: „Zentrale Zusammenlegung kommt nicht in Betracht“
■ Der SPD-Schattensenator für Justiz, Wolfgang Schomburg, zum RAF-Hungerstreik: Ein SPD-Senat würde eine Verlegung von Gabriele Rollnick und Angelika Goder nach Lübeck zu den dort einsitzenden drei RAF-Gefangenen Möller, Kuby und Krabbe befürworten
taz: Nach den RAF-Gefangenen Christa Eckes und Karl Heinz -Dellwo sind gestern die nächsten beiden Gefangenen in den unbefristeten Hungerstreik getreten. Eine ist die in Berlin einsitzende Gabriele Rollnick. In vier Wochen werden die Gefangenen Dellwo und Eckes die sogenannte kritische Phase erreicht haben. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Wie gedenkt sich die Berliner SPD zu verhalten?
Wolfgang Schomburg: Zunächst einmal ist festzuhalten, daß dieser dringende Handlungsbedarf vom gegenwärtig amtierenden Senat gesehen werden muß und wir noch kein Mandat haben, uns in irgendeiner Weise hier in Verhandlungen einzuschalten.
Eine SPD, die in wenigen Tagen die Regierung übernehmen will, muß sich mit der Frage des Hungerstreiks doch auseinandergesetzt haben?
Selbstverständlich machen wir uns schon jetzt Gedanken darüber, was wir in diesem Punkt - den ich im Augenblick für einen der wichtigsten Vorgänge im Justizbereich halte - für den Zeitpunkt der Übernahme einer Verantwortung tun würden. Nur, soweit ist es noch nicht. Daher ist es auch sehr schwierig, zu Einzelfällen Stellung zu nehmen, weil mir die konkreten Fakten, die sich insbesondere aus den Akten und einem persönlichen Überblick über die konkrete Vollzugssituation ergeben, zur Zeit nicht zur Verfügung stehen. Entsprechendes gilt für die tatsächlichen Endziele des Hungerstreiks.
Daß Gabriele Rollnick und Angelika Goder seit 1978 in Haft sitzen - acht Jahre davon im Hochsicherheitstrakt -, und daß Angelika Goder ein schweres Hüftleiden hat, ist allgemein bekannt. Außerdem könnten Sie sich beim Justizsenat informieren.
Die Möglichkeiten, sich im Justizsenat zu informieren, sind nicht gegeben, weil es sich um personenbezogene Daten von Gefangenen handelt. Eines ist jedensfalls klar: Sowohl in der Vollzugs- wie auch in der Vollstreckungssituation müssen die beiden in Berlin inhaftierten Frauen, soweit irgend möglich, mit den anderen Gefangenen gleichgestellt werden. Die Frage der zentralen Zusammenlegung kommt aus meiner Sicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in Betracht. Zum einen, weil nicht nur sozialdemokratisch regierte Länder dabei sind, sondern auch andere Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg sich schon dezidiert gegen jedes Einlenken in dieser wichtigen Frage ausgesprochen haben. Ich glaube, daß das Modell in Nordrhein-Westfalen - der Vollzug im Regelvollzug - sehr gut gezeigt hat, daß viele Gefangene aus diesem Kreis bereits entlassen werden konnten. Sollte es in Berlin zu einer SPD-geführten Regierung kommen, wird es eine der ersten Aufgaben sein, sich persönlich mit der Situation der beiden hier einsitzenden Frauen auseinanderzusetzen. Dazu gehören auch persönliche Gespräche.
Damit nimmt die SPD in Kauf, daß es Tote geben wird, weil sie im Hinblick auf die Forderung nach Zusammenlegung der Gefangenen keine Zugeständnisse und Angebote macht.
Eine derartige Situation wird von der SPD selbstverständlich nicht in Kauf genommen. Obwohl wir noch in keiner Verantwortung in dieser Stadt sind, haben ich bereits in der Vergangenheit eine Reihe von Gesprächen geführt mit justizpolitisch Verantwortlichen in sozialdemokratisch regierten Ländern. Wir werden weiterhin alles ausloten, was jedenfalls nach einer Einzelfallprüfung Gespräche in kleineren Gruppen ermöglichen kann. Eine Forderung geht ja gerade bei diesen beiden Frauen hier in Berlin dahin, möglicherweise in einer Kleingruppe in Schleswig Holstein - mit den drei in Lübeck Einsitzenden zusammengelegt zu werden. Ich habe den Eindruck, daß darüber in Schleswig-Holstein im Augenblick sehr intensiv und wohlwollend nachgedacht wird. Wenn man sich da verständigen könnte und wir in der Verantwortung wären, wollen wir dieses selbstverständlich auch befürworten.
Haben Sie bei Herrn Rehlinger einmal sondiert, ob man die Weichen unter dem Noch-Senat nicht schon jetzt in diese Richtungen stellen kann?
Nein. Dafür habe ich kein Mandat. In der justizpolitischen Runde, bei den Koalitionsgespräche zwischen SPD und AL, wurde vereinbart, daß wir uns so schnell wie möglich zusammensetzen wollen, um eine gemeinsame Strategie in dieser Frage zu erarbeiten. In diesem Punkt müssen sich die beiden möglichen Koalitionspartner abstimmen, und was besonders wichtig ist, natürlich beide die Verantwortung dafür tragen, was im Einzelfall passiert.
Die AL hat auf ihrer Mitgliederversammlung eine Resolution verabschiedet, in der die Forderung nach Zusammenlegung unterstützt wird. Der Grund: die Hungerstreikerklärung hat eine neue Qualität, die Gefangenen wollen an der politischen Diskussion teilnehmen, und dafür müssen die Möglichkeiten geschaffen werden.
Eine Zusammenlegung aller Gefangenen aus dem RAF-Bereich das Wort politische Gefangene mag ich in diesem Zusammenhang nicht - kommt für die SPD in keinem Fall in Betracht, das Sicherheitsrisiko ist hier zu groß. Auf der anderen Seite habe ich sehr viel Verständnis dafür, daß im Einzelfall ein Gedankenaustausch stattfinden sollte, wenn es irgendwie möglich ist und wenn es dazu führen kann, daß in diesem Gedankenaustausch nicht etwa eine Neuformierung der RAF in den Gefängnissen stattfindet, sondern in die Richtung geht, daß die Betroffenen zukünftig ein straffreies Leben führen.
Wie stehen Sie dazu, daß es schon ausreicht, die RAF -Hungerstreikforderung zu veröffentlichen, um ein Ermittlungsverfahren wegen §129a (Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, d.Red.) an den Hals zu bekommen?
Wir haben mit der AL vereinbart, daß wir in einer Bundesratsinitiative für eine Abschaffung des §129a StGB eintreten. Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits in der Vergangenheit einen Änderungsvorschlag als Gesetzesentwurf eingebracht: Wegfall des „Werbens“. Die Frage ist, inwieweit schon jetzt Staatsanwaltschaft und Gerichte im Rahmen des Legalitätsprinzips von der unerträglich weiten Auslegung des gegenwärtigen §129a wegkommen können. Zusätzlich ist zu bedenken, daß hier eine primäre Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft gegeben ist.
Was haben Ihre Gespräche mit den Justizministern der SPD -regierten Länder bezüglich der anderen Gefangenen ergeben, nachdem sich nun sogar Experten des Verfassungsschutzes für vermittelnde Lösungen ausgesprochen haben?
Selbstverständlich plädieren wir für alles, was zu einer Deeskalierung führt und auch im vernünftigen Maße Gespräche nach Einzelfallprüfung ermöglicht.
Sogar Innenminister Zimmermann hat schon bemerkt, daß „die Lage“ Mitte März „akut“ wird. Haben Sie wegen des Hungerstreiks einmal als Privatperson bei Rehlinger vorgesprochen?
Nach den bisherigen Erfahrungen gehe ich davon aus, daß Justizsenator Rehlinger und Staatssekretär von Stahl zu einem derartigen Gespräch mit einer Privatperson nicht bereit sind.
Es wird gemunkelt, daß Staatssekretär von Stahl sagt, „daß geht uns alles nichts mehr an“.
Eine derartige Aussage wäre unverantwortlich. Es geht ihn sehr wohl an. Er ist amtierend in der Regierung. Von daher muß er alles tun, um dafür zu sorgen, daß es hier nicht zum Schlimmsten kommt.
Interview: Plutonia Plarre
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