: Die Industrie hat Hunger auf Flächen
■ Senat kündigt Stapelbau-Projekt an / Industrie- und Handelskammer klagt über Mangel an Gewerbefläche
Der „Mangel an Gewerbeflächen“ nehme „rasch zu“, klagte die Industrie- und Handelskammer (IHK) gestern. Die Gewerbe -Immobilienmakler der Stadt könnten zur Zeit nur noch 16 Flächen mit insgesamt knapp elf Hektar anbieten. So lautet das Ergebnis der diesjährigen Umfrage der IHK unter den Maklern. Im letzten Jahr summierten sich insgesamt 29 Flächen noch zu einer Gesamtfläche von 30 Hektar, ergänzte gestern auf Anfrage der Leiter der Abteilung Stadtentwicklung der IHK, Strauch. Als ein weiteres „Indiz“ für eine verschärfte Lage auf dem Berliner Gewebeflächenmarkt wertete Strauch, daß die Grundstückspreise innerhalb eines Jahres um durchschnittlich 20 Prozent gestiegen seien.
Die Ansiedlung neuer und die Umsetzung oder Erweiterung bereits ansässiger Unternehmen gerate durch den Flächenmangel in Gefahr, mahnt die Kammer. Sie forderte vom Senat eine „beschleunigte Vorbereitung“, um weitere Flächenreserven zu erschließen. Andernfalls gerate Berlin „im Wettbewerb der Wirtschaftsregionen“, so die Mahnung der IHK, „hoffnungslos ins Hintertreffen“. Die Wartelisten bei den Maklern seien bereits „sehr lang“, erklärte IHK-Experte Strauch. Im Schnitt meldeten sich 30 Interessenten für Flächen der beliebten Größe zwischen einem halben und einem Hektar.
Auch Hans-Georg Otto, der Sprecher der städtischen Wirtschaftsförderung Berlin GmbH, wollte die IHK-Angaben gestern „tendenziell bestätigen“. Zwar sei bisher noch keine Ansiedlung am Flächenmangel gescheitert; für die Zukunft wollte sich Otto eine derartige Prognose aber nicht mehr „zutrauen“. Die städtische Gesellschaft stützt sich selbst in erster Linie auf den privaten Grundstücksmarkt, um zuziehenden Firmen einen Bauplatz zu besorgen.
Flächenmangel diagnostizierte gestern auch Helmut Gruschke, Leiter der Zentralstelle Wirtschaftsförderung in der Senatswirtschaftsverwaltung. Nach seinen Angaben fehlen zur Zeit etwa 13 Hektar. Firmen mit baureifen Plänen könnten deshalb mit der Um- oder Ansiedlung nicht beginnen, sie müßten warten. Gruschke erinnert in diesem Zusammenhang auch an einen Fall, in dem vor etwa einem Jahr eine Ansiedlung gescheitert sei, weil die passende Fläche fehlte.
Die „Verfügungsreserve“, die der Senat ständig vorhalten will, sei bereits deutlich unter die Plangröße von 50 Hektar geschrumpft, beklagte Gruschke. „Wir kommen jetzt in gefährliche Nähe zur Wachstumsreserve“, bestätigte der Senatsbeamte. Unter der „Wachstumsreserve“ werden, wie berichtet, Flächen verstanden, die im Flächennutzungsplan (FNP) für künftige Gewerbeansiedlungen ausgewiesen sind. Die gut 300 Hektar dieser Reserve addieren sich vor allem aus Grün- und Freiflächen: Kleingärten, Felder und grüne Brachflächen.
Den rot-grünen Senat könnten diese Begehrlichkeiten in Bedrängnis bringen. Wie berichtet, will er Grün- und Freiflächen stärker als bisher vor dem Flächenhunger der Industrie schützen. Flächenrecycling und Geschoßbauten sollen den Landverbrauch einschränken; konkrete Initiativen stehen jedoch noch aus.
Ein Hoffnungsschimmer: Gruschke kündigte gestern ein „Stapelbauprojekt“ an. Für fünf bis 15 mittelgroße Firmen soll ein privater Investor einen gemeinsamen Gewerbebau errichten, der dann abschnittsweise an die Unternehmen verkauft wird. Damit betrete der Senat „absolutes Neuland“, sagte Gruschke. Vorbilder seien nicht bekannt.
hmt
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