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Mit dem Kopf durch die Wand

■ Die Schriftstellerin und Magierin Luisa Francia hat der taz zum Zehnjährigen ein Geburtstagshoroskop geschenkt. Mit Entwicklungsprognose, nicht nur fürs Blatt.

Luisa Francia

Wenn man hierzulande jemanden hochnehmen will, schickt man ihn in den April - dorthin, wo vor hundert Jahren, am 16., Chaplin geboren wurde und die Lachmuskeln der Welt zum Beben brachte, dorthin auch, wo Adolf der Schreckliche vor hundert Jahren auftauchte, und wäre er doch Maler geworden! Dorthin, wo in Italien, am 25., der „Giorno della Liberazione“ vom Faschismus gefeiert wird, ein Tag, der bei uns bezeichnenderweise „Tag der Kapitulation“ heißt. April ist heutzutage auch der Monat, in dem der Landwirt seine Pferdestärken einspannt, um den Pegel an Nitrat, Phosphat, Blei und anderen Giften im Grundwasser rechtschaffen zu erhöhen. Und April ist der Monat, in dem, am 17. ganz genau, vor zehn Jahren die taz das Licht der Kioske erblickte. Astrologisch gesehen ist sie damit voller Widderenergie, was erst mal verkürzt bedeutet: mit dem Kopf durch die Wand, und wenn keine da ist, wird eine errichtet - wozu in Berlin kein Bedürfnis besteht, immer durch!

Ob die taz auch einen Aszendenten hat, wird eine Streitfrage bleiben. Soll man da den Zeugungsmoment nehmen? Oder den Moment, als der erste Artikel geschrieben war? Oder gar den Moment der Erstauslieferung? Oder ist bei einer Zeitung der Aszendent, also der aufsteigende Stern im Osten, die Firma, die die teuersten Werbungen in Auftrag gibt? (Aha, sagen hier die rechtslastigen Leser, Sterne, die im Osten aufgehen, wußten wir's doch! Die kriegen Geld vom Osten! Diesen Lesern sei gesteckt: Alle Sterne gehen im Osten auf und sogar Sonne und Mond, auch wenn es CDU/CSU und den Rechtsaußen noch so unangenehm ist, im Osten ist das Leben, und mythologisch gesehen schickt man die Sterbenden nach Westen, wo der Tod haust.)

Also vergessen wir mal den Aszendenten und schauen uns die Lage der Gestirne an, die den Lauf der taz 1979 bestimmen sollten: Sonne im Widder, völlig klar: innovative Energie, radikale Lebendigkeit, stets bereit zu Neuanfängen und neuen Ideen. Widderenergie ist leider mit Witz nicht üppig gesegnet, das würde astrologisch gesehen suggerieren, daß Schütze und Löwe-Energien, ein bißchen Fisch und Skorpion und dazu eine Prise Wassermann (Vorsicht, dogmatisch) nichts schaden könnten, wobei die Schwierigkeit darin liegt, daß Löwen die Macht an sich reißen, Schützen sich kaputtarbeiten, Fische zu Betäubungsmitteln greifen und Skorpione ewig beleidigt sind. (Damit habe ich mir Arbeit fürs nächste Jahr eingehandelt, ich weiß!)

Widderenergie des weiteren: Mut, Zielstrebigkeit, Geradlinigkeit (Vorsicht auch hier, da kann man leicht getäuscht werden, was die Linie betrifft), abrutschen kann das alles in eine gewisse Überheblichkeit, Starrköpfigkeit, wobei die schlechten Eigenschaften der taz sicher erst zum Erblühen kommen, wenn sie zur Regierungszeitung (Tass!?) wird - und das ist wahrscheinlich. Führungsqualitäten von Widdern sind unbestritten, mangelnde Führungskraft ist im Grunde eine der wenigen Eigenschaften, die man Widdern nicht nachsagen kann.

Der Mond stand am 17.April 1979 im Schützen, wie günstig. Wie wär's mit etwas mehr Witz im Endprodukt?

Mars im Widder, auch nicht schlecht, daß zuviel gejammert wird, kann niemand behaupten, und die Frauenpolitik der taz ist tough genug. Tatsächlich hat die Frauenszene mit Autonomen und Lesben nicht gerade ein Forum in der taz, mit Mars im Widder würde ich mir eher über zuviel Machismo Sorgen machen. Holt euch doch ein paar Widderfrauen!

Venus steht dagegen bei der taz-Premiere in den Fischen: Das muß ja Auseinandersetzungen geben! Laßt euch einen guten Weinhändler empfehlen! Merkur im Widder, na ja, in der politischen BRD-Landschaft kann eine linke Tageszeitung ja froh sein, wenn sie genug Dynamit enthält. Merkur ist mythologisch gesehen der Götterbote, nützt eure volle Widderpower hier und drückt die Noch-Regierung auf einen richtigen politischen und menschlichen Kurs in bezug auf den Hungerstreik der RAF-Häftlinge, es ist ein Jammer, daß immer noch mit der Alt-Regierung verhandelt werden muß, die sich ja sowieso nicht halten wird, da lassen die Sterne keinen Zweifel...

Jupiter steht an der Grenze zwischen Krebs und Löwe, das ist so ein Zwiespalt zwischen: „Wir wissen, daß wir die besten sind, aber wir wollen's uns nicht raushängen lassen“ und: „An uns werden sich in Zukunft alle orientieren müssen“ - was stimmt.

Vergleicht man die Jupiterstellung mit der nach zehn Jahren, also heute, wo Jupiter in den Zwillingen ruht, fällt sofort auf, daß der „Glücksstern“ mittlerweile höchst intellektuelle Qualitäten erworben hat und enorm nach außen abstrahlt, sich im gesellschaftlichen Ansehen sonnt und halt vielleicht gelegentlich Gefahr laufen kann, ambivalent zu werden - aber das wird sicher erst das Problem einer Grünen -Regierungs-taz.

Saturn in Jungfrau bei der Gründung: diskutieren, bis die Köpfe rauchen, zögerliche, todernste Arbeit. Das hat sich erfreulicherweise nicht sehr verändert: Saturn im Steinbock heute: einsam, frei und kühn und ein bißchen pedantischer vielleicht noch wird die Linie gehalten, die Berichterstattung hat an Wahrheitsgehalt und Souveränität zugenommen, was vielleicht nicht nur an Saturn in Steinbock, sondern vielleicht mehr an der Erfahrung liegt, aber auch das ist Saturn/Steinbock-Energie. Uranus, der Medien-Narr, liegt bei der Gründung im Skorpion im Hinterhalt, stiftet Irrtümer, Beleidigte-Leberwurst-Atmosphäre und gibt den Gesprächen mythische und sexuelle Tiefe. Heute liegt er im Steinbock an der Leine von Saturn, mit genialen Neuschöpfungen könnte es also noch etwas dauern, Aufarbeitung und Planung ist angesagt. Aufblühen kann Uranus im Februar 1990, da geht er kurzfristig mit Mars in Konjunktion, und die beiden werden Max-und-Moritz-artig die Welt aus den Angeln heben. Warum sind da wieder keine Wahlen!

Neptun zog durch den Schützen, als die taz anfing, verstärkte die Schütze-Mond-Energie, brachte Impulse, Frechheit, Inspiration.

Heute steht Neptun dem Saturn im Steinbock bei, was auf eine interessante Kulturpolitik schließen läßt: Die revolutionären Impulse gibt Uranus dazu, der in der Nähe bleibt und die beiden seriösen Planeten gelegentlich zwickt.

Und schließlich der Kollektiv-Planet Pluto: Alle reden von der plutonischen Energie, von Plutonium, von (Goofy und) Pluto, die taz bringt's ins Gleichgewicht. Pluto in Waage: klare Information, Mut zu unbequemen Berichten, Verantwortung wird übernommen.

Pluto ist ein kollektiver Planet, der immer gleich eine ganze Generation betrifft. Wir Vierzigjährigen Pluto-im -Löwen-Geborenen stellen gern unsere Fähigkeiten der Allgemeinheit zur Verfügung, die Pluto-in-Skorpion -Generation wird vielleicht die erste sein, die mit den menschlichen Zerstörungskräften richtig umgehen kann. Das ist auch die Situation der taz heute: Mit Pluto im Skorpion wirkt sie aufklärerisch, weitsichtig, spirituell tiefgründig, grenzüberschreitend. Ich hab grad die taz von heute gelesen und vermisse den hier skizzierten glorreichen Glanz, na ja, wird schon noch werden.

Was wird in Zukunft in der taz stehen? Eine Prognose meinerseits: Rot-grüne Regierung in Bonn / Thatcher muß abtreten, dafür gibt es zwei neue weibliche Regierungschefs in Europa / Europäische Umweltschutzgesetze werden verabschiedet / Wackersdorf endgültig gestorben / Erstes Sonnenkraftwerk der BRD eingeweiht / Und für den Jahrtausendwechsel: große Frauenfeste rund um den Erdball unter dem Motto „2000 Jahre sind genug - Männerpause für die Erde“.

Prognose für die taz: rasanter Aufschwung, aber Vorsicht, denkt an die Fallen der Macht. Die Gefahr kommt nicht mehr von rechts (in 20 Jahren weiß kein Mensch mehr, was „Republikaner“ mal waren), sondern zukünftig davon, daß die Industrie die Linken viel ernster nehmen wird.

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