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Gewalt, Terror und Korruption

■ Ein Gespräch mit dem Straßburger Regisseur Marc Adam, der in Saarbrücken das französische Theaterfestival „Perspectives“ leitet, über Tomi Ungerers inzwischen verbotenes Festivalplakat, über Sexismus, Menschenrechte und revolutionäre Jubelfeiern in Frankreich

Reinhold Urmetzer

Das Festival Perspectives, das vom 19. bis 28.Mai zum zwölften Mal in Saarbrücken stattfinden wird, widmet sich besonders dem jungen französischen Theater. Ein von dem Zeichner Tomi Ungerer dazu entworfenes Plakat ist mittlerweile vom Oberbürgermeister der Stadt Saarbrücken, Hans-Jürgen Koebnick (SPD), definitiv verboten worden.

taz: Warum haben Sie dieses Plakat gewählt?

Marc Adam: Vor einem Jahr ist es mir gelungen, Tomi Ungerer für das Saarbrücker Festival zu gewinnen. In Absprache mit dem Kulturdezernenten der Stadt Saarbrücken, Rainer Silkenbeumer, habe ich ihn beauftragt, eine Reihe von Zeichnungen und das Festivalplakat zum Thema „Menschenrechte und französische Revolution“ anzufertigen. Ungerer hat 18 Zeichnungen abgeliefert, alle aus der Zeit von 1789 bis zum Kaisertum, also bis zu Napoleon. Auf einer Zeichnung sieht man beispielsweise eine Guillotine, davor den berühmten Korb mit dem Kopf von LouisXVIe, das Gesicht nach oben. Unter dem Messer der Guillotine Marianne, wie die LouisXVIe anlächelt. Die Zeichnung heißt Tete-a-tete.

Alle Karikaturen werden im Programmbuch abgedruckt, mit Ausnahme der letzten Zeichnung, der Plakatvorlage, die Tomi Ungerer mittlerweile zurückgezogen hat. Sie stellt Napoleon und das Kaisertum dar, und sie ist Höhepunkt oder Konklusion der ganzen Reihe.

Was finden Sie gut an dem Plakat?

Es verweist sofort auf den politischen Inhalt und die Konzeption dieser Reihe von Zeichnungen. Man sieht die französische Revolution, aber auch Napoleon und noch dazu Napoleon mit einer Frau. Ein Plakat ist dazu da, Aufmerksamkeit zu wecken, und dieses Plakat stellt dem Publikum und den Leuten, die es betrachten, sofort Fragen.

Es provoziert.

Vielleicht. Aber provoziert es wegen einer nackten Frau, was nicht mehr so provokant ist heutzutage, oder weil diese nackte Frau Marianne ist, die französische Symbolfigur? Provoziert das Plakat, weil Napoleon mit Marianne Liebe macht, weil es nicht den Erwartungen entspricht, die man mit den Feierlichkeiten bei uns zur französischen Revolution verbindet? Es gibt also mehrere Fragen und mehrere Antworten dazu.

Man könnte einwenden, daß es nur auf einer sehr oberflächlichen und sexuellen Ebene den Betrachter erreicht. Wenn ich Ungerer in einem positiven Sinn interpretiere, dann versucht er auch in vielen seiner anderen Zeichnungen gegen den alltäglichen Sexismus vorzugehen. Doch kann man mit sexistischen Mitteln Sexismus bekämpfen? Oder erledigt sich das Problem Pornographie mit dem Schlagwort „Noch mehr Pornographie“ von selbst?

Unser Plakat ist nicht sexistisch. Ich bin antisexistisch und ein Frauenfreund, was dieses Thema betrifft. Natürlich kann man Sexismus nicht mit sexistischen Mitteln bekämpfen. Ich suche auch nicht die Provokation um der Provokation willen. Eine Frau, ein Mann, die Liebe machen, das zu zeigen ist sexistisch? Wenn es so gewesen wäre, hätte ich versucht, mit Tomi Ungerer eine andere Auswahl des Plakats zu treffen. Für mich ist der Inhalt des Plakats so wichtig, daß man ihn nicht als sexistisch mißverstehen wird.

„La Conception de l'Empire“, „Empfängnis des Kaisertums“ was bedeutet das eigentlich?

„Conception“ hat im Französischen eine stärkere Doppeldeutigkeit als im Deutschen. „Conception“ heißt „ein Kind machen“ oder „erkindern“, wie Tomi Ungerer sagt. Es bedeutet aber auch „ein Konzept entwerfen“, etwas aufbauen. Wortwörtlich übertragen könnte man sagen: Napoleon hat die französische Revolution, die durch Marianne dargestellt wird, benutzt, um sein Reich, das neue Kaiserreich nämlich, zu zeugen, aufzubauen.

Einige haben sogar schon Francois Mitterrand in Napoleon gesehen.

Das ist eine Überinterpretation. Uns jedenfalls war das bis jetzt noch nicht aufgefallen.

Warum hat Marianne, also die französische Revolution, ein solches Gesicht?

Lacht sie? Was passiert? - Es gibt auf deutsch den Ausdruck „sich totlachen“. Das ist der genaue Ausdruck dieses Gesichts. Marianne als Symbol der Revolution lacht sich tot.

Wie wehren Sie sich gegen den Vorwurf, das Plakat sei frauenverachtend?

Ich bin nicht der Meinung, daß dieses Plakat frauenfeindlich oder pornographisch ist. Es stellt nicht irgendeine Frau dar, sondern es ist etwas ganz anderes. Der Inhalt hat mit dem Phänomen Frau als Frau gar nichts zu tun. Eine Symbolfigur, die man auf jeder Ein-Franc-Münze wiederfindet.

Man sieht die rote Mütze...

...den Jakobinerhut, insofern kann das gar keine Frauenerniedrigung sein. Man sieht Napoleon, der hinter der nackten Marianne steht und sie liebt.

Liebt? Na ja...

Doch, er scheint sie zu lieben. Der Saarbrücker Oberbürgermeister hat diesem Bild in einer Pressekonferenz vorgeworfen, es sei Analverkehr. Das möchte er nicht an den Mauern seiner Stadt abgebildet sehen. Tomi Ungerer hat entgegnet, es kann gar nicht Analverkehr sein, Empfängnis mit Analverkehr ist bis heute noch nicht möglich.

Ist es störend, einen Mann zu sehen, der eine Frau in dieser Position liebt? Oder muß die Darstellung von Liebe immer nur in der üblichen und vom Papst propagierten Stellung geschehen?

Die Frauenbeauftragte der Stadt Saarbrücken, Caroli, hat sich auch gegen das Plakat ausgesprochen.

Frau Caroli hat öffentlich gesagt, daß sie persönlich das Plakat nicht stören würde. Aber sie könnte sich vorstellen, daß Mitbürgerinnen davon gestört würden. Ich halte das für eine unmögliche Position. Das Plakat müßte deshalb in die Öffentlichkeit kommen, es müßte darüber diskutiert werden können, was durch das Verbot unmöglich gemacht worden ist.

Man wird vielleicht Napoleon erkennen. Aber ob der politische Sinn verstanden oder auch nur wahrgenommen wird...

Ich glaube, man sollte viel mehr Vertrauen in das Publikum und die Bevölkerung haben. Ich bin nicht davon überzeugt, daß das breite Publikum so etwas nicht verstehen würde.

In Paris hätten wir meiner Meinung nach nicht solche Probleme gehabt. Es hätte wahrscheinlich ebenfalls Reaktionen gegeben, wir hätten diskutiert, gerade in diesem Jahr. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß das Plakat verboten worden wäre.

Warum wird heute von vielen Intellektuellen in Frankreich im Namen der Menschenrechte die französische Revolution nur noch kritisch oder zynisch kommentiert oder sogar ganz abgelehnt?

Die französische Revolution hat die Menschenrechte bewußt formuliert, nicht erfunden. Das wäre falsch zu sagen, denn das ganze Jahrhundert davor, eine ganze Reihe von Weltphilosophen haben daran gearbeitet. Die Revolution hat die Menschenrechte jedoch sehr schnell auch wieder vergessen und vernichtet. Wenn man die Arbeit der Guillotine betrachtet, die vielen Hinrichtungen; sie wurde also sehr schnell reine Gewalt mit noch weniger Freiraum für das Denken.

Im Plakat soll also der Widersinn der Revolution bewußt gemacht werden: daß die deklarierten Menschenrechte sehr bald mit Füßen getreten worden sind, daß aufs neue Gewalt, Terror und Korruption herrschten, daß das verhaßte Königreich, das mit großen Opfern abgesetzt worden ist, dank der Revolution letztlich in einem Kaiserreich doch wieder auferstanden ist.

Die Revolution ist ein Teil unserer Geschichte, und sie gehört zur Entwicklung unserer Gesellschaft. Sie ist wahrscheinlich auch der Grundstein für die Demokratie in Frankreich. Insofern ist die Revolution für das heutige Frankreich immer noch etwas Wichtiges, und wir feiern die Revolution mit Recht als einen Fortschritt. Die Wurzeln unserer heutigen Demokratie liegen ironischerweise sogar bei Napoleon, wenn wir wieder zum Plakat zurückkehren wollen.

Jede Revolution kämpft um neue Freiheiten, um neue Organisationsformen des Lebens und der Gesellschaft. Doch wie kämpft sie? Gehört Gewalt notwendigerweise mit dazu? Gewalt ist sehr oft revolutionär, aber oft entspricht sie auch nicht mehr unserem jetzigen Verständnis von Menschenrechten. Wie geht man mit diesem Widerspruch um, fragen wir uns gerade jetzt in Frankreich, man darf ihn nicht einfach nur ignorieren. Denn dieser Widerspruch berichtet nicht über die Revolution von damals, sondern auch über die Revolution von 1848, über die russische Revolution, den Mai 68 und so weiter, über alle Revolutionen also.

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