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Ein anachronistisches Urteil in Sevilla

Nach neun Jahren Wartezeit sind im spanischen Sevilla Mitarbeiter einer Klinik zu hohen Haftstrafen verurteilt worden / Sie hatten Abtreibungen durchgeführt / Für die Hauptangeklagten zusätzlich 30 Jahre Berufsverbot / Urteil hätte in die Franco-Zeit gepaßt  ■  Aus Sevilla Antje Bauer

Eine zweifelhafte juristische Neuerung hat ein Gericht in Sevilla eingeführt: ein Urteil in Etappen. Der Prozeß gegen acht Mitglieder der Klinik „Los Naranjos war nach neun Jahren Wartezeit am vergangenen Donnerstag in Sevilla eröffnet und bereits am gleichen Tag abgeschlossen worden. Montag nacht folgte der Urteilsspruch: ein Jahr Haft und sechs Jahre Berufsverbot wegen Durchführung von Abtreibungen für die vier Hauptangeklagten sowie vier Monate Knast für den Gynäkologen der Gruppe wegen Mitwisserschaft. Die übrigen drei Angeklagten wurden freigesprochen.

Am Dienstag stieß der Vorsitzende Richter Augustin del Rio jedoch noch einmal kräftig nach. Das Urteil sei falsch verstanden worden, erklärte er. Die Strafen der vier Hauptangeklagten seien mit fünf zu multiplizieren, da es sich um fünf Abtreibungen gehandelt habe. Also fünf Jahre Gefängnis und dreißig Jahre Berufsverbot. Mit diesem Zuschlag liegt er über der Forderung des Staatsanwalts und fügt einem der absurdesten Prozesse der Nach-Franco-Zeit noch einen makabren Höhepunkt hinzu. Verhütungsmittel waren erst wenige Jahre zuvor gesetzlich erlaubt worden und im ländlichen Andalusien noch kaum bekannt. Die Folge dieser Unkenntnis - unerwünschte Schwangerschaften - mußten die Frauen allein tragen. Das frankistische Gesetz, das Abtreibungen nicht erlaubte, war noch immer in Kraft. Frauen, die abtreiben wollten, hatten nur die Wahl, für teures Geld nach Portugal oder England zu fahren oder sich in die Hände einer einheimischen Engelmacherin zu begeben. Allein 1979 sollen 300.000 Frauen in Spanien illegal abgetrieben haben. 3.000 von ihnen verloren dabei ihr Leben.

Das Kollektiv von „Los Naranjos“, das sich zunächst aus zwei jungen Frauen aus der Frauenbewegung sowie zwei Männern aus politischen Gruppen zusammensetzte und im Lauf der Monate auf acht Mitglieder ausweitete, arbeitete in erster Linie als Informationszentrum. In umliegenden Dörfern wurden Vorträge über Familienplanung und Sexualleben gehalten, im Zentrum wurde über Verhütung beraten. Und ein wichtiger Teil der Arbeit des Kolletivs war die Durchführung von Abtreibungen. Während noch heute ein großer Teil der in spanischen Kliniken durchgeführten Abtreibungen mit der gefährlichen Ausschabmethode durchgeführt wird, praktizierten die Mitglieder von „Los Naranjos“ bereits 1980 die schonende Absaugmethode. Den Abtreibungen gingen jeweils intensive Gespräche voraus, wurden die Frauen detailliert über den Ablauf des Eingriffs unterrichtet. Das Tempo der Abtreibung ist schließlich vom Befinden der Frau abhängig gemacht worden. Höchstens drei Abbrüche pro Tag wurden vorgenommen, weil das Kollektiv verhindern wollte, gegenüber den Frauen abzustumpfen. Nicht nur aus Andalusien kamen die Frauen in das Zentrum, sondern selbst aus dem Baskenland und Galizien.

Patientenkartei beschlagnahmt

Im Oktober 1980 flog das Zentrum auf. Mehrere Mitglieder des Kollektivs wurden festgenommen und später auf Kaution wieder freigelassen. Die Polizei beschlagnahmte die Patientenkartei mit Namen und Adressen von über 4.000 Frauen. 1981 wurden 294 Frauen mit Hilfe der Kartei von „Los Naranjos“ vor den Richter geladen. Nur 33 von ihnen gaben zu, abgetrieben zu haben.

Unterdessen ist eine Welle der Solidaritätsbekundungen in ganz Spanien entstanden. Über 26.000 Personen bezichtigten sich selbst der Abtreibung beziehungsweise der Beteiligung an einer Abtreibung.

Die Prozeßeröffnung verzögerte sich. 1985 verabschiedete die sozialistische Regierung ein neues Abtreibungsgesetz, das Schwangerschaftsabbruch bei Vergewaltigung, Gefahr für das Leben des Kindes und bei psychischer oder physischer Gefahr für die Mutter zuläßt. Das ist zwar keine soziale Indikation, doch mit Hilfe des Begriffs der psychischen Gesundheit kann seither in Spanien aus sozialen Gründen abgetrieben werden.

Vier Jahre nach diesem neuen Gesetz begann dann in Sevilla der Prozeß gegen die MitarbeiterInnen von „Los Naranjos“. Mehrere von ihnen arbeiteten inzwischen im sozialen Bereich, Jose Angel Lozoya z.B., den die Justiz als Gründer von „Los Naranjos“ ausgemacht hat, gibt heute Sexualunterricht - ganz legal.

Vier Jahre, zwei Monate und einen Tag Knast forderte der Staatsanwalt für die vier, die er als Ausführende identifiziert haben will, sechs Monate Haft für die übrigen vier.

Freispruch wegen Mangels an Beweisen forderten die fünf VerteidigerInnen, darunter die bekannte Feministin Cristina Almeida. Fünf Zeuginnen hat der Staatsanwalt geladen, doch nur zwei von ihnen erschienen und nahmen ihre zuvor gemachten Geständnisse, abgetrieben zu haben, vor Gericht zurück. Sie hätten sich nur beraten lassen. Eine der beiden berichtete, ihr Verlobter, ein Mitglied der Guardia Civil, habe sie mit vorgehaltener Pistole zur Abtreibung gezwungen, die sie dann im Ausland durchführen ließ.

Dem jungen Staatsanwalt rannen die Beweise wie Sand aus der Hand. 100 ZuschauerInnen saßen im Saal, Hunderte warteten ungeduldig davor. Von unten drangen die Sprechchöre der Feministinnen hoch, die Freispruch und die Anschaffung des Abtreibungsgesetzes forderten.

Abtreibung sei damals verboten gewesen, so der Staatsanwalt und - von Ausnahmefällen abgesehen - immer noch verboten. Und das Gesetz sei schließlich Ausdruck des Volkswillens. In welcher Weise das Volk bei den francistischen Gesetzen Pate gestanden haben mag, erläuterte er nicht weiter.

Nun ist das Urteil gefällt. Die Verurteilten werden in Berufung gehen. Die Sozialistische Partei Andalusiens fordert Begnadigung, die Ministerin für Soziales, Matilde Fernandez, hat sich dem angeschlossen.

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