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Barschel-Brief in der Förde

Kieler Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungsverfahren ein / Der Drohbrief an Stoltenberg sei „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Fälschung“  ■  Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) - Es ist vollbracht: Die Kieler Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren gegen den (unbekannten) Verfasser des „Barschel-Briefes“ vom 3.Oktober 1987 eingestellt. In dem mit „Uwe Barschel“ unterzeichneten Schreiben hatte der Autor Finanzminister Stoltenberg und den CDU-Landesvorstand beschuldigt, die „Vorgaben“ für die Aktionen aus der Kieler Staatskanzlei gegen politische Gegner geliefert zu haben. Von der ersten Enthüllung über die Kieler Affäre bis zum heutigen Tag kämpfte die Parteiführung glücklos gegen den Verdacht der Mitwisserschaft an den Machenschaften Barschels. Durch Veröffentlichung des Briefes im Herbst 1987 erhielten die Spekulationen einen kräftigen Schub, der Stoltenbergs Stuhl wackeln ließ. „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“, so teilte die seit elf Monaten in dieser Sache bienenfleißige Behörde gestern mit, sei der Brief eine Fälschung. Das genaue Gegenteil behauptet nach wie vor der Textsachverständige Raimund Drommel: „Ich bleibe dabei, sprachlich ist Barschel der Urheber“, so Drommel gestern zur taz. Von dem nach Ansicht der Staatsanwaltschaft existierenden Fälscher hat die Behörde noch nicht mal einen Schatten gesichtet.

Daß der Brief gefälscht sei, begründet die Staatsanwaltschaft mit zwei Gutachten des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Kriminaltechniker des BKA hätten herausgefunden, daß die Unterschrift Barschels unter den Text kopiert worden sei. Daraus folgert die Staatsanwaltschaft, daß die „Montage aus dem Text und einer Originalunterschrift (...) entscheidend gegen eine Urheberschaft Barschels spricht“. Keine Silbe verschwendet die Behörde auf die gebotenen Zweifel an der Methode des BKA. Die Auswertung von Fotokopien - ein Original des Barschel-Briefes tauchte nie auf - ist in der Regel nicht gerichtsverwertbar. Fachleute bestreiten die Möglichkeit, aus einer Fotokopie zweifelsfrei auf Original oder Fälschung der Schrift schließen zu können.

Der amtliche Joker ist ein weiteres, geheimnisvolles

„ergänzendes Gutachten“ des BKA, aus dem die Justiz

herleitet, „daß eine Zuordnung des Textes zu der Person

Barschels nach menschlichem Ermessen nicht möglich ist“. Auf welchen überprüfbaren Indizien die „erheblichen Bedenken“

des BKA beruhen, verschweigt die Staatsanwaltschaft. Statt dessen bemüht sie ausgerechnet den

TextsachverständiFortsetzung auf Seite 2

gen Drommel als ihren Kronzeugen. Drommel hatte im NDR -Magazin Panorama wie auch später gegenüber den Ermittlern als Befund seiner Textanalyse bekräftigt, Barschel sei sprachlich der Urheber des Briefes. Jetzt behauptet die Behörde, seine „weitreichenden Schlüsse erscheinen aus heutiger Sicht auch im Lichte der Bewertung Dr.Drommels kaum gerechtfertigt“. Mit „äußerster Verwunderung“ nahm Drommel gestern diese „Verdrehung meiner Äußerungen zur Kenntnis“ und fügte hinzu: „Ich sehe mit Freude einem öffentlichen Streit über die Textanalysen entge

gen. Das habe ich den Behörden schon vor langer Zeit angeboten.“ Die schleswig-holsteinische CDU enthielt sich gestern eines Kommentars.

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