: Der Fürst unter den Leoparden
■ Laurence Schifanos Biographie des italienischen Filmregisseurs Luchino Visconti
Luchino Viscontis Wahlspruch war: „Man muß sein Leben mit Feuer und Leidenschaft leben.“ Daran hat sich Italiens Kinoübervater zeitlebens gehalten. Für die Gegner ein adeliger Despot, für die Freunde ein Mann des überschäumenden Herzens. Im Gegensatz dazu legt sich die Visconti-Biographin Laurence Schifano allerdings eindeutig fest: „Wenn man einen Film über die Lebensgeschichte Viscontis drehen würde, dann müßte sich die Eröffnungsszene
-anstatt ein glanzvolles, dem Leoparden würdiges Patrizierhaus heraufbeschwören - viel eher mit dem rötlichen Widerschein und dem Grollen und Dröhnen moderner Stahlhütten der Verdammten auftun und mit dem Rauch aus jenen Fabriken, die den provinziellen Rhythmus der lombardischen Hauptstadt (Mailand) allmählich verändern werden.“ Für Schifano liegt dementsprechend Viscontis Ambrosia im Hochofen und nicht auf blütenreinen Tischtüchern. Der Meister selbst hat sich auf seine blaublütige Herkunft nie kapriziert.
Viscontis Filme waren bereits zu seinen Lebzeiten heftig umstritten. Gleichwohl hat das den Weltruhm von Filmen wie „Rocco und seine Brüder“, „Der Leopard“, „Ludwig II“ und „Senso“ eher befördert, und die gespenstische Verfilmung von Manns „Tod in Venedig“ zeigt präzis, wie Visconti zu den Themen aus dem „Goldenen Zeitalter“ vor Krieg und Faschismus zurückzukehren imstande ist. Anläßlich von „Tod in Venedig“ macht Visconti eine ziemlich absurde Behauptung zu einem Bestandteil seiner Biographie: daß er zur Epoche der Mann, Proust und Mahler gehöre. Das ist angesichts Viscontis Geburtsdatum (1906) ein komischer Anachronismus. Vielleicht meinte er die geistige Vaterschaft.
Die Mailänder Dozentin für Filmgeschichte Laurence Schifano hat in ihrem gerade erschienenen voluminösen Visconti-Buch augenscheinlich nie vorgehabt, dem „tyrannischen Aristokraten“ alle Geheimnisse zu entreißen. Mag sein, daß sie sich nicht getraut hat, den Jakobiner in Visconti bloßzulegen, die Blutrache existiert eben auch heute noch. Dafür gräbt sie tief in italienischer Geschichte, bis hinein in das 13.Jahrhundert, und ihr Familienreigen liest sich wie ein üppiges Melodram aus Dandyismus, Homosexualität und autoritärer Zärtlichkeit. Glanz und Leidenschaft in allen Varianten. Der historische Hintergrund bietet sich geradezu an, und da es hier ums Kino geht, spart die Autorin nicht mit komfortablen Bildern.
An Schifanos Buch ist auszusetzen, daß sie nicht immer den Faden in der Hand behält. Ihr lustvolles Abschweifen verstehe ich zwar, aber besonders einsichtig ist es kaum; da hat sie einfach den Kopf zu sehr in die alten Akten gesteckt. Sehr schön sind dagegen ihre Verbindungen zur modernen europäischen Literatur, ihr Wissen um die facettenreichen Querverbindungen zum Theater. Vor allem das Letztere ist an Visconti weniger präsent gewesen, es wurde überdeckt von den opulenten Kinowerken. „Die Familie Visconti ist wie ein summender Bienenstock“ schreibt Schifano, und deshalb ist ihre Biographie mehr als nur ein Porträt. Und wer wissen will, wieso der Bühnen- und Filmfanatiker Visconti Ende der sechziger Jahre gegen den Vietnamkrieg marschierte, der kann mit Laurence Schifanos Buch den Umweg über das italienische Mittelalter, Maria Callas und mediterranen Antifaschismus machen. Der Autorin wurde vergangenes Jahr dafür der Preis für die beste Biographie 1988 von der Academie Fran?aise verliehen.
Jan van Dieken
Laurence Schifano: Luchino Visconti - Fürst des Films, C. Katz-Verlag, 544 Seiten, mit s/w Abbildungen, 46 DM
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