: Harakiri mit Anlauf
■ Über den Unterhaltungswert eines toten Politikers
Philip Parker schreibt: „Er war der Hase, der sich in der Furche duckt, weil zum Hakenschlagen kein Platz mehr bleibt. Auf der einen Seite kommen die Treiber näher, auf der anderen lauern die Jäger. Ganz klein machen, sich totstellen. Auf das Ende warten.“ Der Mann, der uns hier als Meister Lampe verkauft werden soll, hieß im richtigen Leben und im Realo-Krimi Waterkantgate des 'Spiegel‘ Uwe Barschel. Im Remake (aus dem das Zitat stammt) heißt er Ullrich Lampert.
Es war ja zu befürchten, daß irgendein phantasieloser Krimi -Autor sich bewußt der Leichenfledderei schuldig machen und Ehrenwort-Uwe wieder ausbuddeln würde. Jetzt ist es also passiert, und die schlimmsten Erwartungen sind weit übertroffen worden. Der Krimi heißt reißerisch Hetzjagd, Untertitel: Roman um den Tod eines Politikers. Alle Personen, die wir schon aus dem 'Spiegel'-Thriller kennen und noch ein paar mehr - treten auch hier auf. Björn Engholm z.B. heißt im Buch Jürgen Börglund, Reiner Pfeiffer ist Roland Sibowsky usw.
Nun stand der Autor dieser Gruselgeschichte, er nennt sich selbst klangvoll Philip Parker, vor einem schwerwiegenden Dilemma: Über Barschel und Konsorten war schon alles Schlechte gesagt und geschrieben worden, und außerdem soll man als anständiger deutscher Mensch und Schriftsteller über Tote nichts Schlechtes schreiben. Was ist also zu tun, fragt sich der untalentierte Krimi-Schreiber und hat auch gleich die Lösung parat: Einerseits dichtet er dem toten Politiker neben seinen bekannten bösen Taten ein paar noch schlimmere an, andererseits läßt er ihn als Werkzeug anderer dastehen, verführt und mißbraucht, aber im Grunde seines Herzen ein guter Mensch. Also quasi von hinten durch die Brust genau ins Auge. Einen Kunstgriff nennt man so etwas wohl. Tote gibt es auch jede Menge. Ein Regierungsrat Moser wird kurzerhand über den Jordan geschickt, als man einen Schuldigen braucht, dem man das Waffengeschäft mit dem Iran in die Schuhe schieben kann. Barschel/Lambert legt auch schon mal selbst Hand an und erschlägt einen betrunkenen AKW -Gegner. Für eine übereifrige freie Journalistin endet ihre Recherche in einem zerfetzten Autowrack auf der Straße. Wem das alles noch nicht verworren genug ist, der wird noch mit Kindesentführung, dem griechischen Chor der Arbeitslosen, erschossenen und angeschossenen Polizisten und jeder Menge Sex bedient. Da gibt es guten, reinen Sex (Barschel/Lambert mit seiner Frau), verbotenen Sex (Barschel/Lambert mit seiner Freundin), schmutzigen Sex (Pfeiffer/Sibowsky mit seiner Sekretärin), Sex mit Minderjährigen (Engholm/Börglunds Tochter soll verführt werden) usw. usw.
Bis zur Seite 98 hegte ich noch den Verdacht, daß das ganze Ding ein neuer Coup des Herrn Pfeiffer sein könnte, der sich als berühmtester deutscher Verpfeifer selbst ein „literarisches“ Denkmal setzen wollte. Aber auf besagter Seite taucht er zum ersten Mal selbst auf (Roland Sibowsky) und wird als ein solches Ekelpaket beschrieben, daß ich meinen Verdacht leider wieder aufgeben mußte.
Nach den Presseberichten über Uwe Barschel entstand bei mir immer der Eindruck, daß der Mann auf einer Brennstoffmischung aus 80 Prozent Machtgeilheit und 20 Prozent Happy-pills lief. Als die Sache dann brenzlig für ihn wurde, nahm er einen langen, langen Anlauf, den er mit einem billigen aber durchaus effektvollen pharmazeutischen Harakiri beendete. Im Krimi zum Politiker hat man den Eindruck, daß der Typ ein gottverdammter pillenfressender Zombie war. Willenlos in den Klauen seiner Vorgesetzten, nicht Herr seiner Sinne, böswillig in den Tod getrieben und absolut nicht verantwortlich für seine Taten. Völlig unschuldig, ein Märtyrer! Die normale Reaktion eines normalen 'Bild'-Lesers, („Ich hab's ja immer gewußt! Der arme, arme Mann, diese bösen Menschen haben ihn gezwungen, immer diese gefährlichen Drogen einzunehmen“) scheint vom Autor durchaus beabsichtigt. Der hat allerdings, wenn er denn in diesem Stil weitermacht, keine Zukunft als Krimi -Schreiber, aber vielleicht sollte er sich einmal als Medienreferent bei einer christlichen Partei bewerben.
Wer nun so naiv ist und glaubt, mit diesem miesen Krimi sei die Sache endgültig erledigt, der irrt sich gewaltig.
Jetzt geht die Post erst richtig ab! Bei Knaur ist ein Sachbuch (Macht und Machenschaften) zur Affäre erschienen. Der Verlag verkauft es als „ein Lehrstück über angewandte Demokratie in der BRD“. Nicht zu vergessen das Fernsehen: Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) teilte mit, daß schon im Februar die Dreharbeiten zu dem Fernsehfilm Die Staatskanzlei begonnen haben. Prominenteste Mitspielerin ist die „Mutter der Nation“ Inge Meysel. Hermann Lause, Roland Schäfer und Burghard Klausner sind als Pfeiffer, Barschel und Engholm zu bewundern. Aber damit ist die Leiche natürlich noch lange nicht ausgelutscht. Ich warte auf das Theaterstück, den abendfüllenden Spielfilm, das Chanson, die Operette, das Comic-Heft, die Doppel-LP, das Musical. Am meisten freue ich mich aber auf die Rock-Oper mit Heinz Rudolf Kunze als Uwe Barschel, Udo Lindenberg als Pfeiffer und Reinhard Mey als Björn Engholm.
Karl Wegmann
Philip Parker Hetzjagd, Bastei-Lübbe TB, 272 S.,7,80 Mark
Cordt Schnibben/Volker Skierka Macht und Machenschaften. Die Wahrheitsfindung in der Barschel-Affäre, Knaur Taschenbuch, 12 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen