: Kurzer Brief zum langen Abschied
■ Herbert von Karajan kündigte gestern endlich nach langem Hin und Her frist- und formlos seinen lebenslänglichen Vertrag als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker / Oder dirigiert die Leich‘ am End‘ ihr Requiem doch noch selber?
„Sehr geehrte Frau Senatorin, ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich mit heutigem Datum meine Arbeit als künstlerischer Leiter und ständiger Dirigent des Berliner Philharmonischen Orchesters beende. Die Ergebnisse der ärztlichen Untersuchungen, die sich nun über Wochen erstreckt haben, setzen mich außerstande meine mir obliegenden Aufgaben, wie ich sie sehe, zu erfüllen. Weiters muß ich darauf hinweisen, daß ich seit vielen Jahren Ihre Vorgänger im Senat gebeten habe, endlich eine grundsätzliche Festlegung meiner Pflichte und Rechte vorzunehmen....“ Rums - wir haben ihn überstanden. Oder?
Mit einem mustergültigen Kündigungsschreiben, das der GröDaZ Herbert von Karajan gestern immerhin noch „persönlich“ in Salzburg der eingeflogenen neuen Berliner SPD-Kultusenatorin Anke Martiny überreichte - nachdem deren Vorgänger Volker Hassemer erst im Februar dortselbst ergebnislos untergehandelt hatte -, hat sich der teuerste, hartnäckigste und vor allem auch gesinnungsmäßig unbeugsamste Lebenslängliche der Republik nach 34 Jahren Nachkriegsdienst in Berlin 81jährig „aus gesundheitlichen Gründen“, aber vor allem auch, weil ihn die Berliner zuletzt nicht mehr unterwürfig genug verehrten, endlich selbst begnadigt und entlassen.
Und in dieser Stunde müssen wir alle uns fragen: Hätte dem
-seit August letzten Jahres abgedankten - Salzburger King dieser Akt der Humanität nicht früher zuteil werden können?! Vielleicht schon 1945, als sich erste „gesundheitliche Beeinträchtigungen“ des Maximo-Orchesterleaders zeigten. Und zwar vor allem in einer gewissen Farbblindheit, was die Brauntöne in der eigenen unmittelbaren Vergangenheit betrifft, gekoppelt mit einem deutlichen Defekt im Bereich der Großhirnrinde, wo gemeinhin das Gedächtnis sitzt?! Mußte man dem derart Vorgeschädigten da unbedingt zur Strafe dafür, daß er 1933 gleich zweimal in die NSDAP eingetreten war, noch über 1.500 Konzerte mit dem Berliner Philharmonischen Orchester aufbrummen?! Hätte man den Maestro der Simulation nicht einfach nur big in Japan werden lassen können, einem der Länder neben Taiwan und USA, wo der Leich‘ stets wieder so wohl wurde, weil wärmende Werte weidlich winkten und auf Videos Doubles für Dollars deutsch dirigierten - sozusagen als Kombi-Zombie in Bild und Ton?!
Jetzt allerdings steht womöglich Karajans Widerauferstehung kurz bevor: Obwohl die Kultursenatorin ihm gestern gleich eilfertigst den Dank Berlins ins Groschengrab hinterhergeworfen hatte, hoffte man beim Senat doch sogleich wieder, ihn ab jetzt als Gastdirigenten begrüßen zu dürfen.... Noch ist das Requiem der lebenden Leiche unvollendet.
Gabriele Riedle
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