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Geteilte Liebe zu Rigaer Freiheit

■ Deutsch-Sowjetische Gesellschaft und Kriegsgräberfürsorge besuchten Bremens Partnerstadt Riga / Kunick über US-Drohung: „Sollen die doch abziehen“

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben, sagt ein populären Sprichwort. Dem Bremer Häfen- und Bau-Senator Konrad Kunick ist es in den vergangenen

Tagen genau so gegangen: Da sind doch in Leningrad „die ganzen Oberkopfeten abgewählt worden“ - das ist Demokratie, schwärmt Kunick. Das Land sei im völligen Aufbruch begriffen. Er war in Moskau, um dort zusammen mit 18 Herren der Bremer Wirtschaft geschäftliche Kontakte zu pflegen, im Radio hört er: wieder über hundert Betriebe der Rüstungswirtschaft stellen auf Konsumgüter um.

Nun ist einer wie der Senator weit davon entfernt, für Bremen Gleiches zu fordern. In einem Punkt allerdings wurde Konrad Kunick gestern vor Journalisten richtig Perestroika -radikal: beim Thema der Modernisierung der Kurzstrecken -Raketen. Die US-amerikanische Schutzmacht will die Waffen, die im atomaren Ernstfall die Deutschen in einem „Feuervorhang“ verbrennen würden, auch noch „modernisieren“ und droht damit - wenn die Bundesrepublik nicht zustimme die Truppen abzuziehen. „Welche Drohung!“, ereiferte sich Kunick: „Sollen die doch abziehen.“

Eins hat Kunick, der in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der deutsch-sowjetischen Freundschaftsgesellschaft in der Sowjetunion war, mitgebracht: Das

„Bedrohungsthema“ ist für die SU nicht mehr akut, die Bundesrepublik sei „militärisch nicht mehr gefährdet“, es gehe um eine neue Friedensordnung, die in den kommenden Jahren erarbeitet werden müßte und da seien „weniger Truppen von dieser Sorte soviele Jahre nach Kriegsende sowieso angemessen.“

Mit dabei bei der Reise war auch der Landesvorsitzende des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Dr. Walter Franke. Dieser Volksbund ist weit weniger reaktionär als sein Name vermuten läßt, er will den Jugendaustausch fördern und die Pflege der Gräber nur als Anlaß verstanden wissen, um praktische Verständigung zu beteiben. Im Rahmen solcher Verständigung sollen demnächst lettische Künstler das Bürgerhaus Mahndorf bemalen.

Franke hat in Riga Menschen angetroffen, die einen „extremistischen Freiheitsbegriff“ praktizieren, und er hat Sorge, wie die Regierung das „im Griff behalten“ kann. Das ganze plitische Spektrum artikuliert sich da, viele würden völlig Utopisches fordern, auf der anderen Seite gebe es die reaktionären deutschfreundlichen Angehörigen der lettischen Regimenter der Waf

fen-SS.

Entsetzt hat Franke bei einer Automobil-Ausstellung festgestellt, daß VW seinen Erfolg mit einem großflächigen Foto feiert, auf dem Hitler vor Hakenkreuzen den Grundstein des Volkswagen-Werkes legt. In der Unterschrift lobt der Autokonzern sich, so berichtete Franke, fürden „besten Vergaser der Welt“, der des VW selbstverständlich. Der Foto -Text ist weder auf lettisch noch auf russisch übersetzt, sondern nur auf deutsch dazugeschrieben. Wer soll das verstehen können? Kunick: „Das sind Botschaften an alte lettische Nazis.“ Der Bremer Senator will einen bitterbösen Brief an den deutschen Auto-Konzern schreiben.

K.W.

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