: Nordirland: Derry unter Kriegsrecht
Polizei und Armee intensivieren Durchsuchungen / Rechtsmißbrauch durch Armee und Polizei / 'Derry Journal‘: Gestapo-Methoden ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Die britische Armee und die Polizei (RUC) in Nordirland mißbrauchen die weitgehenden Rechte, die ihnen aufgrund von Sondergesetzen übertragen worden sind. Das sagte am Montag der Rechtsanwalt Vicomte Colville, ein hochrangiger Berater der britischen Regierung, nachdem die nordirischen Notstandsgesetze (Emergency Powers Act) in der vergangenen Woche routinemäßig verlängert worden sind. Colville verwies auf Derry, die zweitgrößte nordirische Stadt, wo die ständigen Hausdurchsuchungen und das Abriegeln ganzer Stadtviertel zur weiteren Verschlechterung der Beziehungen zwischen der katholischen Bevölkerung und den „Sicherheitskräften“ geführt haben.
In den ersten beiden Monaten dieses Jahres sind 5.000 Häuser in Nordirland durchsucht worden. Ein Haus in West -Belfast wurde von britischen Soldaten im Schichtdienst 72 Stunden lang durchwühlt. Die Soldaten, die gerade Pause hatten, legten sich in die Betten der Hausbewohner. In den letzten zehn Tagen haben Polizei und Armee besonders in Derry die Durchsuchungsaktionen noch intensiviert. Am vorletzten Wochenende wurden 300 Häuser durchsucht und 13 Personen festgenommen. In vielen Häusern wurden die Bodenbretter herausgerissen und die Einrichtung demoliert.
Ganze Stadtviertel sind stundenlang von der Außenwelt abgeschnitten. Der in Derry lebende Vizepräsident der Sinn -Fein, Martin McGuinness, sagte: „Die Ereignisse der letzten Wochen in Derry hätten eine Welle des Protests von Politikern und Kirchenführern ausgelöst, wenn sie in Südafrika passiert wären, doch die Repressionen vor der eigenen Haustür übersehen sie.“
Die Zahl der Beschwerden aus der Bevölkerung veranlaßte sogar die gemäßigten nordirischen Sozialdemokraten (SDLP), scharf gegen die Aktionen der „Sicherheitskräfte“ zu protestieren. Die SDLP-Stadträte John Tierney und Joe Fagan bezeichneten den katholischen Westteil Derrys, in dem kein einziger Polizist wohnt, als eine Stadt unter Kriegsrecht. Selbst das liberale 'Derry Journal‘ sprach von Gestapo -Methoden und verglich die Situation mit den repressiven Maßnahmen der britischen Armee in Indien in den dreißiger Jahren.
Polizei und Armee rechtfertigten ihre Aktionen mit „Sprengstoff- Funden“ in Derry.
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