: Rückwärtsgewandter Zeitgeist
■ Rot-grüne Ad-hoc-Gruppe aus Parteimitgliedern und Unabhängigen stellte neue Streitschrift zur Schließung der Akademie der Wissenschaften vor / Auflösungsgesetz soll schon Ende Mai vorgelegt werden
Eigentlich hätten die GegnerInnen der Akademie der Wissenschaften zufrieden sein können. Nachdem die SPD noch im März damit geliebäugelt hatte, den konservativen Elite -brain-trust zu reformieren, statt, wie von der AL gefordert, ohne Wenn und Aber abzuschaffen, sind die Tage der Akademie jetzt definitiv gezählt. Wie die AL-Abgeordnete Hilde Schramm gestern berichtete, will der Momper-Senat bereits Ende Mai/Anfang Juni Nägel mit Köpfen machen und ein entsprechendes Auflösungsgesetz vorlegen. Als wollte die SPD demonstrieren, daß sie es auch wirklich ernst meint, soll der Koalitionsbeschluß außerdem durch einen gemeinsamen parlamentarischen Antrag mit der AL-Fraktion die nötige moralische Rückendeckung erfahren.
Doch die Stimmen derer, die der SPD/AL-Koalition Wissenschaftsfeindlichkeit und zerstörerische Rachemotive vorwerfen, wollen nicht verstummen. Es bestehe die „Gefahr“, daß der Auflösungsbeschluß in letzter Sekunde „verwässert“ werde, äußerte sich gestern der Soziologe Wieland Elfferding, Mitglied einer „Ad-hoc-Gruppe“ aus wissenschaftlich engagierten Personen innerhalb und außerhalb von AL und SPD skeptisch. Unter dem programmatischen Titel „Abgesang auf die Akademie der Wissenschaften zu Berlin - Warum die Akademie zum Nutzen der Wissenschaft aufgelöst werden muß“ stellte die Gruppe gestern eine neue Streitbroschüre vor. Sie soll, so Hilde Schramm, die Diskussion um die Schließung mit Argumenten „unterfüttern“.
„Beim Ausgangspunkt ihres eigenen Selbstverständnisses, die langfristigen Probleme unserer Umwelt zu untersuchen, ist die Akademie der Wissenschaften keine innovativ tätige Alternativforschungsinstitution, sondern eine Absicherungsforschungsinstitution für Technologien, die heute zum großen Teil schon wieder 'out‘ sind.“ Zu diesem vernichtenden Urteil kommt Hans-Joachim Rieseberg, Leiter des Büros für wissenschaftliche Weiterbildung an der TU, der sich als „ausgewiesener Kritiker der bestehenden Universitäten“ einführte.
Otto Ullrich, Techniksoziologe und ehemaliges Mitglied der Enquete-Kommission zur Technologiefolgenabschätzung im Bundestag, bescheinigte der Akademie einen hohen Mangel an Pluralität, die vor allem für eine glaubwürdige Technikfolgenabschätzung und Politikberatung essentiell sei. In der Zusammensetzung der Akademie, so Ullrich, gelte ja sogar schon ein CDU-Politiker wie Biedenkopf als „Außenseiter“. Geradezu „lachhaft“ sei es, wenn ein Wissenschaftler wie der Automationspapst Professor Spur mit der Erforschung von Alternativen zu Produkten betraut würde, an deren Entwicklung er selbst das höchste Interesse habe.
Hilde Schramm kritisierte die kostenintensiven Arbeitsbedingungen der Akademie-Wissenschaftler, die „nicht konkurrenzfähig“ seien. 1.000 Mark bekämen Akademiemitglieder für einen Sitzungstag. Die Reisekosten der Akademie seien sogar doppelt so hoch, wie die des gesamten Wissenschaftssenats. Doch auch die AL will die bestehenden Forschungsprojekte nicht Knall auf Fall auseinanderreißen.
Hilde Schramm plädierte für ein Konzept der Integration in die bestehenden Forschungseinrichtungen. Doch an diesem Punkt herrschte keineswegs Einigkeit: Eher „erschreckend“ fand TU-Wissenschaftler Rieseberg die Vorstellung, daß die fragwürdigen Forschungsprojekte der Akademie jetzt an Universität angebunden werden sollen. Er machte damit deutlich, daß die Alternativen zur Akademie noch keineswegs ausdiskutiert sind. „Auch auf die Gefahr hin, daß er sich gegen uns wendet“ - dem Diskussionsprozeß wolle man sich stellen -, lud Hilde Schramm zu einem öffentlichen Disput am 17. Mai ein.
Möglicherweise ist bis dahin eine nicht unbedeutende Kleinigkeit entschieden: Am 6. Mai will nämlich der Rat der Akademie über den Umzug in ein gastfreundlicheres Bundesland beschließen.
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