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„Die AL muß weiter für ihre Grundüberzeugungen kämpfen“

■ Birgit Arkenstette, Mitglied des AL-Parteivorstandes und Verhandlerin, rückblickend zu den Forderungen nach einer Tolerierung

taz: Du warst Mitglied der Verhandlungskommission und hast in einem Minderheitenvotum zusammen mit Harald Wolf deutlich gemacht, daß ihr die Tolerierung als die bessere Form der Zusammenarbeit betrachtet.

Birgit Arkenstette: Unsere Mitgliedermehrheit hat ja nun die Koalition mit mehr als Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen. Wir hatten etwas anderes intendiert. Die Koalition zielt darauf ab, die AL in Regierungshandeln einzubinden. Das hat die SPD immer sehr deutlich gemacht. Genau diesen Sog wollten wir vermeiden. Wir wollten uns die Möglichkeit erhalten, unsere grundlegend anderen Vorstellungen weiterhin politisch einzubringen.

Jetzt propagieren ja viele in der AL, daß die Fraktion sich eben auf der SPD genehmen Anträge und Initiativen beschränken müsse, und die Partei weiterhin die grundlegenden Alternativen vertreten muß. Ob das zu realisieren ist, ist in meinen Augen zumindest fragwürdig. Die Gefahr ist, daß sich Opposition in Regierungshandeln einbinden läßt, und ein Prozeß entsteht, wo in der AL Radikalität freiwillig gestrichen wird. Die AL hätte sich viel größere Spielräume erhalten können, wenn sie gesagt hätte: Wir wählen Momper und tolerieren den SPD -Minderheitensenat bei der Umsetzung des vereinbarten Sachprogramms.

Ein Argument gegen die Tolerierung war ja auch, daß die SPD das nicht mitmachen würde und so die rot-grüne Option verspielt werden könnte.

Wenn ich SPD wäre, würde ich das wahrscheinlich erst einmal auch nicht wollen. Die SPD versucht natürlich auch über die Koalition, die AL zu domestizieren. Da die SPD offensichtlich ein Interesse hat, CDU-Politik in dieser Stadt zu verhindern, wäre dies auch unter der Form der Tolerierung denkbar. Auch die CDU hatte ja nur eine Tolerierung angeboten. Von daher war unsere Vorstellung keineswegs so absurd, wie viele getan haben.

Vor sechs Wochen hat ja eine Mitgliederversammlung beschlossen, die Form des Bündnisses, ob Tolerierung oder Koalition, nach den Sachverhandlungen zu entscheiden. Aufgrund der Dynamik der letzten Wochen hat sich diese Frage allerdings so gar nicht mehr gestellt. Woran lag das denn?

Das war auch ein Zeitproblem. Wir waren in diese Terminflut einfach völlig eingebunden. Es blieb kaum Zeit, solche Fragen einmal ausführlicher zu diskutieren. Rückwirkend denke ich, daß es z.B. öfter Treffen von Delegiertenräten hätte geben müssen, auf denen grundsätzliche Fragen ohne Termindruck hätten diskutiert werden können.

Allein die Zeit kann es nicht gewesen sein. Ich würde sagen: Ihr habt für eure Option selbst nie richtig gekämpft.

Uns war es wichtig, daß die AL mit möglichst großer Mehrheit in die Verhandlungen geht. Wir müssen sicherlich darüber diskutieren, ob es richtig gewesen ist, auf der ersten Mitgliedervollversammlung über die Frage der Tolerierung oder Koalition nicht breiter zu diskutieren und abzustimmen. In der AL wurde seit dem Wahltag kaum über die Vorteile und Nachteile von Koalition oder Tolerierung diskutiert. Von vielen war die Bereitschaft zu einer solchen Auseinandersetzung auch gar nicht da. Die große Mehrheit für die Koalition hat ja sehr unterschiedliche Gründe. Einige sagen, wir haben inhaltlich so wenig rausgeholt, daß die personelle Beteiligung um so wichtiger ist. Andere meinen, daß der Unterschied zwischen Tolerierung und Koalition nicht so groß sei.

Wieder andere haben sich in vorauseilendem Gehorsam einfach dem Druck der SPD unterworfen. Und eine Rolle spielen ja auch die „Republikaner“: Viele sagen, daß nun in einer Art „Linksfront“ die fortschrittlichen Kräfte gegen die Gefahr von rechts agieren müssen.

Ist die AL in deinen Augen denn nun ein Realo -Landesverband geworden?

Nein, das glaube ich nicht.

Worin bestehen denn nun die Unterschiede zur Koalition der Hessen-Grünen?

Ich hoffe, daß die Unterschiede zu Hessen u.a. darin bestehen, daß die AL das, was mit der Regierung umgesetzt wird, nicht als originär grüne Politik verkauft wird. Ich hoffe auch, daß die AL für grundlegende Vorstellungen auch weiterhin kämpfen wird. Ich werde jedenfalls dafür kämpfen.

Warum habt ihr keinen eigenen Antrag auf Tolerierung eingebracht und statt dessen die Empfehlung ausgesprochen, sich zu enthalten?

Wir haben keinen solchen Antrag eingebracht, das ist richtig. Aber es gab einen solchen Antrag, und ich hätte für diesen Antrag gestimmt. Unsere Empfehlung bezog sich auf den Antrag, eine Koalition mit der SPD zu beschließen. Für diese Abstimmung haben wir die Enthaltung empfohlen.

Interview: urs

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