: Sex & Industry
■ Berlins Privatfunker Schamoni jetzt auch im Fernsehen auf Erfolgskurs?
Wer montags bis freitags zwischen 18.28 und 19 Uhr SAT 1 anschaltet, sollte sich nicht wundern, wenn sich da haufenweise hübsche Mädchen in spärlicher Bekleidung und wippendem Busen sportlich betätigen und in die Kamera lächeln - das ist weder der „Kanal des heimlichen Voyeurs“ noch sind es Vorbereitungen zur Gegendemo beim nächsten Alice-Schwarzer-Besuch, denen man da zusieht, sondern lediglich die Bebilderung des Wetterberichts. Und der da Strahlemädchen zu Wetterfröschen umfunktioniert und so auf eine höhere Einschaltquote hofft, das ist der in Berlin hinlänglich bekannte Radiomacher Ulrich Schamoni.
Mit seinem 37-Minuten-Programm (zur oben angegebenen Sendezeit kommt noch ein fünfminütiges Opening hinzu) Wir in Berlin ging er am 1.März 1989 bei SAT 1 auf Sendung. Erfolgsgewohnt hofft er wohl, das Berliner Publikum auch audiovisuell erobern zu können, und zwar mit jenem kommerziellen Konzept, mit dem er jedem Zuschauerwunsch zuvorkommen will: Werbung, Schlagzeilen, Werbung, Sex, Werbung, Minimalstunterhaltung. Ein immens schnelles Programm wurde aus diesem Gerüst gebastelt, bei dem die Einstellungsgeschwindigkeit ganz offensichtlich die Dürre der Informationen kompensiert.
Die spärlichen Beiträge (beispielsweise Drei-Minuten -Interviews) werden bis zu dreimal mit Bildeinblendung angekündigt, so daß der textliche Umfang dank der Wiederholungen mindestens auf das Doppelte anschwillt. Zuschauer werden in ständiger Erwartungshaltung belassen.
Hat sich solche Luftballonmoderation beim Hörfunk bewährt, gibt es nur so wenige Themen, oder sind wir in Berlin geistig so träge, daß uns erst die Verdoppelung aufmerksam werden läßt? Wie dem auch sei, bei diesen Beiträgen handelt es sich ohnehin nur um die Unterbrechung des Werbeprogramms. Durchschnittlich 15 Werbespots, eingeteilt in sechs sogenannte „Werbeinseln“, bestreiten den Löwenanteil der 37minütigen Sendung. Wenn zusätzliche Publicity hinter jedem Satz lauert (die Preise bei den Ratespielen sind gestiftet von..., der tägliche Finanztip wird zur Eigenwerbung einer großen Bank mißbraucht, das weibliche Team wurde eingekleidet von...), wird der Sendebetrieb zur reinen PR -Veranstaltung. Sendekapital wird aus der Wirtschaft erbeutet, Sendeinhalt bildet dann zur Gänze die Gegenleistung: ein Fernwerbeprogramm, bei dem selbst die Nachrichten auf die Springerpresse verweisen.
Zur Entspannung bietet dieses offenbar nur aufs männliche Auge zugeschnittene Magazin (?) zotenhaft ins Bild gerückte Weiblichkeit. Der Wetterbericht wurde bereits erwähnt, ähnliches ist über das Ratespiel zu berichten. Da wird die Assistentin als „Vibration des Nachmittags“ angepriesen, und im Anschluß muß sie sich genüßlich auf den Hauptgewinnen räkeln.
Will Mann das sehen? Schamoni hält diese Mischung aus Sex & Industry offensichtlich für konsumträchtig, selbst wenn sie so hausbacken zubereitet ist wie in seinem Programm. In der Moderation hat Schamoni auch Frauen beschäftigt. Genau drei, bei fünf Männern. Dafür müssen sie auch immer schön Bein zeigen, so zum Beispiel in der Samstagsvariante Gesichter in Berlin. Einer hauseigenen Pressenotiz zufolge ist das „eine echte Berliner Duftmarke... aktuell, interessant, prickelnd und spannend“. Was da prickelt, wenn ein Mädchenfotograf bei seiner schlüpfrigen Arbeit gefilmt wird und sich minutenlang Brüste und Schenkel ins Kameraobjektiv drängen, das kann man sich denken. Ansonsten: erfolgreiche, solvente Mitbürger, meist Geschäftsleute, für die dann auch gleich ein bißchen geworben wird, am Ende die übliche Werbung en bloc - alles wie gehabt.
Sind das Gesichter in Berlin? Nein, das ist ein Gesicht Berlins und überhaupt der Bundesrepublik, das Schamoni und Gleichgesinnte in ihren finanzorientierten, sexistischen und inhaltsentleerten Programmen gerne schaffen möchten. Sex & Industry - erschöpft sich darin das Privatfernsehen? 80 Mark kostet bei Schamoni eine Sekunde Werbung. Reicht das nicht aus, um in der restlichen Zeit eine vernünftige Nachrichtensendung oder eine wirkliche Unterhaltungssendung zu machen? Wo ein Wille ist... Aber Schamoni will die Leute an ihrer niveaulosesten Seite packen. Und er wird Erfolg haben. Leider.
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