: Warum nicht gleich beim Pferderennen?
Der Thatcherismus treibt britische Lokalbehörden in die Spekulation / Die Labourverwaltung eines Londoner Bezirks setzte an der Börse 200 Millionen Mark in den Sand / Wieder ein Finanzierungsweg verbaut ■ Aus London Rolf Paasch
Wer kennt sie nicht, die Versuchung, den bedrohlich wachsenden Schuldenberg durch einen kurzen Besuch im Spielkasino einfach abzuräumen. Nichts anderes hat nun in London eine von der Labour Party kontrollierte Lokalverwaltung versucht. Daß die Rechnung für die Lokalverwaltung des Londoner Stadtteils Hammersmith und Fulham (H&F) nicht aufging, lag allerdings nicht am Fehllauf der Roulettekugel, sondern an den verflixten Zinsraten. Die Stadtkämmerer hatten nämlich mit sogenannten „Zins-Swap -Optionen“ spekuliert - und verloren. Mit jenen hochriskanten Spekulationsinstrumenten hatten sie versucht, sich der drastischen Beschneidung ihres Budgets durch die konservative Regierung zu erwehren. Wie so vielen Labour -regierten Lokalbehörden Großbritanniens waren auch H&F die Ausgaben in den letzten Jahren so gekürzt worden, daß die Lokalbehörde beschloß, ihre sozialen Dienstleistungen auf Pump zu finanzieren.
Als auch diese Strategie 1985 vom zuständigen Minister durch Festlegen von Schuldenobergrenzen vereitelt wurde, erfanden die linken Stadtväter in den Metropolen Englands das sogenannte „creative accounting“, den „kreativen“ Umgang mit dem Schuldenberg. In Liverpool finanzierte die regierende Labour-Party den Bau von Sozialwohnungen mit in der Schweiz aufgenommenen Krediten; in anderen Städten jonglierten einfallsreiche lokale Finanzexperten mit Haushaltsposten und -jahren, um die Schließung von Bibliotheken und Schwimmbädern zu verhindern.
Und in H&F entdeckte man den Reiz des Kasino-Kapitalismus. Zunächst versuchten es die Kämmerer mit „Zins-Swaps“, dem Tausch von festverzinslichen mit variabel verzinsten Schuldbriefen, einer Börsenoperation, die unter bestimmten Bedingungen beiden Partnern des Tauschgeschäftes nutzen kann. Nachdem H&F mit diesem Instrument einen Profit von 13 Millionen Pfund (40 Millionen Mark) erwirtschaftet hatten, wurden die Labour-Leute mutig. In dem Glauben, die von der konservativen Finanzpolitik hochgetriebenen Zinssätze könnten nicht noch weiter steigen, ließen sich die Stadtkämmerer nun auf Zinsraten-Swap-Optionen ein, jene ebenso vielversprechenden wie hochriskanten Rechte auf zukünftige Zinsraten-Swaps.
Obwohl sich der für die 120.000 Einwohner zu verwaltende Schuldenberg nur auf rund eine Milliarde Mark belief, spekulierten die linken Finanzgenies plötzlich mit insgesamt 18 Milliarden Mark an der Börse. Doch als die Anti -Inflations-Politik der Regierung Thatcher die Zinsraten binnen eines Jahres von 7,5 auf 13 Prozent ansteigen ließ, endete das Börsenabenteuer mit einer Katastrophe. Statt die Schulden der Einwohner abzubauen, hatten die allzu waghalsigen Stadtkämmerer den Schuldenberg um rund 200 Millionen Mark erhöht.
Schnell und schadenfroh erklärte der zuständige Minister für Umwelt und Lokales, die Regierung denke nicht daran, der Lokalbehörde zu Hilfe zu kommen, falls diese nun vor die Gerichte zitiert werde. So dürfte das mißlungene Börsenabenteuer des Stadtrats von H&F einen weiteren Weg verbaut haben, die restriktive Finanzpolitik der Regierung Thatcher auf lokaler Ebene doch noch zu umgehen. „Die hätten“, so die Zeitung 'Independent‘, „ihr Geld besser beim Pferderennen in Ascot eingesetzt“.
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