: Realismus und Offenheit statt Schönfärberei und Verkleisterung-betr.: "Grüne FDP?", Kommentar von Klaus Hartung, taz vom 7.3.89
Betr.: „Grüne FDP?“, Kommentar von Klaus Hartung, taz vom 7.3.89
Es gibt Leute, denen man nichts recht machen kann. Wenn tatsächlich seitens der AL die Ergebnisse der Verhandlungen mit der SPD weniger kritisch kommentiert und optimistischer als große Erfolge angepriesen würden, wäre Klaus Hartung sicher unter den ersten, die der AL (zu recht) eine gefährliche Naivität und Augenwischerei gegenüber den zu erwartenden Problemen vorwerfen würden. Denn die Befürchtung, daß die AL wirklich unter einer Art „Koalitionsbesoffenheit“ leidet und den Zerreißproben künftiger Regierungsarbeit nicht gewachsen sein wird, wäre dann weiter genährt.
Die AL ist gegenwärtig mit sehr widersprüchlichen Anforderungen konfrontiert: Sie muß die Koalition mit der SPD eingehen und den Versuch der praktischen Umsetzung mindestens eines Teils ihrer Ziele machen, sonst würde sie von vornherein an politischer Bedeutung verlieren und viele Hoffnungen enttäuschen. Sie muß sich andererseits davor hüten, in die Situation zu kommen, miese Realitäten und schlechte politische Interventionen als nicht anders machbar zu rechtfertigen und Oppositionsbewegungen zu entmutigen. Sie muß also die positive politische Aufbruchstimmung und die radikale Kritik (auch an ihrem eigenen Regierungshandeln) gleichzeitig fördern. Realismus und Offenheit statt Schönfärberei und Verkleisterung sind gefragt.
Klaus Hartung vermißt statt dessen „Signale des Optimismus“ und sieht die erfreulich offenen und kritischen Stellungnahmen von ALerInnen schon als Indiz dafür, daß die „Stunde der linken BeckmesserInnen geschlagen“ hat. Außerdem wirft er der AL mal wieder stereotyp die Bornierung auf ihre Basis, das bekannte „alternative Ghetto“, vor. Die Bemühungen der AL besonders in den letzten Wochen, durch eine Vielzahl von Diskussionsveranstaltungen und anderen Aktivitäten über das AL-Spektrum hinaus zur Auseinandersetzung und Einmischung in den politischen Prozeß zu mobilisieren, werden dabei von Klaus Hartung geflissentlich nicht erwähnt. Denn die alten stereotypen Vorwürfe kommen ja immer noch ganz leicht und ersparen Klaus Hartung auch das schwierige Nachdenken darüber, inwieweit die relativ kleine politische Wirkungsbreite der AL vielleicht etwas mit gegenwärtig noch bestehenden gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen und Interessen zu tun hat, die nicht so schnell (durch welche programmatischen Zugeständnisse und programmatischen Bündnisse auch immer) grundlegend verändert werden können.
Doris Möhlenhenrich, AL Wilmersdorf
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