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TRÜGERISCHE LUSTIGKEIT

■ August Walla im Kunstamt Wedding

„Ich werde mich verzaubern auf drei 3 III Stunden, solche lange Zeiten, zu einem stinkenden häßlichen Stinkteuferle im zinnoberroter, so schönroten Schwimmhosen.„ aus Wallas Zaubermeister

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Naiv und lustig, das dachte ich von den bunten Bildern August Wallas zuerst und freute mich. Da war ich noch selbst die Naive. Dann verwirrte mich die Häufung der politischen und religiösen Symbole. Erst allmählich begann ich zu ahnen, wie intim Wallas Mitteilungen sind, und ein wenig schlich sich in die Betrachtung das schlechte Gewissen des Voyeurs ein. Je mehr ich dann über den Maler las, desto trauriger wurde das, was die Bilder erzählten.

„Herr Fleischhacker Blaubart, schlachtet Menschen ab“, schreibt er über eine Farbstiftzeichnung. Der Fleischhacker hat ein Beil und ein Messer in den Händen und grinst. Neben ihm lacht mit roten Backen der bekrönte „Gott/Teufel/Luceföhrs/Satans/Mefisto“ (die Identität der Figuren sichern in sie hineingeschriebene Namen) und sagt: „Ich bin ein kluger Menschenfresser“. Daneben stehen noch ebenso frontal und über das ganze Gebiß die Zähne fletschend ein hochbemützter Russensoldat und der Räuber Stalin.

Ein gruseliges Märchen für Kinder, bei dem man zum Schluß doch lachen muß? Oder gar eine politische Karikatur? In Wallas Bildern und Zeichnungen wimmelt es von Göttern, Teufeln, Halbteufeln, Nazis, Russen und Idioten. Weitere Hauptpersonen sind er selbst, meist als August Walla, manchmal als Adolf Hitler ähnlicher, seine Mutter und die tote Großmutter, auch sie mit österreichischen Parteiabzeichen, Hakenkreuzen, Hammer und Sichel verziert. In einer Zeichnung stellt er sich die ganze Familie als christlich kommunistische Engel mit wunderbaren Flügeln vor, in einem sternenübersäten Himmel. Fasziniert ist er auch von den „Selbstmördern“ und in einer Zeichnung von Klosterneuburg, seiner geliebten Heimat, versieht er die Donau mit Selbstmördern (beschriftet: „Elternloser Selbstmörder war erschossen ins Wasser worfen worden, der Donau“).

Die Keimzellen seiner Bilder stellen Texte dar, eigenartig dysgrammatische Sätze, zusammengesetzte Namen, Beschimpfungen, Blasphemien und Beschwörungen, die der Entschlüsselung bedürfen. Dazwischen wachsen meist über die ganze Höhe der Bildfläche die Figuren, reich ornamentiert mit Kreuzen, Parteiabzeichen, Totenschädeln und kleinen Mustern und ausgemalt mit der ganzen Pracht, die der Buntstiftkasten oder die Deckfarben zu bieten haben. In die engen Lücken zwischen den Figuren quetschen sich weitere Symbole, Tiere, satanische Schlangen, Blumen, Teiche, Häuser, Kirchen und Bäume - kurz: die Welt. Welten kennt Walla mehrere: die Erde, die Welt der Vorstellung, die der Toten und Gespenster.

August Walla, 1936 geboren, wurde 1970 von Leo Navratil als Künstler entdeckt. Erst Navratil diagnostizierte die Schizophrenie Wallas, der bis dahin als schwachsinnig gegolten hatte. Walla sprach lange mit niemandem außer seiner Mutter, und der Arzt wurde erst durch dessen Schönschrift auf seine Fähigkeiten aufmerksam. Navratil, Dr.med. et phil., Autor vieler Bücher über Kunst und psychische Störungen, Abteilungsleiter im Niederösterreichischen Landeskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Klosterneuburg-Gugging, gründete dort 1981 ein „Haus der Künstler“, in dem die Künstler unter seinen Patienten zusammenleben und in ihrer Kreativität unterstützt werden. Weniger die therapeutische Funktion des Malens scheint dabei für ihn im Vordergrund zu stehen, als vielmehr der Wunsch, den Reichtum, die Fremdartigkeit und Ursprünglichkeit der Kunst dieser Menschen zu fördern, zu veröffentlichen und zu bewahren. In diesem „Haus der Künstler“ lebt seit 1983 auch August Walla.

„Idiotenanstalt“ schrieb er vor dem Künstlerpavillon auf das Pflaster. In einem Bild, das er genau datiert hat am 6.Februar 1985, wird die schmerzhafte Ambivalenz erahnbar, sich mit den „Idioten“ zu identifizieren und zugleich die der Bezeichnung „Idiot“ impliziten Beschimpfung defensiv nach außen zu wenden. Er malt „Markus als ein Idiot.! KPö!“, ein nackter dunkelroter Kerl, der die österreichische Fahne schwenkt, gleichzeitig eine wunderbar gelb im Mondlicht leuchtende Pfütze pinkelt und sagt: „Bin ein dummer Idiot, weil dumm mich erschuf der liebe Gott, Docktor Karl Renner ist dumm, Kaiser Franz Josef ist dumm, und Gott ist dumm.!“

Eine Gestalt mit langen Haaren und Hörnern, bezeichnet sowohl als Göttin Maria und als Teufel, verrät etwas von dem Konflikt zwischen dem Wunsch nach Liebe und Geborgensein und der Angst vor Strafe, den religiös besetzte Figuren für Walla verkörpern. In sein Selbstporträt im gleichen Bild schreibt er Schelte und Verteidigung: „Lügner sind dumm.“ und in viel kleineren Buchstaben: „schimpft nicht den August“. Wie tief die Bilder in die schweren Konflikte seiner Person hineinreichen, wie genau sie den Kampf um die Einheit der eigenen Identität nicht nur protokollieren, sondern darin sogar zu seiner lebensnotwendigen Waffe werden, um sich gegen die ihn bedrängenden Stimmen zu wehren, wurde mir erst durch Navratils Buch über das Leben und die Kunst von August Walla deutlich. Die Bilder sind Teil seiner Selbstüberzeugung von der Eindeutigkeit seiner Person. Auf der Suche nach der geschlechtlichen Identität erhalten auch die politischen Symbole ihre Bedeutung. Im Bild „Russische Operation“ erzählt Walla, wie dem Nazimädchen Augustine Walla die Brüste weggeschnitten und ein Penis angesetzt wurde, der ihn zum kommunistischen Doppelknaben August machte.

Walla wuchs in einem zuerst von den deutschen Nationalsozialisten, dann von der Sowjetunion besetzten Österreich auf. Als hätten sich ihm deren Symbole übermächtig in die Augen gebrannt, als etwas für die Kennzeichnung der eigenen Identität unbedingt Notwendiges, als unverzichtbarer Bestandteil der Person, so behält er sie bei und bestimmt ihren Sinn in seiner Welt. Als weitere Macht, der man sich nicht entziehen kann, erfuhr er die katholische Kirche und begriff sie als Gegner seiner sexuellen Bedürfnisse. Er selbst rechnet sich daher den Halbteufeln zu.

Briefe, in denen seine Mutter amtliche Personen bat, August bei ihr zu lassen und nicht in eine Anstalt einzuweisen, schrieb er mit seinen schön gemalten Buchstaben ab. Vielleicht liegt in dem amtlichen, über sein und das Leben seiner Mutter entscheidenden Schriftverkehr ein Motiv für seinen Glauben an die Macht der Schrift. Zu sprechen hat für ihn kaum Bedeutung, im Schreiben aber entfaltet er Magie und Beschwörung. Mit Leidenschaft sammelt er Wörter und setzt sie neu zusammen. Sein Sprachtrieb, nicht durch den gewöhnlichen Gebrauch kanalisiert, sucht und erfindet Neues. Mit Vorliebe übersetzt er mit Wörterbüchern seine Wörter ins Lateinische und Russische und wünscht sich indonesische und koreanische Wörterbücher. In diesem Verfügen über fremde Sprache liegt Geheimnis: der Code der Eingeweihten und Initiierten, die sich mit den vielen Göttern seiner Welt verständigen können.

Katrin Bettina Müller

August Walla im Kunstamt Wedding, Walter-Rathenau-Saal, Müllerstraße 146, 1/65, und im Schinkelsaal, Alte Nazarethkirche auf dem Leopoldplatz. Bis zum 28.April, geöffnet Mo-Fr 10-18, So 12-16 Uhr, Eintritt frei.

Leo Navratil: August Walla. Sein Leben & seine Kunst. Erschienen im Greno Verlag, Nördlingen 1988. 60 Mark.

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