: „Die Großstadt ist ein unökologischer Moloch“
■ Interview mit der neuen Umweltsenatorin Schreyer / Auch unter ihr wird es keine Bestandsgarantie für jeden einzelnen Kleingarten abgegeben / Möglicher Effekt einer neuen Informationspolitik: Mehr Negativmeldungen
Die von der AL nominierte neue Umweltsenatorin Michaele Schreyer äußerte sich in einem taz-Interview zu aktuellen umweltpolitischen Konflikten und zu den Möglichkeiten, in dem „unökologischen Moloch“ (Schreyer) einer Großstadt grüne Politik zu machen.
taz: Folgt man dem Augenschein, dann hat die neue Umweltsenatorin vor allem damit zu tun, plötzlich auftretende Katastrophen zu bewältigen: Hausbesetzungen, Ölunglücke ...
Schreyer: Die Hausbesetzungen waren nun wirklich keine Katastrophe. Die gehören mit zur Geschichte und zur Gegenwart von Berlin. Eine Katastrophe hatten wir jetzt mit dem Tanklastunglück in Haselhorst. Als ich vor ein paar Tagen dort war, war ich doch zutiefst geschockt über die alte Verseuchung des Geländes. Wo man da reinpiekt in den Boden, stößt man auf eine Altlast.
Dieses Problem tritt ja in Berlin fast überall auf. Läßt sich dagegen überhaupt etwas machen, allein von den Kosten her, die bei Bodensanierungen verschlungen werden?
Ich gebe mich nicht der Illusion hin, daß wir hier in vier Jahren eine Dekontamination des gesamten Berliner Bodens realisieren könnten. Wir könnten schon positiv bilanzieren, wenn wir tatsächlich eine umfassende Bestandsaufnahme haben, in der qualitativen Bewertung ein großes Stück weiterkommen und bei den Grundstücken, bei denen eine Gesundheits- oder eine Grundwassergefährdung vorliegt, Sanierungsmaßnahmen realisieren können. Insgesamt ist die Altlastensanierung keine Aufgabe für nur eine Legislaturperiode, sondern dauerhafter.
Ist das nicht eine Gefahr, daß du den Leuten wenig Positives anbieten kannst, sondern statt dessen Katastrophensenatorin wirst in dem Sinn, daß du oft nur auf Unglücke reagieren kannst, beziehungsweise vollständiger informieren kannst darüber, wie schlimm die Lage eigentlich ist?
Du hast in bestimmtem Sinne recht. Wir werden die bisherige Verdeckungspolitik nicht fortsetzen. Daraus folgt: Wir werden viele Negativmeldungen haben. Trotzdem wollen wir nicht weiter die Umweltsituation beschönigen, nicht nur aus Demokratieaspekten, sondern es hemmt ja auch die Handlung.
Aber je mehr Probleme bekannt sind, desto mehr Arbeit für die Senatorin.
... und die Verwaltung.
Den ersten direkten umweltpolitischen Konflikt, den hattest du mit den Wassersportlern, deren Boote vom sogenannten „Großen Fenster“ an der Havel verschwinden sollen.
Dieser Konflikt zwischen Naturschutz und Freizeitsport ist ja schon lange bewußt. Und er wurde am Großen Fenster auch schon von Harry Ristock 1982 angegangen. Hier wird nicht nur der Naturschutz vernachlässigt, sondern es geht auch um die Trinkwassersicherung. Der Wassersport wird hier schon seit Jahren als Provisorium geduldet. Jetzt werden wir das Problem angehen und lösen.
Aber hast du dir damit nicht als erstes einen sehr schwachen Gegner ausgesucht, verglichen mit der Bewag oder der Wirtschaft allgemein?
Ich glaube, wir würden uns übernehmen, wenn wir jetzt eine Prioritätenliste machen und abwägen würden, wo der härteste Konfliktpunkt liegt, und dann nur da ansetzen. Am Großen Fenster haben wir einen Zustand, der mit der Trinkwasserversorgung nicht vereinbar ist und der ohne Not so besteht. Wir können das Domizil der Surfer an eine andere Stelle verlegen, und die Segler müssen sich in Berlin andere Liegeplätze suchen. Wir werden dabei helfen, aber primär ist es die Aufgabe der Segler selbst.
Wo sind denn nun deiner Meinung nach die stärksten Gegner einer ökologischen Politik?
Das sind einerseits diejenigen, die Natur für ihre privaten Profite zerstören, aber auch diejenigen, die umweltzerstörendes Verhalten mit Lebensqualität gleichsetzen. In der Stadtentwicklungspolitik haben wir zudem die Frage der Nutzungskonkurrenzen für Flächen. Wir brauchen Flächen für Wohnungsbau, aber wir müssen sehen, daß er in den Bereichen stattfindet, wo es am ökologieverträglichsten ist. Das heißt, wir müssen möglichst auch brachliegende Flächen recyclen.
Kann es passieren, daß auch Kleingärten verschwinden müssen zugunsten des Wohnungsbaus?
Die Frage der Kleingärten haben wir in den nächsten zwei Wochen hier in der Verwaltung auf der Tagesordnung stehen. Das Ziel ist in den Koalitionsvereinbarungen festgelegt, nun auch die Kleingartenflächen zu erhalten. Aber ich kann keine Bestandsgarantie für jeden einzelnen Kleingarten geben.
Ein wichtiger Nutzungskonkurrent ist auch die Wirtschaft. Die Industrie- und Handelskammer hat kürzlich geklagt, es gebe kaum noch Gewerbeflächen auf dem freien Markt.
Ich hatte die Frage im Aufsichtsrat der Wirtschaftsförderungsgesellschaft angesprochen, wieweit in der jüngsten Vergangenheit eine Ansiedlung daran gescheitert sei, daß keine Fläche da war. Mir wurde der Fall einer Automobilfabrik genannt. Und da muß ich sagen: Für Projekte einer solchen Flächenintensität haben wir in der Tat in Berlin keine Fläche. Ich bescheide damit den Flächenbedarf der Wirtschaft nicht negativ, aber sage auch ganz klar: Manche Standortnotwendigkeiten kann Berlin nicht erfüllen, nicht aufgrund einer politischen Entscheidung dieses Senats, sondern wegen der gesamten geographischen Situation der Stadt.
Aus Anlaß des dritten Jahrestages der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl hast du erklärt, der Senat von Berlin stehe für den Ausstieg aus der Atomenergie. Zu aktuell in Berlin anstehenden Fragen des Umgangs mit Atomkraft habe ich in der Erklärung kein Wort gelesen, etwa zum Stromlieferungsvertrag, nach dem ja überwiegend Atomstrom in die Stadt geliefert werden soll. Hieße die Annahme dieses Vertrages für Berlin nicht den Einstieg in die Atomwirtschaft?
Eben, das ist ja unsere Befürchtung, daß wir dadurch nicht nur von Fremdlieferungen abhängig werden, sondern auch direkt von der Atomenergie. Es gibt für Berlin mindestens vier Aspekte beim Stromlieferungsvertrag. Der eine ist die Abhängigkeit von der Atomenergie, der zweite das Abhängigwerden von Fremdlieferungen, was dem Konzept der dezentralen Energieversorgung entgegensteht. Wir befürchten drittens, daß dieser Stromverbund der Notwendigkeit entgegensteht, Energieeinsparkonzepte zu realisieren. Und das vierte ist die Frage der Umweltschädlichkeit der Trassenführung. Eine Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der Umwelt- und der Wirtschaftsverwaltung hat sich jetzt der Prüfung des Vertrages und der vorliegenden Umweltverträglichkeitsprüfung angenommen.
Ein weiteres großes Problem, das du bewältigen mußt, ist der Müll. Speziell flüssiger, wassergefährdender Sondermüll wird ja auch unter deiner Ägide von der BSR auf die DDR -Deponie Vorketzin gebracht, die in den siebziger Jahren ohne Basisabdichtung gebaut wurde und modernen Kriterien nicht genügt. Flüssiger Sondermüll kann hier das Grundwasser verseuchen. Müßte man diese Mülltransporte nicht stoppen?
Das ist eine richtige Zwickmühle, weil uns der alte Senat hier ein reines Chaos hinterlassen hat. Auf der einen Seite besteht kein Konzept der Vermeidung oder Verwertung von Sondermüll, auf der anderen Seite wurde die sorglose Entsorgung betrieben. Wir prüfen jetzt, welche Möglichkeiten der Wiederaufbereitung es für die flüssigen Sonderabfälle gibt. Bisher wurde immer gesagt, das ginge technisch nicht. Auf der anderen Seite haben wir auch das Angebot einer Firma in Berlin, die sagt, es ginge.
Und warum lassen sich die Transporte nicht stoppen?
Es ist die Folge des hinterlassenen Chaos, daß wir natürlich nicht wissen, wohin damit.
Eine Zwischenlagerung in der Stadt geht nicht?
Ich kann nicht sagen, inwieweit das bisher geprüft wurde. Ich bemühe mich jetzt darum, in einen direkten Informationsaustausch mit der DDR zu kommen, um zu erfahren, in welchem Zustand die Deponien sind. Wir wollen die Frage angehen, wie wir die Situation von westlicher Seite verbessern können, sowohl was die Deponien angeht, als auch die Sondermüllverbrennungsanlage Schöneiche.
Klappt es mit dem Besuch in Schöneiche, den du planst?
Wir haben unseren Gesprächswunsch anmelden lassen und werden es jetzt noch mal auf offiziellem Wege anmelden. Es geht darum, daß ich mich schlichtweg informieren will.
Nochmal zurück auf die geplanten Änderungen des Flächennutzungsplans: Ist denn ganz klar, daß die Nord-Süd -Straße ersatzlos gestrichen wird.
Ja.
Es gibt also keinen anderen Straßenneubau in diesem Bereich? In deiner Verwaltung gibt es doch Überlegungen, die alte Idee der „Mauerstraße“ wiederaufzugreifen, weil die Entlastungsstraße ohnehin erneuert werden muß.
Also die Frage der Straßenplanung gibt es natürlich permanent. Und es gibt vor allem auch die Frage der Verkehrsführung permanent. Und wenn man ein Konzept begräbt, muß man sich natürlich auch Gedanken machen, ob der bestehende Zustand der beste ist. Aber wir werden nicht unter einem anderen Etikett dieses frühere Projekt weiterführen.
Ein weiterer Konflikt im Zentralen Bereich entzündet sich am Moabiter Werder. Bausenator Nagel hat seine Zielzahl schon angegeben. Er will mindestens 1.000 Wohnungen bauen, nicht nur 600 wie der alte Senat. Was sagst du dazu?
Der Moabiter Werder ist ein sehr guter Standort in der Stadt, die Stadtplaner sprechen von einem Filetstück. Er gehört mit zu den Bereichen, die in die Bundesgartenschau 1995 einbezogen sind, um hier auch mit dem Instrument der Buga sehr forciert in die veränderte Stadtgestaltung reinzukommen. Es ist klar, daß Grünflächen entstehen sollen und Wohnungsbau. Hinsichtlich der Frage, wieviele Wohnungen es da geben soll, sind wir in der Diskussion mit Herrn Nagel.
Aber ihr wollt weniger Wohnungen als 1.000?
Ich lege mich nicht fest, bevor die Gesamtgestaltung erörtert ist. Es kommt darauf an, was im Gesamten dort realisiert wird. Dazu gehört auch die Frage: Wie hoch baut man?
Wird es Hochhäuser geben, wie das vom alten Senat geplant war?
Also ich stehe Hochhäusern sehr skeptisch gegenüber. Hier sind dann Grünflächen als Abstandsflächen notwendig, die aber dann nicht mehr nutzbar ist. Deshalb habe ich eher eine Präferenz dafür, etwas in die Breite zu gehen, auch wenn das auf Kosten der Fläche geht. Wichtig ist, daß genügend „naturnahe“ Grünflächen erhalten beziehungsweise angelegt werden.
Du stößt hier überall darauf, wie eng es in Berlin ist. Ist es nicht eine denkbar undankbare Aufgabe, ausgerechnet hier alternative oder grüne Umweltsenatorin zu sein: Erstens in einer Großstadt, die ohnehin ...
... ein unökologischer Moloch ist...
... und dann diese erschwerte Lage in Berlin mit der Mauer drumrum, ohne Ausweichflächen?
Es ist eine Herausforderung. Und wie wir ja wissen, ist es auch in ländlichen Gegenden relativ schwer, ökologische Politik zu machen, weil auch eine ländliche Nutzung des Raumes nicht eine ökologische Nutzung des Raumes garantiert. Wir sollten uns als Grüne nicht davon schrecken lassen, daß die Zustände schlimm sind, sondern im Gegenteil an der Veränderung dieser Zustände arbeiten.
Interview: Hans-Martin Tillack
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