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Kleine Geschichtsausstellung über eine große Halle

■ Eine Werkstattausstellung im Nachbarschaftsladen Bergmannstraße präsentiert Alltagsgeschichte aus dem Kiez am Beispiel der Kreuzberger Marheineke-Markthalle / Vorbereitungen zum 100. Geburtstag der Halle

Die Idee, obschon in anderen europäischen Metropolen des 19.Jahrhunderts erfolgreich erprobt, stieß bei den Berliner Händlern zunächst auf wenig Gegenliebe. Gemeint ist der tägliche Markt in geschlossenen Hallen, der die Wochenmärkte ersetzen sollte. Zur Eröffnung der Marheineke-Halle war gerade mal die Hälfte der 300 Stände vermietet. Die Händler zweifelten an der Attraktivität einer solchen Einrichtung. Doch die KundInnen waren froh, täglich am gleichen Ort einkaufen zu können. Und auch heute noch hat die Mischung aus Markt und Kaufhalle ihren Reiz nicht verloren. Die Marheineke-Markthalle war und ist Mittelpunkt im Kiez zwischen Mehringdamm und Südstern. Also bestens geeignet als Ausgangspunkt zur Erforschung der Kiezgeschichte. Dieser Aufgabe widmete sich die „Historische Runde“ im Nachbarschaftsladen Bergmannstraße. Vor zwei Jahren haben sich dort einige Leute zusammengefunden, um der gelebten Geschichte des Alltags auf die Spur zu kommen.

Zunächst schien dem Vorhaben wenig Aussicht auf Erfolg beschieden. „Auf die 1.500 Handzettel, die wir vor der Markthalle verteilt haben, meldeten sich nur drei Personen“, berichtet Lothar Übel, Initiator der „Historischen Runde“. Die Ausbeute kann sich dennoch sehen lassen. Aus einem Holzschrank aus dem Keller der Markthalle wurden kleine Schätze zutagegefördert: so etwa Dokumente zum „Berliner Sumpf“ der zwanziger Jahre über Bestechungsaffairen um die besten Standplätze oder Verordnungen zum Auslegen von Heringen.

Auch eine alte schwarze Umhängetasche gehört zu den Funden. „Damit ist der Halleninspektor wie ein Straßenbahnschaffner herumgelaufen und hat die Standmiete kassiert“, berichtet Alfred Graeve. Er hatte von 1930 bis 1971 in der Markthalle einen Textilstand betrieben. Nach dem Krieg setzte sich Graeve engagiert für den Wiederaufbau der zerstörten Halle ein. Der mittlerweile 85jährige beteiligte sich auch aktiv an den Vorbereitungen zur Ausstellung. Er wie auch die beiden anderen Zeitzeugen steuerten neben vielen Erinnerungen auch Fotos und alte Lebensmittelkarten bei. Eine lückenlose Darstellung zu erwarten wäre zuviel verlangt. Die Ausstellung trägt bewußt den fragmentarischen Charakter einer Werkstattausstellung und erhält ihr Profil durch die persönlich zusammengetragenen Stücke. „Die Nazizeit ist ziemlich unterbelichtet“, gibt Lothar Übel zu, „doch das liegt daran, daß wir einfach zu wenig Material darüber zusammentragen konnten.“ Er hofft, daß sich dieser Mangel innerhalb der nächsten drei Jahre bis zum Jubiläum beheben läßt.

Den Mangel hinsichtlich historischer Einzelfragen macht die Begleitbroschüre zur Ausstellung wieder wett. Sie enthält Informationen von der allgemeinen Geschichte der Markthallen über einzelne Hallenverordnungen bis zu erzählten Lebengeschichten von Händlern.

b.k.

Die Ausstellung findet noch bis zum 6. Mai montags bis freitags von 14 bis 19, samstags von 10 bis 14 Uhr im Nachbarschaftsladen Bergmannstr. 30 (am Marheinekeplatz) statt.

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