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„Dabei kommen belanglose Gedenkstätten raus!“

■ Interview mit Jakob Schulze-Rohr, Gründungsmitglied und derzeitiger Geschäftsführer des Vereins „Perspektive Berlin“, zum Konflikt mit dem Zentralrat der Sinti und Roma um das geplante Holocaust-Denkmal in Berlin

taz: In Ihrem Aufruf für ein Völkermord-Mahnmal auf dem Gelände des ehemaligen Reichssicherheitshauptamtes werden die Sinti und Roma nicht erwähnt. Haben Sie die vergessen, oder war das eine bewußte politische Entscheidung?

Schulze-Rohr:In dem Aufruf tauchen auch andere Gruppen, die Opfer des Nationalsozialismus geworden sind, nicht auf...

Es geht in dem Aufruf doch um die Opfer des Völkermordes. Das beziehen Sie nur auf die Juden, nicht auf das Volk der Sinti und Roma.

Das bezieht sich in diesem Fall ausschließlich auf die Juden, richtig. Die Vernichtung des europäischen Judentums war eine erklärte Absicht Hitlers, das kann man in „Mein Kampf“ nachlesen - das war also schon zu Beginn der zwanziger Jahre erklärtes Hauptziel der Nazis. Alle anderen Gruppen, die später in den KZs umgekommen sind, waren ursprünglich nicht als Opfer vorgesehen. Wir wollen mit dieser Trennung zum einen der Geschichte Genüge tun, so wie sie nun mal ist. Zum anderen haben wir die Erfahrung gemacht, daß, wenn man pauschal die Opfer des Nationalsozialismus benennt, sich entweder alle, bis hin zu Nazis, die sich irgendwann mal distanziert haben, oder keiner angesprochen fühlt. In Bitburg ging das ja so weit, daß sogar ehemalige SS-Leute sich angesprochen fühlten. Um dieses Problem von vornerein auszuschalten und die Sache sauber zu halten - wenn ich mal so sagen darf -, haben wir das Holocaust-Mahnmal für die Juden konzipiert. Wir haben aber immer ganz klar gesagt: Auf dem Mahnmal-Gelände soll für alle betroffenen Gruppen Platz sein.

Sie sagen: Man muß präzise argumentieren. Der Zentralrat der Sinti und Roma argumentiert nun seinerseits so, daß nicht nur die Juden als Volk verfolgt worden sind, sondern auch das Volk der Sinti und Roma. Es geht nicht um die politisch Verfolgten, sondern um die Opfer des nationalsozialistischen Rassismus, es geht in Ihrem Aufruf um diejenigen, an denen ein organisierter Völkermord verübt worden ist.

Ja. Aber die Roma und Sinti sind im Anfang überhaupt nicht diskriminiert worden. Man denke nur an die Zigeunerkeller, Zigeunermusik, Zigeunerspieß: Das gab's alles auch während der Nazizeit. Es gab sogar Zigeuner als Wehrmachtsangehörige. Also die Ausrottung der Zigeuner als Volksgruppe war ursprünglich nicht geplant.

Aber der Massenmord hat doch stattgefunden. 500.000 Sinti und Roma wurden bis 1945 umgebracht.

Ja, das ist richtig. Aber es ist nicht Programm der Nazis gewesen, so wie es das Programm der Nazis war, die Juden und Bolschewisten als Symbolfiguren des sogenannten Plutokratismus auszurotten. Diese Art Programm hat es für keine andere Gruppe gegeben. Was selbstverständlich nicht ausschließt, daß der anderen Gruppen gedacht werden muß. Bei den Zigeunern ist es ja auch so: Die reinrassigen Zigeuner wurden geschont und als interessante Rasse anerkannt. Die wurden nicht verfolgt. Verfolgt und umgebracht wurden die sogenannten Mischlinge. Bei den Juden war es genau umgekehrt. Wir wollen einfach verhindern, daß durch eine Pauschalsierung alles in einen Topf geworfen wird. Da könnte man dann auch den SS-Mann reinnehmen, der irgendwann seine Waffe weggeworfen hat und übergelaufen ist. Da kommen dann diese belanglosen Gedenkstätten dabei raus. Wir werden uns nie dagegenstellen, daß bei dieser Holocaust-Gedenkstätte alle betroffenenen Gruppen repräsentiert werden. Ich stelle mir das so vor: Es würde ein Kapitel über Kriegsgefangene geben. Dann gibt es die sogenannten Ostarbeiter; russische Zivilisten, die verschleppt wurden. Dann gibt es die Kommunisten, die als sogenannte fünfte Kolonne schon ab 1933 in die KZs gesperrt worden sind, undsoweiter. Ich meine, so eine Gedenkstätte muß sich hüten, alles durcheinanderzuwerfen und indifferent zu werden.

Wie wollen Sie sich denn nun mit dem Zentralrat in dieser Angelegenheit auseinandersetzen?

Die Kritik des Zentralrates zeugt von einer Kompromißlosigkeit, die ich nicht verstehen kann. Unsere Vorsitzende, Lea Rosh, hat Romani Rose, dem Voristzenden des Zentralrats, in stundenlangen Telefongesprächen klargemacht, worum es geht. Außerdem hat sie ihm einen Brief geschrieben. Für uns ist es unverständlich, warum die Sinti und Roma da einen derartigen Wirbel machen. Wir wollen die doch nicht ausgrenzen. Das Ganze ist noch unverständlicher, wenn man weiß, daß Lea Rosh einen Film gemacht hat, der sich voll und ganz für die Sinti und Roma einsetzt. Es ist einfach absurd. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß die Sinti und Roma bisher immer übers Ohr gehauen worden sind, zum Beispiel in der Entschädigungsfrage. Das sind natürlich gebrannte Kinder.

Sie finden das absurd - der Konflikt ist aber da. Was machen Sie jetzt?

Wir haben in etwa zwei Wochen einen Termin bei Momper, wo wir über die Ausgestaltung des Mahnmals und der Gedenkstätte reden werden, in der selbstverständlich alle Opfer repräsentiert und dokumentiert sein werden. Ich hoffe, daß sich das damit von selbst erledigt.

Interview: ccm

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