: Katholiken verbarrikadieren sich
Seit dem Attentat der IRA, bei dem zwei Zivilisten getötet wurden, hält die Stadt Coagh in Nordirland den Atem an ■ Aus Coagh Ralf Sotscheck
Seit dem Anschlag der „Irisch-Republikanischen Armee“ (IRA) vor zehn Tagen, bei dem drei Protestanten getötet wurden, hält der Ort Coagh im Osten der Grafschaft Tyrone in Nordirland den Atem an, weil Racheakte protestantischer Organisationen zu erwarten sind. Ein Auto war mit hoher Geschwindigkeit in das Dorf gerast und hatte vor der Tankstelle und Autowerkstatt von Leslie Dallas gestoppt. Zwei Männer sprangen heraus und eröffneten sofort das Feuer aus automatischen Gewehren. Leslie Dallas sowie die beiden Rentner Austin Nelson und Ernie Rankin starben im Kugelhagel. In ihrer Presseerklärung behauptete die IRA, die Tankstelle sei ein Treffpunkt der protestantischen „Ulster Volunteer Force“ (UVF), die dort ihre Mordanschläge auf Katholiken plane. Die beiden Rentner seien in dem Durcheinander versehentlich getötet worden. Sämtliche irischen Parteien und Kirchenführer waren sich einig in der Verurteilung der Tat. Selbst Sinn-Fein-Präsident Gerry Adams sagte, er könne den Anschlag nicht entschuldigen.
Für die meisten Bewohner Coaghs kam das Attentat nicht überraschend. „Daß so was passieren würde, war zu befürchten“, sagt Deirdre, eine Hausfrau aus Coagh. „Es ist ein Wunder, daß es nicht schon früher geschehen ist.“ Ost -Tyrone ist seit Beginn des Konflikts vor 20 Jahren eine der unruhigsten Gegenden in Nordirland. In Coagh leben fast ausschließlich Protestanten. Lediglich am Ortsausgang in Richtung Ardboe gibt es eine kleine Siedlung, in der 18 katholische Familien wohnen. Coagh ist eine protestantische Enklave inmitten katholischem Territorium. Der Stadtrat in Coagh wird seit jeher von den Unionisten beherrscht, und der Ort ist berüchtigt für unionistischen Machtmißbrauch und Unterdrückung der katholischen Minderheit. In den siebziger Jahren entstand in Coagh eine Reihe von paramilitärischen Gangs, die wahllos Katholiken ermordeten. Das wiederum führte dazu, daß sich die Ost-Tyrone-Brigade der IRA zu einer der aktivsten in Nordirland entwickelte. Die Angriffe der IRA in Ost-Tyrone richteten sich vor allem gegen Kasernen und Angehörige des Ulster Defence Regiments (UDR), die nordirische Einheit der britischen Armee. Das UDR besteht fast ausschließlich aus Protestanten. Angriffe auf das UDR werden deshalb von den Protestanten als Anschläge gegen die gesamte protestantische Bevölkerungsgruppe gewertet. Viele Angehörige der Einheit sind gleichzeitig Mitglieder in loyalistischen paramilitärischen Organisationen und benutzen die Informationen, die sie „im Dienst“ gesammelt haben, um nach Dienstschluß Anschläge auf Katholiken und republikanische Aktivisten zu verüben.
Die Ulster Defence Association (UDA) hat seit Anfang des Jahres ihre Anschläge vor allem auf Mitglieder und angebliche „Sympathisanten“ von Sinn Fein, den politischen Flügel der IRA, verstärkt. Höhepunkt der Kampagne war der Mord an dem Belfaster Rechtsanwalt Pat Finucane im Februar. In Ost-Tyrone tötete die UDA-Einheit den Sinn-Fein-Landrat John Davey sowie den Bruder eines weiteren Landrats und verletzte drei Sinn-Fein-Wahlhelfer schwer. Über die Identität der Gruppe ist wenig bekannt. Fest steht, daß sie ausgezeichnete Verbindungen zu den „Sicherheitskräften“ hat, von denen sie mit Informationen über ihre Opfer versorgt wird. Möglicherweise erhält sie bei ihren Anschlägen personelle Unterstützung von der gut ausgebildeten Belfaster UDA, von der sie auch mit Waffen beliefert wird. Nach dem Mord an Finucane hat die UDA angekündigt, verstärkt gegen die IRA und „diejenigen, die ihr dienen“, vorzugehen.
Die IRA hat in Ost-Tyrone bewiesen, daß sie keine Schwierigkeiten hat, neue Mitglieder zu rekrutieren. 21 führende Leute hat die Organisation in den vergangenen Jahren verloren. Dennoch sind gerade der Ost-Tyrone-Brigade im letzten Jahr einige spektakuläre Anschläge wie zum Beispiel das Bombenattentat auf einen britischen Armeebus in Ballygawley, bei dem acht Soldaten getötet wurden, gelungen. Der dreifache Mord in Coagh wirft jedoch die Frage nach Erfahrung und politischer Ausbildung der neuen IRA -Mitglieder auf. Der Anschlag in Coagh widerspricht der Politik der IRA, Zivilopfer zu vermeiden. Erst im Januar hatte Gerry Adams auf dem Parteitag von Sinn Fein die IRA ausdrücklich aufgefordert, bei ihren Anschlägen sorgfältig vorzugehen und keine Zivilisten zu gefährden. Die IRA hat angekündigt, ihre Aktionen zum August, wenn sich die Entsendung britischer Truppen nach Nordirland zum 20. Mal jährt, zu verstärken. Das veranlaßte den britischen Innenminister Douglas Hurd zu der Feststellung, daß die IRA durch eine politische Lösung des Konflikts nicht besiegt werden kann: „Sie muß ausgerottet werden.“ London wird in Zukunft offensichtlich noch mehr als bisher auf eine militärische Lösung setzen.
Der politische Schaden des Attentats von Coagh wird sich für Sinn Fein in Grenzen halten. Leslie Dallas, der Tankstellenbesitzer, galt als protestantischer Extremist. Sein Name wurde immer wieder im Zusammenhang mit Morden und Bombenanschlägen auf Katholiken erwähnt. Für die wenigen Katholiken in Coagh brechen jedoch harte Zeiten an. Einige wollen in „katholische“ Orte umziehen. In der letzten Woche verbarrikadierte eine katholische Familie im Zentrum von Coagh Türen und Fenster. Der Gegenschlag von UVF und UDA wird nicht lange auf sich warten lassen.
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