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Familiensinn bei Eigenheimbesitzern

■ Seit dem BVG-Urteil zur Eigenbedarfskündigung bei Eigentumswohnungen entdecken Berliner Vermieter den Hang zu familiärer Nähe

„Nach dem neuen Gesetz ist es eindeutig, daß wir das Mietverhältnis aufgrund des Eigenbedarfs beenden können. Kernsatz des Urteils: Es sei das Recht des Eigentümers, sein Leben unter Gebrauch seines Eigentums so einzurichten, wie er dies für richtig hält.“

Frau R., Besitzerin einer vermieteten Eigentumswohnung in Berlin, hat die Selbstverwirklichung entdeckt. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) machte es möglich (die taz berichtete). Seit das BVG am 14. Februar beschloß, daß der Wunsch eines Wohnungseigentümers, seine Mietwohnung für sich oder Verwandte zu nutzen, hoch zu achten sei, greift der Familiensinn in Eigentümerkreisen um sich. Um 50 Prozent hätten sich die Kündigungen wegen Eigenbedarfs seit dem BVG -Urteil erhöht, bestätigte der Berliner Mieterverein. Ob die Gründe für die Kündigung tatsächlich „vernünftig und nachvollziehbar“ sind, wie es das Urteil verlangt, ist in der Regel jedoch kaum nachzuprüfen. Da wird die Mutter angeführt, die nach dem Tod ihres Ehemannes im gleichen Haus wie Tochter und Schwiegersohn wohnen will. Nachvollziehbar ist es, wenn jemand in der Nähe der Lieben wohnen möchte, aber vernünftig, wenn eine adäquate Wohnung vorhanden ist? Oder die verheiratete Tochter, die ein Kind erwartet und die Großeltern zur Betreuung des Kindes braucht, was, wie die Vermieter gleich anfügen, nur gewährleistet werden kann, wenn die Kleinfamilie im gleichen Haus wohnt.

Aber nicht nur die neue Familiennähe wird als Grund für Kündigungen angegeben. „Durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses mit Ihnen werde ich an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung der Wohnung gehindert und erleide dadurch erhebliche Nachteile“, schreibt Frau H., die, wie sie sagt, ihre Wohnung nur in unvermietetem Zustand verkaufen kann, ihrer Mieterin. Tatsächlich scheint das BVG -Urteil für einen Boom auf dem Immobilienmarkt zu sorgen. „Lange Zeit wie Blei am Immobilienmarkt liegende Eigentumswohnungen“ würden jetzt flotter verkauft, meldet zukunftsfroh der „Finanzbrief“, eine Kölner Informationsschrift. Bislang hätten sich potentielle Investoren gescheut, ihr Geld in Immobilien anzulegen. Spekulative Weiterverkäufe des Vier-Wände-Eigentums sind durch erschwerte Entmietung erheblich blockiert gewesen. Vorsicht sei allerdings bei allen angebotenen Objekten in Berlin am Platze, schreibt der „Finanzbrief“ weiter. Da gibt es nämlich eine rot-grüne Koalition, und bei der sei zu befürchten, daß man „als Hausbesitzer nicht auf seine Kosten“ komme.

Noch sehen die Hausbesitzer zu, wie sie ihre Schäfchen ins Trockene bringen. Die Angst der Mieter vor der Eigenbedarfskündigung ist für einige ein guter Grund, um anderweitige Mietforderungen einzuklagen.

Der Hausverwalter und -besitzer H. drohte seinen Mietern, die eine Mieterhöhung nicht akzeptieren mochten, gleich mit der Ausschöpfung seiner Rechte: „In diesem Zusammenhang überlege ich mir im Zusammenwirken mit meinem Vater (Rentner/Westdeutschland) auch eine Eigennutzung. (...) Sie können nicht davon ausgehen, daß ich Ihnen in irgendeiner Weise entgegenkomme, wenn Ihrerseits (...) Kosten nicht anerkannt werden.“ So mancher zahlt da lieber, statt sich dem Risiko einer Kündigung auszusetzen. Willkür regiert, so Reiner Wild vom Mieterverein. Rot-Grün aber auch.

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