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VORM TOD NOCH SCHNELL AUFS KLO

■ Theater K spielt „Ella“, die Schillerwerkstatt „Mein Herbert-Weg“ von Herbert Achternbusch

Mit welcher Geduld die Leute ins Theater hineingehen und mit welcher Geduld sie dann drinhocken, ist mir völlig unbegreiflich, soll Achternbusch mal gesagt haben. Trotzdem schreibt er für diese Leute Stücke, in denen manisch monologisiert und tragisch gestorben wird. Ella ist so ein Fall. Eineinhalb Stunden bereitet Ella langsam und sorgfältig einen Kaffee zu und erzählt dabei ihre traurig -groteske Lebensgeschichte: von Zwangsehe über Gefängnis, Entmündigung, unzählige psychiatrische Kliniken und Arbeitslager, Vergewaltigungen und ungewollte Schwangerschaften, bis zum letzten Zufluchtsort, dem Hühnerstall ihrer Schwester Lena.

Nur daß Ella trotz Kittelschürze und Kleiderfummel ein Mann ist und die eigentliche Ella eine alte Frau, teilnahmslos, ihr Lebensnerv scheint von der Lebensdauer des Fernsehers abzuhängen. Mutter (Jorunn Thorlacius) und Sohn Josef (Veit -Ulrich Kurth) sind im Hühnerstall eingesperrt oder vielleicht haben sie auch nur die böse Welt ausgesperrt, um sie immer wieder verwundet anzugreifen. Josef hat sich vollständig in Ella verwandelt. Ella selbst ist altes Inventar, autistisch, nur einmal kratzt sie wie wild einen unsichtbaren Aussatz ab, als Josef als syphilitische Ella spricht. Josef zelebriert in Ellas Kindersprache und mit pathologischen Zügen eine Anklage an die Gesellschaft. Ihre kleinen Bedürfnisse vertritt diese Ella zu anarchisch, als daß sie sublimiert und integriert werden könnten, nicht 1939, nicht 1945, nicht 1967. Von einem Zwangsheim ins andere verlegt, der kleinste Genuß verboten, zum Tier gemacht, rechtfertigt sie noch den kleinsten Widerstand. Zum Zynismus zu einfältig oder - wie Achternbusch - zu besessen, ist sie zur Moral verdammt, selbst wo die Doppelmoral herrscht. Ohne Selbstschutz muß sie solange in alten Wunden herumstochern, bis alles gesagt ist: Zeit für einen unspektakulären Tod.

„Magst a Gift?“ fragt Ella-Josef die alte Ella und nimmt dann selber das Zyankali. Wo der Wahnsinn der Gesellschaft alles verschlingt, bleibt für das Widersetzliche nur der Wahnwitz. Und der bleibt beim Theater K in der Kassenhalle der Freien Volksbühne auf der Strecke, wenn auch Josefs Haare wild zu Berge stehen. Bald wird sein Monolog zu einem anstrengenden Ritual, einer Litanei von Qual, das einzig Lebendige die scharrenden Hühner im Stroh. Wenn Ella-Josef resümiert: „Das einzig Schöne in meinem Leben war das Kino“, wünscht man sich fast ebendorthin, womöglich in einen Achternbusch-Film mit grasgrünen Wiesen, die erst die Katastrophen als reale Absurdität beweisen. Aber vielleicht liegt es auch daran, daß diese männliche Ella den pathologischen Wahnsinn zu gut studiert hat und selten aus der Rolle fällt: da, wo man nicht genau weiß, ob nicht diese komischen (Hühner-) Vögel die tieferen Einsichten über die Welt gewonnen haben und sich aus diesem Grund dem Zyankali weihen.

Im Schillertheater kehrt Ella in Gestalt von Maria Hartmann wieder, jung, dauergelockt, in weißem Pelz und billigen Schuhen, wieder einmal auf der Flucht vor wütenden Aufseherinnen und harter Arbeit, Kino und Liebe im Kopf. Hier darf sie sich selbstbewußt eine Zigarette anzünden und völlig irreal ein Recht auf Freiheit herbeischreien, zur Unterstützung pinkelt sie durch den Gitterstuhl. Ihre Schwester schiebt sie wieder ab, denn „Ella ist untragbar, weil sie ihre vollgebrunzte Hose in die Handtasche steckt“. Wo sollte sie auch sonst mit hin, aber bürgerliche Konventionen führen sich in der Melange aus Mein Herbert und Weg noch öfters ad absurdum.

So wie sich der Sohn Josef mit Mutter Ella identifiziert, schreibt sich Achternbusch seine Mutter herbei, eine enttäuschte, ungeheiratete Frau, die mitten im Krieg ein ungewolltes Balg kriegt und es an die Oma weitergibt, um es aus der Distanz lieben zu können. Dieser Herbert (noch einmal Maria Hartmann mit Hut) reitet auf seiner Oma (Lore Stefanek) herum, die auch nur Durchgangsstation für die männlichen Krieger war. Jetzt ist die Bühne fast männerlos: Der weibliche Herbert stiefelt zwar schon gewaltig in die Fußstapfen seines väterlichen Hallodris, aber manchmal ist er auch Ella, stinkend, ängstlich und trotzig. In der bayerischen Provinz gehen noch die Erdschmiede um, die einen aus der Verwandtschaft mitnehmen, zu den dumpfen Schlägen schreckt Herbert auf und schreit: „Ich sterbe!!!“ Aber wahrscheinlich würde er vorher noch aufs Klo gehen, wie das überhaupt der schlimmste Alptraum Achternbuschs und seiner Figuren zu sein scheint: die eigene Scheiße beim letzten Gang mitnehmen zu müssen. Gleichzeitig ist es auch eine Manie, den alten Unrat mitzunehmen, das Immer-wieder -aufleben-Lassen der Vergangenheit.

In Lore Stefaneks Inszenierung ist der erste Akt ganz von dieser unheilvollen Wiedergeburtstragödie geprägt, mit der Geburt Herberts wird sie zur Groteske. Ein periodisch wiederkehrender hakenkreuzgeschmückter Soldaten-Chor - mal marschieren sie, mal singen sie mit Kerzen am Kopf durchs Fenster ein Ständchen, immer frisch und präsent. Wenn das Theater K manchmal fast in die Sozialkritik abrutscht, dann wird in der Schillerwerkstatt auf jeden Fall Theater gespielt, oft mit einer tragischen Komik und einem heiligen Ernst. Wenn Lore Stefanek dagegen als ausgepolsterte Oma halsbrecherisch den Weihnachtsbaum schmückt oder einen gestelzten Tango mit dem Schwarzmarktbullen hinlegt, dann ist das nur das andere Extrem eines triefenden Mutter-Sohn -Dramoletts, wie es in der Schlußszene anklingt: Herbert (Achternbusch), der auszog, kein Dichter, aber ein Antikünstler zu werden, stellt seine Bücher der toten Mutter in die Blumenvase.

Zwischen diesem merkwürdigen Achternbusch-Epitaph (dabei wollte er nicht zu den Bölls und Handtkes auf die Dichterakademie) und einem lustigen Faschismusab-, -zwischen - oder gar -aufgesang endet auch Mein Herbert mit einer Leiche. Herberts Mutter, die elegante, jung-dynamische Sportlehrerin (Barbara Petrisch) hat sich zwar einst aus Herrgottswinkel Bett- und Kochstelle nach Amerika herausgearbeitet, aber der Angst vor dem Wahnsinn entkommt sie nicht und erschießt sich. Muttersöhnchen Achternbusch, der nicht werden wollte, wie sie es gern gehabt hätte, kommt von dieser „Olympiasiegerin“ nicht los. So inszeniert es Lore Stefanek, und dabei tun sich psychologische, aber keine politischen Abgründe auf, und ein Frauenleben wird wunderbar theatralisch plausibel gemacht. Aber vielleicht will Achternbusch gar nicht plausibel sein.

Doro Hackenberg

Theater K spielt „Ella“ in der Kassenhalle der Freien Volksbühne nur noch am 10. und 11. März, nächste Vorstellung von „Mein Herbert-Weg“ in der Schillertheaterwerkstatt heute abend um 20 Uhr.

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