: GAR KEIN ANSCHLUSS
■ Wie überlebt man ohne Telefon
Ich kenne einen, der hat in dieser Stadt, ausgerechnet in dieser Stadt, kein Telefon! Aus Prinzip, wie er sagt. Aber das glaubt ihm keiner. Wahrscheinlich kann er die Telefonrechnung nicht bezahlen. Was für einen Grund könnte es sonst geben, sich von der Außenwelt so vollkommen abzuschirmen, so un-, ja nahezu asozial zu sein. Autistisch! Genau, das ist es!
„Wie kontaktierst du eigentlich deine Freunde?“ wurde er hinterhältig gefragt. „Ich treffe mich mit ihnen.“ - „Ja, und woher sollen die wissen, daß du sie treffen willst?“ „Unter Freunden weiß man das auch so“, antwortete er weise. „Und was ist, wenn um acht deine Tür abgesperrt ist und dein Besuch kommt nicht rein?“ - „Mein Besuch“, lobt er den Erziehungswert des telefonlosen Daseins, „kommt immer pünktlich.“
Leben ohne Telefon, unvorstellbar. Schnell mal beim Finanzamt anzurufen, um Bescheid zu sagen, daß man die Lohnsteuerunterlagen braucht. Anstatt sich auf den umständlichen Weg zu machen, sie selber abzuholen. Jedesmal, wenn es an der Tür klingelt, öffnen, ohne zu wissen, wer es sein könnte, anstatt sich auf telefonische Voranmeldung verlassen zu können. Keine lästigen Bekannten und Verwandten mehr abwimmeln zu können unter dem Vorwand, man sei gerade irrsinnig beschäftigt, während man faul auf dem Sofa lümmelt. Dem Liebsten einen Brief zu schreiben, in dem die Äußerungen auf Jahre dokumentiert sind und einem auch noch in jeder Situation unter die Nase gerieben werden können, statt abstreiten zu können, daß man das jeweilig Inkriminierte jemals gesagt hätte. Gräßlich!
Sicher, so toll ist es auch nicht, wenn morgens um acht das Telefon klingelt und ein unbekanntes Schulkind irgendeine Kati abholen will. Oder wenn man sich gerade ein Ei in die Pfanne gehauen hat ans Telefon rast, weil's ja wichtig sein könnte, und dann war's bloß falsch verbunden und das Ei ist verbrutzelt. Auch kein paralysiertes Starren auf die hinterlistige Kiste, wenn ein sofortiger Rückruf versprochen wurde, der dann zwei Stunden später kommt und deshalb unerwartete Aggressionen freisetzt.
„Siehst du“, sagt der Mann ohne Telefon, „der Apparat macht dich doch wahnsinnig. Du wirst kontrollierbar. Jeder weiß, ob du zu Hause bist oder nicht, ob du tatsächlich krank im Bett liegst oder fröhlich unterwegs bist, und vor allem ob du stundenlange Gespräche mit jemandem führst, obwohl du sagtest, daß du deine Ruhe haben willst. Man kann deine Nachtruhe stören und dich mit Unflätigkeiten belästigen. Du bist eine öffentliche Person.“
Der Mann irrt. Es gibt Anrufbeantworter zum Filtern der gewünschten und unerwünschten Anrufe. Das muß ich ihm unbedingt noch sagen. Aber er hat ja kein Telefon.
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