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Kleeblatt und Sichel

Gorbatschow auf Kurzbesuch in Irland / Historische Zwischenlandung höflich als Meilenstein bezeichnet  ■  Aus Dublin Ralf Sotscheck

„Mit dem Besuch Gorbatschows wird die Rolle des irischen Regierungschefs Charles Haughey als internationaler Staatsmann bestätigt“, schrieb die 'Irish Times‘ am Wochenende euphorisch. Gestern um 11.25 Uhr Ortszeit war es dann soweit: Die Aeroflot-Maschine mit dem sowjetischen Partei- und Regierungschef Michail Gorbatschow landete unter strengen Sicherheitsvorkehrungen auf dem Flughafen Shannon im Westen Irlands - fünf Minuten zu früh, was die für ihre Unpünktlichkeit berüchtigten Iren einigermaßen verblüffte. Es war der erste offizielle sowjetische Staatsbesuch auf der grünen Insel.

Haughey beeilte sich festzustellen, daß das „historische Treffen“ auf Wunsch Gorbatschows zustande gekommen sei. Das Treffen hatte jedoch mehr symbolischen Charakter, weil die Gespräche zwischen Gorbatschow, Außenminister Schewardnadse und Haughey sowie drei Ministern nur 40 Minuten dauerten, wobei die Hälfte der Zeit für Übersetzungen draufging. So gab es zwar einen roten Teppich, auf die Ehrengarde und die Musikkapelle wurde aber aus Zeitmangel verzichtet.

Nach der Begrüßungsrede, die Haughey zur Begeisterung der Ehrengäste in russischer Sprache eröffnete, wurden die beiden First Ladies zu einem Blitzbesuch in den nahegelegenen „Bunratty Folk Park“ gefahren, während sich die Staatsmänner zu einem Arbeitstreffen zurückzogen. Bei dem Small talk betonte Haughey, daß Irland als einziges „neutrales“ Land der Europäischen Gemeinschaft ein idealer Ort für das nächste Gipfeltreffen zwischen Gorbatschow und US-Präsident Bush wäre. Haughey stellte die gemeinsame Haltung beider Länder in der Frage der atomaren Abrüstung heraus. Außerdem sprach er die anglo-irischen Beziehungen an und wies auf die vielen irischen Gefangenen hin, die wegen angeblicher „terroristischer Straftaten“ in britischen Gefängnissen sitzen, obwohl sie der Beweislage nach unschuldig sind.

Diese Fakten dürften sich für Gorbatschow als nützlich erweisen, wenn er sich ab Mittwoch zu einem Staatsbesuch in London aufhält. Amnesty international hatte nämlich am Wochenende die britische Premierministerin Margaret Thatcher aufgefordert, bei ihrem Treffen mit Gorbatschow die Frage der politischen Gefangenen in der UdSSR anzusprechen. Nun kann er kontern.

Ein wichtiger Punkt des Kurzgesprächs waren wirtschaftliche Fragen. Die ökonomischen Beziehungen zwischen Irland und der UdSSR stagnierten in den letzten Jahren, obwohl sich die irische Flughafengesellschaft „Aer Rianta“ Aufträge für die Überholung der Aeroflot-Maschinen und für die Einrichtung des ersten sowjetischen „Duty-free-Shops“ in Moskau sichern konnte.

Kurz angesprochen wurden außerdem die Beziehungen der Sowjetunion zur EG, da Irland im ersten Halbjahr 1990 die EG -Präsidentschaft übernehmen wird. Konkret vereinbart wurde die Unterzeichnung eines Kulturabkommens im Herbst in Moskau. Irland ist das einzige EG-Land, das bisher noch kein Kulturabkommen mit der UdSSR hat. Diplomatische Beziehungen bestehen erst seit 1974.

Kurz nach 13 Uhr gab es noch eine Pressekonferenz, auf der sich sämtliche Fotografen der Insel drängten. Dann war die historische Zwischenlandung, die Gorbatschow höflich als Meilenstein bezeichnet hatte, vorbei. Der rote Teppich wurde eingerollt und die Aeroflot-Maschine entschwand in Richtung Kuba - mit Siebenmeilenstiefeln.

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