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„Nichts außer Stichworten und Sonntagsreden“

■ Erster öffentlicher Auftritt der neuen Wissenschaftssenatorin Barbara Riedmüller-Seel in der FU / Viele Fragen, wenige konkrete Aussagen / Autonomie der Hochschule muß notfalls hinter der Frauenfrage zurückstehen / „Wilde Wutz“ besetzte Podium

„Nehmt die Riedmüller nicht so ernst, der neue Senat ist Mist.“ Der stadtbekannte Christian S. hatte seine Holzkamera zwar diesmal zu Hause gelassen, dafür brachte er mit der ihm eigenen Unbeholfenheit schon vor Beginn der Veranstaltung das auf den Punkt, das sich zum Ende derselben auch bei so mancher ZuhörerIn eingeschlichen hatte: Unbehagen. Auf dem Programm stand der erste öffentliche Auftritt von Barbara Riedmüller-Seel in der FU, seit diese den Stuhl der FU -Vizepräsidentin mit dem der Wissenschaftssenatorin eingetauscht hatte. Gerade zurückgekehrt von ihrer ersten Kultusministerkonferenz, war sie am Montag abend in den vollkommen überfüllten Hörsaal des Henry-Ford-Baus gekommen, um zum Abschluß des Fachbereichstages am Otto-Suhr-Institut (OSI) ihre hochschulpolitischen Ziele zur Diskussion zu stellen.

Die Erwartungen von Podium wie Publikum waren nicht gerade bescheiden. Nachdem das OSI unter dem alten Senat gerade mal eine Erweiterung „um zwei Stockwerke“ erfahren habe, fordere man vom jetzigen Senat eine neue „Architektur der Hochschuldemokratie“, umriß Dekan Werner Väth die Dimensionen des Diskussionsgegegnstandes. Riedmüller-Seel antwortete mit einem kurzen Ritt durch die Nomenklatur rot -grüner Reformvorhaben: Wichtig sei die Wiederherstellung der Mitbestimmung, nötig eine Reform der universitären Selbstverwaltung - kurz, die baldige Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG).

Eine Chance sah Frau Riedmüller dabei in der Schaffung einer „Experimentierklausel“ für Berlin, mit der die engen Grenzen des Hochschulrahmengesetzes überwunden werden sollten. Allerdings ließ sie offen, was eine solche Klausel inhaltlich bringen sollte. Das Tutorenprogramm sei mit vier Millionen Mark auf den Weg gebracht worden, ebenso die Frauenbeauftragten an den Unis, die bis Ende des Jahres ihre Arbeit aufgenommen haben sollen. Die universitäre Forschung müsse „gestärkt“ und neue Konzepte der Forschungsförderung „diskutiert“ werden. So gäbe es beispielsweise „Überlegungen“, einen „Forschungsrat“ einzurichten, der über die Vergabe von Forschungsgeldern entscheiden soll. Kriterien wie Ökologie, Vernetzung und Interdisziplinarität wurden dabei von Riedmüller nur angerissen. Nach kurzer Zeit war klar: Die neue Senatorin hatte mehr Fragen als Antworten mitgebracht. „Was heißt eigentlich bedarfsgerechter Ausbau der Hochschulen?“, fragte sie ins Publikum zurück.

Dem war das zu wenig, es verlangte Konkreteres. „Nichts außer Stichworten und Sonntagsreden“ habe die neue Senatorin bisher geliefert, provozierten die Studentenvertreter auf dem Podium. Die neue Architektur sei nur „Makulatur“. Wer bestimmt, in welche Fächer die Überlastmittel fließen? Werden die StudentInnen überhaupt beim Entwurf eines neuen BerlHG beteiligt? Warum wird die Frauenquotierung bis zur Verabschiedung eines Antidiskrimierungsgesetzes am St.Nimmerleinstag aufgeschoben und nicht gleich im BerlHG mitgeregelt? Und was tut der Senat konkret, damit Interdisziplinarität nicht nur als „studienbegleitende Beschäftigungstherapie“ behandelt wird? Fragen über Fragen, die größtenteils unbeantwortet blieben.

Noch ehe Frau Riedmüller in die Verlegenheit kam, sich dezidierter äußern zu müssen, mündete die Veranstaltung in eine Vorlesestunde. Eine Abordnung des Studiengangs Journalisten-Weiterbildung an der FU forderte in einer Resulution ein bundesweit anerkanntes Diplom.

Sodann erklomm ein OSI-Student die Rednertribüne, um ein von der Fachbereichs-VV verabschiedetes Papier mit diversen Forderungen zur Mitbestimmung vorzutragen. Als dann auch noch etwa 20 BesetzerInnen der seit fünf Wochen besetzten Häuser in der Marchstraße das Podium besetzten, drohte die Stimmung zu kippen. Die „Wilde Wutz“ war angetreten, um mittels einer Resolution - Frau Riedmüller der „Verschleierungspolitik“ bei den Verhandlungen um das Gelände zu überführen (die taz berichtete). Begleitet wurde sie dabei von einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert und Buh -Rufen aus dem Publikum, das sich um sein Bedürfnis nach einem Dialog mit der Wissenschaftssenatorin betrogen fühlte.

So blieben am Ende noch ganze 15 Minuten für die Diskussion zwischen Podium und Plenum. Heraus kam dabei immerhin noch soviel, daß sich die Senatorin auf einer außerordentlichen Sitzung des Kuratoriums für die Rücknahme der umstrittenen Auflösung von Philosophie, SozialwissenschaftenI und Kommunikationswissenschaften stark machen will: „Die Philosophie soll mit der Soziologie zusammenbleiben und die Kommunikationswissenschaften müssen selber entscheiden, ob sie in den neuen Fachbereich wollen“. Deutlich machte sie auch, daß sie bei Berufungsvorschlägen der Hochschulen, bei denen Frauen auf Platz drei gesetzt werden, in Zukunft durchaus die ansonsten von ihr stets geforderte Autonomie der Hochschule zu opfern bereit ist. Entgegen der Fachbereichsvoten würde sie im Einzelfall einer Frau den Vorzug geben, auch wenn sie es im Prinzip ablehne, wie ihr Amtsvorgänger Turner in die Uni hineinzuregieren.

Die Sitzung endete mit der lautstarken Rücktrittsforderung der ZuhörerInnen an die Adresse des nicht anwesenden FU -Präsidenten Heckelmann, die wie üblich mit tosendem Beifall quittiert wurde. Dekan Väth blieb nur noch, die Wissenschaftssenatorin mit weisen Worten auf den Heimweg zu schicken: „Sie können Ihren Kollegen mitteilen: Der Druck der Basis hält an.“

Beate Schulz

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