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Isolationshaft ist Folter

■ 350 TeilnehmerInnen auf Diskussionsveranstaltung zum Hungerstreik / Mutter des in Stammheim sitzenden Ricco Prauss berichtete über Haft und Widerstand

Auf dem Podium im Konsul-Hackfeld-Haus bezeichnte am Montag abend ein riesenrotes Transparent das Thema: „Zusammenlegung der Gefangenen aus RAF und Widerstand in ein oder zwei große Gruppen - JETZT“. Am 62. Tag des Hungerstreiks sahen es rund 350 TeilnehmerInnen offensichtlich genauso wie die VeranstalterInnen: Es müssen sofort glaubwürdige Verhandlungen mit den Hungerstreikenden aufgenommen werden und zumindest „Zwischenlösungen“ gefunden werden, wenn Tote verhindert werden sollen. Die Anzeichen dafür stehen nach Auffassung eines der Referenten allerdings schlecht, nachdem der Vorschlag des Berliner Bürgermeisters, Walter Momper, bei den Länder-Justizministern auch am Widerstand SPD -regierter Bundesländer gescheitert war. Resumee auf dem Podium: „Die Betonfraktion bestimmt jetzt wieder die Linie.“

Für diese Interpretation spre

chen für die „Initiative für die Zusammenlegung der politischen Gefangenen“ auch die „Pseudoverhandlungen“ des Staatssekretärs im Bundesjustizministerium, Kinkel, mit den politischen Häftlingen. Ihr Ergebnis: Die Hungernden können sich zu Tode hungern oder ihren Hungerstreik abbrechen. Kompromisse gibt es so oder so nicht.

Daß die unbedingt nötig sind, belegte für die Referenten nicht nur die lebensbedrohliche Situation einzelner Hungerstreikender, sondern auch der grundsätzliche Charakter der Isolationshaft. Den idyllischen Bildern von „Luxuszellen mit Radio und reichem Zeitungssortiment“ setzten sie einen historischen Abriß über die „Perfektionierung der Folter durch Forschung“ entgegen und berichteten von langfristigen Forschungsprojekten über Folgen der Isolationshaft. Danach ist unzweifelhaft: Ein Leben unter Bedingungen völliger Reizisolation, lautlos, kontaktlos, zeitlos, führt

nicht nur zu physischen Krankheiten, sondern auch zu psychischen und geistigen Schäden. Die Persönlichkeit verändert sich radikal. Zusammenfassung der beiden ReferentInnen: „Isolationshaft ist kein Programm, die Knäste ausbruchsicher zu machen, Isolationshaft ist ein Vernichtungsprogramm zur Zerstörung der Gefangenen.“

Dem stimmte auch die Mutter des in Stammheim inhaftierten und in erster Instanz zu neun Jahren verurteilten Ricco Prauss zu. Allerdings hatte Helga Praussauch einen Beleg dafür, wie wenig diese „Vernichtungsstrategien“ bislang aufgegangen seien: den letzten Brief ihres Sohnes. Eine Beschreibung Stammheimer Alltags, die mit ihrem Humor, ihrer Präzision, ihrer analytischen Sensibilität den stumpfen Haftbedingungen widersteht, sie bestätigt, ohne ihnen zu erliegen. Und das obwohl, Ricco Prauss die öffentliche Berichterstattung über den Hungerstreik „nur noch an

der Größe der Löcher“ in seinen zensierten Zeitungen ablesen kann und die taz ihm sogar ganz gestrichen worden ist.

Helga Prauss war nach einem Urteil ihres Sohnes früher auch mal eine Frau, „die so viel geschnallt hat und trotzdem nichts tat“. Wie man solchen Leuten heute die Ernsthafigkeit des Hungerstreiks und die zerstörerische Wirkung der Isolationshaft erklären könne, wollte eine Frau aus dem Publikum wissen und hatte gleichzeitig den Verdacht, daß es wenig nützt, „parolenbrüllend zwischen Hauptbahnhof und Marktplatz hin- und her zu rennen.“ Darauf wußte auch die patente Helga Prauss keine Patentrezepte mehr. Ihre Befürchtung: Leider bildet die Fernsehberichterstattung über den Hungerstreik bei allzu vielen entweder Gelegenheit, ein neues Bier zu holen, oder einen wohligen Nervenkitzel. Dann nämlich, wenn's wirklich Tote gibt.

K.S.

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