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„Wettbewerb ausgeschlossen“

■ Bundeskartellamt erkennt Daimler-MBB-Fusion wg. „internationaler Konkurrenzfähigkeit der deutschen High-Tech-Industrie“ nicht an

IM

Die Bundesregierung und vor allem ihr ehemaliger Wirtschaftsminister Martin Bangemann sind die Architekten der geplanten Fusion Daimler-MBB. Gegen die kartellrechtlich bedenkliche Markt- und Machtkonzentration im Rüstungsbereich (auf beide Konzerne entfallen grob gerechnet zwei Drittel aller einschlägigen BRD-Entwicklungen) können die Fusionsstrategen wenig einwenden. Deshalb führen sie das Argument an, man müsse die bundesdeutsche Volkswirtschaft als Ganzes betrachten, und wenn sie in dieser Branche auf dem Weltmarkt bestehen wolle, müsse ein schlagkräftiger Konzern installiert werden. Dies habe das Bundeskartellamt bei seinem Verbot außer acht gelassen. Unter diesem Gesichtspunkt solle Bundeswirtschaftsminister Haussmann mit einer „Ministerlaubnis“ das Verbot außer Kraft setzen. Das Kartellamt hat jedoch in der Begründung seiner Entscheidung nachgewiesen, daß es für staatlich bestellte Rüstungsgüter überhaupt keinen internationalen Markt - weder auf europäischer noch auf Weltebene - gebe. Wir dokumentieren die Begründung in Auszügen (andere Teile der Verbotsbegründung folgen morgen) (d. Red.)

Auf der System- oder Teilsystemebene kann damit ein Wettbewerb nur innerhalb der jeweiligen nationalen Industrie stattfinden. (...) Daimler-Benz und MBB haben demgegenüber eingewandt, daß bei internationalen Kooperationen kartellrechtlich auf das Gesamtprodukt abzustellen sei und im übrigen auch die Zuweisung der Arbeitspakete an die einzelnen nationalen Industrien das Ergebnis eines internationalen Wettbewerbs sei. Der Wettbewerb auf nationaler Ebene sei „zum Teil nur noch Exekution dessen, was international - im Wettbewerb - vorentschieden wurde“. Beide Gesichtspunkte verkennen die tatsächlichen Umstände, unter denen sich internationale Kooperationen im Rüstungsbereich vollziehen.

Es ist (...) zunächst nicht vorstellbar, daß sich etwa die Bundesrepublik Deutschland oder Großbritannien nach der Entwicklung des Jäger 90 entschließen, nunmehr doch die französische RAFALE oder die amerikanische F-18 zu beschaffen, falls sie zu der Auffassung gelangen sollten, daß das Preis-/Leistungsverhältnis beim Jäger 90 ungünstiger sei. Ebensowenig gibt es aber auch für die an einer internationalen Kooperation beteiligten Staaten in dem Zeitpunkt, in dem sie die Entwicklung eines neuen Waffensystems beschließen, eine Nachfrage nach der Entwicklung des Gesamtprodukts auf einem internationalen Markt (...).

Es erscheint (...) jedoch ausgeschlossen (bei internationalen Kooperationen, d.Red.), daß es einem Land gelingen könnte, einen überproportionalen Anteil technologisch interessanter Arbeitspakete mit dem Argument zu erhalten, seine nationalen Unternehmen besäßen auf einer Vielzahl von Technologiefeldern eine überlegene Kompetenz. (...) Das industrie-, technologie- und sicherheitspolitische Interesse an einer quantitativ und qualitativ ausgewogenen Arbeitsteilung der nationalen Industrien führt daher dazu, daß die von den Regierungen der Partnerstaaten vereinbarte Verteilung der Arbeitspakete nicht das Ergebnis von Wettbewerb, sondern das Resultat eines politischen Kompromisses ist.

Ist somit auf der System- oder Teilsystemebene ein internationaler Wettbewerb im Regelfall ausgeschlossen, so können demgegenüber bei der Komponenten-Zulieferung zwar auch ausländische Anbieter zum Zuge kommen. Diese Möglichkeit ist jedoch dadurch stark eingeschränkt, daß per saldo das Auftragsvolumen der jeweiligen nationalen Industrie dem Finanzierungsanteil des jeweiligen Staates entsprechen muß. Soweit die Zulieferung von Komponenten in ein Arbeitspaket fällt, das der einheimischen Industrie zugewiesen wurde, muß dementsprechend bei der Vergabe von Unteraufträgen an ausländische Anbieter ein Ausgleich in Arbeitspaketen geschaffen werden, die der nationalen Industrie dieses ausländischen Anbieters zugewiesen sind.

Festzuhalten ist demnach, daß sich auch im Rahmen internationaler Kooperationen ausländische Konkurrenz praktisch kaum entfalten kann, sofern es um die Entwicklung und Fertigung von neuen, noch nicht existierenden Waffensystemen geht.

(...) Die Gründe für die weitgehende Beschränkung der Beschaffung von Rüstungsgütern auf einen nationalen Markt liegen in der besonderen Natur dieser Güter.

Die Herstellung der militärischen Abwehrbereitschaft eines Landes und damit auch die Ausrüstung der Streitkräfte mit Waffensystemen stellen ein „öffentliches Gut“ dar, das anders als etwa die „öffentlichen Güter“ Ausbildungswesen oder Infrastruktur letztlich „unproduktiv“ (Waffen sollen, wenn möglich, niemals eingesetzt werden) und zudem vergleichsweise „unpopulär“ ist. Wenn gleichwohl ganz erhebliche Haushaltsmittel in Rüstungsvorhaben investiert werden, besteht naturgemäß eine politische Vorgabe, diese Gelder dann zumindest der einheimischen Industrie zukommen zu lassen, um entsprechende Arbeitsplätze zu schaffen, möglicherweise einen Technologievorsprung zu erzielen und nicht zuletzt auch einen gewissen Rückfluß durch die von der einheimischen Industrie abzuführenden Steuern zu haben. Ist es aber einmal zum Aufbau rüstungswirtschaftlicher Kapazitäten gekommen, dann entwickelt sich für die Beschaffungspolitik eine Eigendynamik. Um die einmal geschaffenen hochwertigen Arbeitsplätze nicht zu vernichten, muß mit Folgeprogrammen dafür gesorgt werden, daß zumindest eine Mindestauslastung der Kapazitäten gewährleistet ist, um den technologischen Leistungsstand und insbesondere die Systemfähigkeit der einheimischen Industrie zu erhalten. Es kann für die Volkswirtschaft langfristig teurer werden, wenn durch den Kauf preiswerter Waffensysteme im Ausland Kapazitäten im Inland verloren gehen, die für spätere Projekte dann erst mühsam wieder aufgebaut werden müssen. Hier kommt auch hinzu, daß aus allgemeinen sicherheitspolitischen Erwägungen ein nationales Interesse daran bestehen kann, eine nationale Rüstungsindustrie und damit eine gewisse Versorgungssicherheit auf diesem Gebiet vorzuhalten. Diese Umstände erklären, daß nicht nur keine Aufträge zur Entwicklung neuer Waffensysteme an das Ausland vergeben werden, sondern vielmehr häufig auch die kostspieligere eigene Entwicklung dem Kauf bereits vorhandener ausländischer Waffensysteme vorgezogen wird. (...)

Belegt werden (diese eingeschränkten Exportmöglichkeiten deutscher Unternehmen durch die für einen High-Tech-Bereich äußerst geringen Exportquoten, die sich aus den Angaben der befragten Unternehmen ergeben (z.B. lag der Exportanteil von MBB im militärischen Bereich in den Jahren 1980 bis 1988 fast durchweg unter zehn Prozent. Die Umsätze im Rahmen internationaler Kooperationen können entgegen der Auffassung von Daimler-Benz und MBB nicht als Exporte angesehen werden. Endabnehmer der entsprechenden Leistungen war in Höhe der Finanzierungsquote, die im Regelfall in etwa dem Umsatz von MBB als nationalem Hauptauftragnehmer entsprach, die Bundesrepublik Deutschland. (...)

Es stellt sich die Frage, ob im Hinblick auf den angestrebten europäischen Binnenmarkt 1992 oder die Bestrebungen im Rahmen der IEPG (Unabhängige Europäische Programmgruppe Zusammenschluß der europäischen Nato -Partner) in absehbarer Zeit eine Änderung des dargestellten Systems weitgehend abgeschotteter nationaler Rüstungsmärkte zu erwarten ist. (...) In diesem Zusammenhang hat zwar die Ministertagung der IEPG-Länder in der „Luxemburger Erklärung“ vom 9.11.1988 eine Reihe von Maßnahmen vorgesehen, die das Beschaffungswesen der einzelnen Mitgliedstaaten europaweit transparenter machen sollen. Auch die IEPG sieht jedoch als Voraussetzung einer wesentlichen Steigerung des europäischen Wettbewerbs mit Rüstungsgütern die Lösung des Problems des „Juste Retour“, d.h. des Prinzips, daß sowohl finanziell als auch im Hinblick auf die Verteilung des technologischen Gehalts ein angemessener Ausgleich zwischen den Ländern stattzufinden hat. (...)

Zumindest auf der Systemebene ist daher in absehbarer Zeit ein europaweiter Wettbewerb zu erwarten.

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