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Erst die CDU wählen, dann länger dienen

Bonner Koalition einigt sich auf Aufschub für geplante Wehrdienstverlängerung / SPD will sie ganz vom Tisch haben  ■  Von Petra Bornhöft

Berlin (taz/dpa) - Die UnionsparlamentarierInnen stotterten vor ihrer Sitzung wirre und erlogene Begründungen in die Fernsehkamera, Geißler kritisierte unverhohlen das Gehampel der Regierung - doch nun sind die Fronten begradigt: Die geplante Wehrdienstverlängerung auf 18 Monate soll bis Mitte 1992 verschoben werden. Auf diesen Termin, weit nach den nächsten bedrohlichen Wahlen, einigten sich Spitzenunterhändler der Regierungskoalition am Dienstag abend, nachdem zuvor die Unionsfraktion ihr Plazet erteilt hatte. Demgegenüber verlangte die SPD gestern per Gesetzentwurf eine generelle Festschreibung der jetzigen Dauer des Wehrdienstes. Die „Selbstorganisation der Zivildienstleistenden“ hält trotz der Rücknahme der Dienstzeitverlängerung an ihrem Streikaufruf für den 1.Juni fest.

Während so mancher Hinterbänkler von der Union in Bonn wahrheitswidrig behauptete, neue Angaben über die Zahl der zu erwartenden Wehrdienstpflichtigen seien ausschlaggebend für den Schwenk der CDU/CSU, sprach Kohl von „Akzeptanzproblemen“ in der Bevölkerung. Sie könnten entstehen, wenn junge Männer bis zu zehn Jahren auf ihre Einberufung warten müßten. Die letzten der derzeit zur Verfügung stehenden 700.000 Rekruten, so assistierte der CSU -Abgeordnete Biele, würden bei einer Wehrdienstverlängerung von 15 auf 18 Monate erst nach zehn Jahren eingezogen.

Offenbar froh darüber, das Problem endlich vom Hals zu haben, schwieg die Regierung gestern auf der Bundespressekonferenz zum Reizthema Wehrdienst. So blieb ungeklärt, ob Kohl vor zwei Tagen tatsächlich einen Tobsuchtsanfall erlitten hat, nachdem ein an ihn gerichteter Brief vom Generalinspekteur der Bundeswehr, Dieter Wellershoff, publik geworden war. Der Admiral hatte schärfstens für die Wehrdienstverlängerung plädiert. Daß der Brief von der Hardthöhe in eine Zeitungsredaktion geflattert war, empfand Kohl öffentlich als „ziemlich ungewöhnlichen Zustand“, intern soll er seinen Ex-Freund Rupert Scholz fertig gemacht haben. Das war der ja nach der Kabinettsumbildung ohnehin. Deshalb, so die logische Vermutung der Horchposten in Bonn, könnte sich Scholz mit einer „Indiskretion“ gerächt haben. Gerüchte über einen zwangsweisen „Rücktritt“ des Generalinspekteurs mochte das Verteidigungsministerium nicht bestätigen.

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