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PERCUSSIVE PRÜGELORGIE

■ Fast Forwards konzertierte Aktion im Hamburger Bahnhof

Der Hamburger Bahnhof ist, so ist es draußen vor der Tür zu lesen, der einzige unbeschädigte Altberliner Bahnhof. Daß er dies die längste Zeit war, stand am Freitag abend ernsthaft zu befürchten, als Fast Forward und sieben KollegInnen ihn in bedrohliche Erschütterungen versetzten.

Auf sechs Schlagzeuge zugleich fliegen die Stöcke, rhythmisch genau abgestimmt, in kleinen Sequenzen mit kurzen Pausen. Dazwischen steht einer armselig allein und versucht, sich mit seinem Saxophon bemerkbar zu machen. Ein anderer bedient zu all dem skandierenden Gelärme noch einen gut verstärkten Synthesizer. Als Fast Forward von seinen Trommeln auf eine afrikanische Klangtonne umsteigt, beginnt ihm gegenüber der gewaltige David Moss anfallartig um sich zu schlagen. Sein Schlag-Zeug verdient auch keinen anderen Namen: Wie hinter einem futuristischen Flickwerk sitzt er an Trommeln, die von einem Holzstuhl überstülpt oder mit einem Parkverbotsschild beklebt sind, und drischt mit wahren Schlagstöcken darauf ein.

Der Titel dieser Veranstaltung leuchtete unmittelbar ein: „Trommelfeuer im Hamburger Bahnhof“. Die Auftragskomposition des Berliner Künstlerprogramms des DAAD wird an diesem Abend unter Mitwirkung namhafter KünstlerInnen aus Japan, Neuseeland und Israel uraufgeführt, darunter die japanische Tanzperformance-Künstlerin Kumiko Kimoto.

Sie ist noch mehr als die anderen mit dem ganzen Körper, mit Bewegungen und Gesang an der polyrhythmischen Raserei beteiligt und tanzt ihre eigenen Rhythmen mit. Als der Gigant Moss schreiend und mit Händen und Füßen sich anschickt, sein Schlagwerk geradezu zu zertrümmern, macht Kimoto einen Spaziergang durch den Gerätewald aus Röhren, Wannen, Federn, Stangen, eine gequälte Litanei anstimmend. Forward indessen ist dabei, die Trommel einer Waschmaschine mit seinen Stöcken zu traktieren, während die Neuseeländerin Zjamal Xanitha plötzlich anfängt, in einer abgeschirmten Ecke des Bahnhofs Dutzende leerer Flaschen in hohem Bogen zu zerschmeißen.

Es muß wirklich einen Wahnsinnsspaß machen, derart wild draufzuschlagen, und daß das Ganze sogar einer Komposition folgt - sie spielen alle nach Noten (was da auch immer drinsteht) -, scheint ziemlich grotesk. Doch die abrupten Zäsuren und versteckten Zeichen verraten ein improvisatorisches Konzept. Nur leider übersteigt das dröhnende Getöse fast ständig die erträgliche Phongrenze, und mich beschleicht das dumpfe Gefühl, daß sie auf den Nerven des Publikums besonders lustvoll herumtrommeln.

Die Szenerie verteilt sich langsam in der ganzen Bahnhofshalle, was für wohltuende Bewegung sorgt. Aus einer Ecke der Halle kommt da ein seltsam bekanntes Gepolter, das sich als percussiver Baulärm entpuppt: Riesige Metallfässer werden über Holzbohlen gewälzt und mit Stäben verdroschen, den metrischen Rhythmus hierzu erzeugt ein ächzender und stanzender Preßlufthammer. Die integrierte Baustelle als Kunstwerk der Arbeitenden? Jedenfalls kommt hier die Kunst zu sich selbst, das Assoziierte wird zum Konkreten. Die gekommen sind, zu hören und zu sehen, erkennen zwangsläufig wieder, was sich hier demaskiert: Das Leben ist nicht anderswo, und die geschlagene „Kunst“ ist mittendrin und nicht hochoben.

Heikel wird es, als die Radkappe, auf die Kimoto eindrischt, sich löst und für eine fast zum Totschläger wird. Auch das Stahlband, mit dem Forward so unbefangen hantiert wie mit einem Lasso, saust mir einmal fast über den Kopf.

Völlig bekloppt gehe ich nach Hause. Für sowas verlange ich Gefahrenzulage!

Christian Vandersee

Zwei der Trommelnden, das Duo „Fierce Vain“ (Yuval Gabay/Kumiko Kimoto) treten am 1. Mai um 1 Uhr nachts mit einem Minimal-Music-Programm im Swing (Nollendorfplatz) auf.

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