachsalve der Wittwe.) Oberst.

Ja, dieser Tartuffe! Mäht an den Barrieren das Gold scheffelweis, mag das Jahr nun gut oder schlecht sein. Gouverneur (erhebt sich).

Meine werthen Gäste! Als Commandant dieser Festung habe ich einen Toast auszubringen. Lang lebe unser allergnädigster König, Se.Majestät Ludwig XVI. Alle (ziemlich matt).

Hoch! (stoßen klanglos an.) Gouverneurin (steht auf).

Ein Hoch unsrer huldreichen Königin Marie Antoinette! Alle (begeistert).

Sie lebe! Hoch unsre schöne Fürstin! Hoch Oesterreich! Dr.Guillotin (zum Banquier).

Im Palais Royal würde der Applaus umgekehrt verteilt sein. Abbe Leron.

Gestatten die Herrschaften, daß ich einen selbstgedichteten Hymnus auf Seine erhabene Majestät König Ludwig XVI. den Volkserretter - (er zieht ein kolossales Papier aus der Tasche; fängt an, Alexandriner vorzutragen; man überhört ihn absichtlich und bringt ihn zur Verzweiflung, indem man rythmisch mit den Tellern und Gabeln klappert. Er setzt sich resigniert.) Nachtlampe.(in der peinlichen Pause mit gellend

hervortretender Stimme).

Nein, nein, meine Beste! Ich möchte lieber in St.Sulpice begraben sein, als in die Provinz heirathen! Gouverneur.

Wenn ich Sr.Majestät zu raten hätte - ich würde diese Aufrührer-Rotte, die sich Volksvertretung nennt, mit Bayonetten heimjagen in ihre vorlauten Marktflecken! Meine Herren, aber sagen Sie doch selbst! Wo kommen wir hin, wenn wir mit denselben Subjecten, die durch die Weltordnung zum gehorchen da sind, auf dem Fuße parlamentarischer Collegialität verkehren?! Das muß doch notwendig die Grundbegriffe der Moral erschüttern! Frau v.Marillac.

Nein! Um Himmelswillen keinen Roten! (die Hand Dr.Guillotin's mit der Flasche, abwehrend). Und Weißen noch viel weniger. Ich trinke nichts als Wasser. Meine Nerven, ach ja, meine Nerven sind zu zart organisiert! Ich vertrage nichts anderes, als Wasser! Abbe Leron (zu der beleidigten Dame, leise).

Daher der Wasserfall ihres Maulwerks! Gouverneur (fährt fort).

Und in allen Köpfen spukt's auch schon! Beim Namen Heinrich des Vierten, ich glaub‘, ich weiß Mannszucht zu halten! Und trotzdem hab‘ ich heut Morgen einen meiner Invaliden ausprügeln lassen müssen - ein kreuzbraver Kauz im Uebrigen

-weil die Neugierde oder Trunksucht den Kerl verleitet hatte, in's Palais Royal zu bummeln. Sie wissen, wo man sich die Köpfe toll schreit mit unglaublichen Blasphemien Montmorency.

Ja, ja! Auch dort gewesen - natürlich verkleidet - kleine Herzensaffaire, häha - Und dann, man muß gegen die Melancholie ankämpfen (streicht sich über die Stirn) ferner, man ist doch auch ein Kind seiner Zeit, hat die Encyclopädisten gelesen Gouverneur (leise zu Frau v.Marillac).

Wenigstens hat man sie im Bücherschrank. Dieser alberne Geck! Montmorency.

Toller Hexenkessel, dies Palais Royal! Aber passabel amüsant. Allerliebste Grisettchen. Man riß sich natürlich um mich. Aber diese Tischredner - horribel! Abbe Leron (zur Wittwe, leise).

„Gerissen“ haben sie sich nämlich wirklich um ihn: braun und blau haben sie ihn geprügelt auf seiner Grisettenjagd! Montmorency.

Wirklich, sehr gut gejagt, bester de Launay! Weshalb läßt Majestät lumpige Schreier nicht einfach durch Grenadier -Bataillon über den Haufen schießen, daß nur so die Fetzen fliegen?! Wittwe (zum Oberst, auf Camille zeigend).

Ein Prachtkerl, der Lakai dort! Den sollten Sie „machen“! Aber mir scheint, die Gouverneurin hat ihn schon selbst einregimentirt. „Nachtlampe“.

Ja, finden Sie das nicht auch skandalös?! Dies beständige Zurückwenden! Und eine Dame von solchem Rang! Stiftsdame (zu Montmorency).

Oder noch besser: Weshalb giebt Se.Majestät nicht kurzweg jedem der Spektakelmacher ein paar Sols, damit sie's Maul halten? Dr.Guillotin (ruft mit schneidender Stimme hinüber).

Weil umgekehrt er ihre paar Sols braucht! Weil er das Geld mit schönen Versprechungen leichter heraus zu holen meint, als mit Gewalt! Stiftsdame (zum Zollpächter).

Wie läßt man diesen frechen Menschen in dieser unerhörten Weise von Sr.Majestät reden?! Zollpächter.

Hat Einfluß in der Versammlung. Kennen Sie denn nicht seine famose Broschüre „Petition der in Paris seßhaften Bürger“!? Da ist er dem Chatelet hübsch in die Waden gefahren! Abbe Leron (zur Stiftsdame).

Ein kräftiges Mundwerk! Sehen Sie nur, wie er jetzt die Rebhuhnpastete in Angriff nimmt! Der kann zubeißen. Klipp klapp - eine Sägemühle! Wo bleibt das Alles nur in dem hagern Leib! Ich fürchte er wird die ganze Tafel leer fressen und dann die Frau Reveillon anknabbern. Ein netter Bissen übrigens! Frau Generalpächter.

Poularde von Rennes? Viel zu schwer für mich. O mein Magen ist mein Tyrann! Und Geflügel fängt überhaupt an, „roturier“ zu werden. Generalprocurator.

Der Hahn trägt aber noch immer seine Krone. Frau Generalpächter.

Vielleicht ein ganz klein wenig Periguex-Pastete. Ah, die ist delikat! Generalpächter (zu v.Breze).

Jawol, jawol! Werde mich wegen der Intendantenstelle für Sie verwenden, Baron! (zu Montmorency, der aufgestanden ist, und ihm von hinten etwas sagt) 20.000? Gern! Sie wissen, es ist mir ein Vergnügen und eine Ehre, Herr Herzog, so nahen Verwandten mal auszuhelfen! Beleidigte Dame (zum Banquier).

Wie froh ich bin, daß ich hier hinten sitze. Da brauch‘ ich doch wenigstens das Gethu‘ zwischen der Gouverneurin und ihrem Bedienten nicht aus der Nähe mit anzusehen! Frau v.Marillac (zu Dr.Guillotin).

Wie können Sie mir Oporto einschenken wollen? Mein Arzt hat mir geboten, möglichst viel Milch zu trinken. Ich lebe fast nur von Suppe und Obst. Dächten Sie, daß Dr.Guillotin.

Essen und trinken Sie, was Ihnen schmeckt. Wie können Sie aber so viel Remouladen zu sich nehmen? Etwas, das man gehörig kauen muß, das Beißen und Knacken - das ist gesund! Stiftsdame.

Aber Doktor! Kauen! Man schlürft nur noch! Knacken! Welch ordinäres Geräusch!

Wir danken dem Antiquariat Frank Albrecht (Panoramastraße 4 in 6905 Schriesheim), das uns sein Exemplar zur Verfügung gestellt hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen