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Istanbuls Frauen erobern die Straßen

Innerhalb von 24 Stunden gab es zwei große Frauenkundgebungen am Bosporus / Fundamentalistinnen protestierten gegen Schleierverbot an der Universität / Einen Tag später skandierten 3.000 Feministinnen „Schluß mit dem häuslichen Gefängnis“  ■  Aus Istanbul Ömer Erzeren

Schwarz dominiert. Eine Runde von Frauen, mit Tschador und Turban verhüllt, skandiert militante Parolen: „Wir werden die Hände brechen, die uns entschleiern wollen“, „Das Vaterland ist in die Hände der Ungläubigen gefallen“, „Rushdie, Evren: Hand in Hand“ und „Tod Rushdie“. Die 2.000 schwarzen Frauen sind nach dem Freitagsgebet auf dem Beyazit -Platz vor den Toren der Universität Istanbul zusammengekommen, um ihrem Protest gegen das neue Turban und Verschleierungsverbot an den türkischen Universitäten Luft zu machen.

Mehrere Hundertschaften Polizei sind zusammengezogen, ein Polizeihelikopter dreht am Himmel seine Runden. Der übliche - brutale Polizeieinsatz unterbleibt: „Schwestern, geht doch auseinander“ ruft ein Uniformierter ehrfurchtsvoll den Verschleierten zu. Protestierende „Schwestern“ politischer Gefangener oder der linken Studentenvereine pflegt die Polizei an den Haaren in die Einsatzbusse der Polizei zu zerren.

Ein vergangene Woche ergangenes Urteil des türkischen Verfassungsgerichtes erregt die islamisch -fundamentalistischen Gemüter landesweit. Ein Gesetz der konservativen Regierung Özal, welches das Tragen des Turbans „aus religiösen Beweggründen“ an den Universitäten erlaubte, ist aufgrund eines Formfehlers für verfassungswidrig erklärt worden. Die Aufnahme „religiöser Beweggründe“ in eine Gesetzesbegründung sei mit dem laizistischen Charakter des Staates nicht vereinbar, befanden die Richter.

Der ehemalige Putschgeneral und jetzige Staatspräsident Kenan Evren hatte gegen das Gesetz sein Veto eingelegt und vor dem Verfassungsgericht geklagt. Seinen Anfang nahm der Streit vor zwei Jahren, als die Universitätsverwaltungen das Tragen des Turbans verboten. Angesichts einer Welle der Empörung mußten die Universitätsverwaltungen ihre Kleiderverbote später zurücknehmen. Für den Generalsekretär der islamisch-fundamentalistischen Wohlfahrtspartei, Oguzhan Asiltürk, ist das Verfassungsgerichtsurteil „ein Schlag ins Gesicht der moslemischen, türkischen Nation“. Die regierende Mutterlandspartei des Ministerpräsidenten Turgut Özal und die konservative Oppositionspartei „Partei des rechten Weges“ erwägen per Volksentscheid das Verfassungsgerichtsurteil aufzuheben. Nur die Sozialdemokraten, die traditionellen Gralshüter der säkularen Reformen des Republikgründers Atatürk, sind zufrieden über das „ganz normale“ Urteil des Gerichtes. „Die Verschleierung ist Allahs Gebot, somit richtet sich das Urteil unmittelbar gegen den Koran“, spricht eine der Protestlerinnen vor dem schwarzen Kranz, der vor der Uni niedergelegt ist. „Allah ü ekber“, „Allah ist groß“ dröhnt es auf dem Platz.

Lila dominiert

Üsküdar-Baglarbasi, einer der zentralen Plätze auf der asiatischen Seite der Bosporus-Metropole 24 Stunden später: Wieder stehen mehrere Polizeihundertschaften diesmal rund 3.000 Frauen gegenüber, die die Stadt in Beschlag genommen haben. „Wir Frauen sind da“, ertönt es im Demochor. Lila dominiert. Insgesamt acht Frauengruppen haben zu einer Demonstration anläßlich des Internationalen Frauentages aufgerufen. Da der 8.März auf einen Werktag fiel, fanden Demonstration und Kundgebung drei Tage später statt. Ein weißes Transparent mit Frauenzeichen „8.März Frauensolidarität“ wird vorneweg getragen. Mit Singsang bahnt sich die Frauendemo durch Üsküdar: „Nicht der häusliche Herd, sondern die Welt gehört uns“, „Schluß mit dem häuslichen Gefängnis“, „Unser Körper gehört uns“.

Die Wirkung des ungewohnten Aufmarsches ist enorm. Ganze Familien blicken aus den Fenstern der umliegenden drei- bis vierstöckigen Appartements ungläubig auf die Straße. Sogar in Anwesenheit ihrer Männer winken Frauen den rechts und links durch Polizeikette abgesperrten Demonstrantinnen zu. Männliche Aggression gegen die Demo unterbleibt. Sie wäre Eingeständnis in die Ernsthaftigkeit des Themas. Bleibt nur das selbstgefällige, patriarchalische Schmunzeln. Alle schmunzeln: Der Kringelverkäufer, der Kundschaft erspäht hat und am Rande der Demo mitläuft; die Kfz-Mechaniker der zahlreichen Autowerkstätten, die in Blaukitteln an den Straßenrand gelaufen kommen; die Jugendlichen, die in den Männercafes rumlungern.

Nur die männlichen Sympathisanten - rund 50 Männer, die aus Solidarität am Ende des Demozuges den Frauenmassen hinterhertrotten - mimen ernste Gesichter zum farbenfrohen Spektakel.

Über „eheliche Prügel“, „Sexismus“ wird in den Redebeiträgen gesprochen. „Bislang haben die Männer die Geschichte geschrieben, wir haben jetzt beschlossen, sie selbst zu schreiben“, ruft Banu Paker von der Frauengruppe „Kaktus“ unter tosendem Beifall ins Megaphon. Nur die allgegenwärtige präsente Staatsmacht ist es, die schwarz und lila demonstrierende Frauen verbindet.

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