: Industriesoziologie am Bau
■ Hochschul-Tagung über Bauwirtschaft / Schlechtes Image stößt Jugendliche ab Bau-Konzerne rüsten für den großen Konkurrenzkampf - auf Kosten der Arbeiter?
Die Industriesoziologie hat sich mit der Automation, der CNC -gesteuerten Werkzeugmaschine oder auch dem Drucker-Gewerbe befaßt - das Baugewerbe haben die Sozialwissenschaaftler immer links liegen gelassen. Diese Lücke ein wenig zu schließen, könnte das Ergebnis einer Tagung über „Arbeit, Beschäftigung, Qualifikation in der europäischen Bauwirtschaft“ sein, die Dr. Gerd Syben für die Hochschule Bremen organisiert hat. WissenschaftlerInnen aus neun europäischen Nationen wollen über den Bau-Arbeitsmarkt, über neue Technologien, Ausbildungsprobleme und das soziale „Image“ der Bauberufe referieren.
Thema der Tagung sind u.a. die unterschiedlichen Formen, in denen in Europa auf die Konjunkturabhängigkeit des Bau -Geschäftes reagiert wird. In Ländern wie Großbritannien und Italien steigt die Zahl der Beschäftigten in den Sommer -Monaten stark an. In Frankreich oder der Bundesrepublik gibt es vergleichsweise mehr stabile Arbeitsverhältnisse, also höhere Kosten, aber auch Vorteile bei der Beherrschung komplizierterer Technologien und bei der Qualitäts -Garantie.
Thema der Tagung sind auch die Arbeitsformen selbst. Weder die Beton-Konstruktionen noch die Fertighäuser haben sich im Baubereich richtig durchsetzen können, es bleiben viele traditionelle Arbeitsvorgänge, aus denen sich das Selbstbewußtsein der Bauarbeiter speist. Rationalisie
rung durch Computer-Einsatz gibt es nur im Planungsbereich. Aufgrund der rohen Arbeitsbedingungen ist aber das soziale Image der Branche schlecht, unter den Jugendlichen mit Realschul-Abschluß finden sich kaum Interessenten für einen Ausbildungsplatz. Die Folge: Ca. 8.000
neuen Ausbildungsverhältnissen standen 1988 ca. 10.000 freie Azubi-Stellen gegenüber.
Noch schlechter ist die Ausbildungssituation in Großbritannien, und seitdem in den 80er Jahren die Süd-Nord -Wanderung von Arbeitskräften aufgehört hat, hat selbst Italien Facharbeiter
Nachwuchsprobleme. Auf der Tagung, auf der bis zum Samstag 13 WissenschafterInnen referieren, wird auch Gunter Kirchner aus Weimar über Arbeit und Qualifikation bei „städtischen Umgestaltungsmaßnahmen“ in der DDR berichten.
In seinem Eröffnungsreferat am Mittwoch abend hat der IG Bau-Vorsitzende Carl darauf hingewiesen, daß die deutschen Gewerkschafen nicht davon ausgehen, das deutsche Mitbestimmungsmodell sei auf andere Länder übertragbar. Die Regelung, daß bei öffentlichen Bauaufträgen die örtlich geltenden Tarif-Bestimmungen respektiert werden müssen, sieht Carl als großen Erfolg der Gewerkschaften an. Offen ist allerdings, ob die Mitbestimmung für die Zentralen auch gelten, wenn diese im Ausland sitzen. Die Bundesrepublik erlebe derzeit „eine nie dagewesene Welle von Unternehmenskäufen und - Fusionen“. Das Bundeskartellamt werde in den nächsten Monaten „Geldbußen in Höhe von mehreren 100 Mio. DM gegen die führenden deutschen Zementproduzenten“ verhängen. Die Unternehmen suchten ein komplettes Dienstleistungsangebot von der Kreditvermittlung über die Bauleistung bis zur Innenausstattung zusammenzukaufen. Die für die Gewerkschaften entscheidende Frage formulierte der IG Bau-Chef Carl so: „Soll der Wettbewerb um Bauaufträge auf dem Rücken der Arbeitnehmer am Bau ausgetragen werden oder nicht?“
K.W.
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