: Zwischen völligem und barem Unsinn
■ Senator hält behördeninterne Gesamtschulkritik für gutes Zeichen und falsche Meinung / Schulratspapier zur Bremer Schullandschaft nur „dialektische Antithese“
In der Behörde von Bildungssenator Franke geht es ungefähr zu wie in einer 10. Schulklasse. Für durchschnittlich 16 -jährige ist dann laut Franke-Lehrplan „die Erörterung“ dran. Und die geht so, weiß der ehemalige Lehrer Horst Werner Franke: Die Schüler bilden zu einem zu erörternden Begriff erstens eine befürwortende These, zweitens deren Antithese, suchen dann die jeweils stützenden Argumente und bilden im Schlußteil die Synthese, also ihre eigene Meinung. „Einigermaßen lächerlich“ ist deshalb für den ehemaligen Pauker und heutigen Politiker Franke, wenn aus diesem Meinungsbildungsprozeß die „Antithese“ herausgelöst und isoliert betrachtet wird.
„Einigermaßen lächerlich“ ist deshalb für Franke auch der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Klaus Bürger. Bürger hatte am Montag der Presse ein behördeninternes Papier zum Stand der schulischen Integrationsbemühungen zugänglich gemacht. Darin hatte Frankes Oberschulrat Lothar Voßmeyer „mangelnde Akzeptanz der integrierten Gesamtschule bei Lehrer- und Elternschaft“ beklagt und „fehlende politische Durchsetzungskraft“ für ihr Konzept konstatiert. (vgl. taz vom 21.3.)
Die Echtheit des Papiers, das Franke gestern eilig, vorsorglich und offiziell allen Bildungsdeputierten zukommen ließ, bestritt auch der Bildungssenator gestern nicht. Umso heftiger widersprach Franke dafür allen Rückschlüssen, bei dem Papier handele es sich um das offizielle Eingeständnis einer seit Jahren verfehlten Schulpolitik. Für Franke ist das Voßmeyer-Papier nichts weiter als „eine Meinung unter vielen“ in seiner Behörde, Antithese in einem an der schulischen Aufsatzform der Erörterung orientierten Lernprozeß und damit beruhigendes Zeichen, „daß in meiner Behörde noch gedacht wird“.
Um den schulischen Charakter des Voßmeyer-Papiers zu unterstreichen, griff Franke gestern zu einem besonderen Beweismittel: Er überließ JournalistInnen sein persönliches Exemplar der Oberschulrats-Gedanken zur integrierten Gesamtschule, verziert mit den handschriftlichen Kommentaren des Senators höchstselbst. Die steigern sich von „reine Theorie“ über „Unsinn“ zu „barer Unsinn“, „schroff und hochmütig“ bis zu „völliger Unsinn“.
Für „völligen Unsinn“ hält Franke etwa die Auffassung seines Schulleiters, mit der Gründung des Bilingualen Gymnasiums stehe „eine fundamentale Durchbrechung der Orientierugsstufe bevor, deren Konsquenzen noch gar nicht absehbar“ seien. Beim eigentlichen Kernsatz des Papiers, der Gesamtschule fehle es an der nötigen Akzeptanz, notiert Franke allerdings sehr moderat: „So (unterstrichen) total meines Erachtens nicht.“
K.S.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen