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Architekturzeichnungen

■ Houses of the Risin' Sun von Jan Abstawski in der Volkshochschule Wedding

Architekturzeichnungen entstehen zumeist in Zeiten baulicher Not. Als Fluchtorte vor betonierter Wirklichkeit und als gezeichnete Opposition gegen modische wie korrumpierte Staatsarchitektur, sind sie ein kreativer Befreiungsakt vom rein Zweckmäßigen. Doch wenn die Zeit reif ist und die Einsicht in das städtebauliche Desaster der Phantasie wieder pragmatische Wege eröffnet, dann wandert die eigenständige Gattung oft wieder ans Reißbrett.

Der Pole Jan Abstawski geht dagegen mit seinen Federzeichnungen auf die größtmögliche Distanz zur baulichen Realität. Heimlicher Disziplin begegnet er mit Übermut, und versteckte Gedanken an statische Konstruktionen sind ihm fremd. Denn Abstawski ist kein Baumeister, sondern architektonischer Landschaftsmaler: Aus einem haarfeinen Gerüst schwarzer Tusche bauen sich märchenhafte Städte auf, die an glasierte Zuckerbäckerbauten erinnern. Glasfronten moderner Hochhäuser, vor denen zerbrechliche Schwebebahnen entlanggleiten, schießen hinter Hexenhäuschen in den Himmel und verbinden sich sodann mit gotisch anmutenden Kathedralen. Aus ihnen steigen über schlanke Säulen hohe Türme auf, die an klapperigen Wendeltreppen fliegende Städte und Luftschlösser halten, aus denen motorisierte Schmetterlinge heraussausen. In zackige Felslandschaften eingebettet, formierten sich die Städte zu einem architektonischen Sammelsurium, in dem die Zeit stillzustehen scheint. Aus Traum und Phantasie fügt sich eine filigrane Welt zusammen, die darum hält und nicht einstürzt, weil das Unmögliche ihr Bauprinzip darstellt.

Doch im Gegensatz zu Architekturzeichnungen postmoderner Kollegen, die wie Charles Moore mit festem Strich historisierende Visionen auf dem Papier nur ausprobieren, um ihre Realisierung umso fester voranzutreiben, sind die spindeldürren Linien hier wie ein in Auflösung begriffenes Netz, das mit Imagination und Dichtung jenem technisch -funktionalen Spiel nur Abschied entgegenhält.

Auch mimen die Puzzlestädte keine romantische Sehnsucht nach Erlebnisarchitektur, sondern sind, unbrauchbar, nur gedacht und auf der Flucht in die Irrationalität, wie ein musikalisches Thema mit tausend Variationen. Schräg, schrill und melodisch kommen die Zeichnungen Schwingungen gleich, die in den kreischenden und sanften Figuren des Jazz und Blues zu finden sind. Abstawski, selbst Jazzer und langjähriger Chef eines avantgardistischen Clubs in Warschau, betitelt daher viele seiner Architekturzeichnungen wie alte Jazzstücke: „U-Bahn Staton“, „1/2 Vier Uhr nachts“, „None too York“. Als schier unendliche Komposition schwingen die metaphysischen Orte zwischen solchen Tönen auf und ab.

rola

Die Ausstellung „Jan Abstawskis Mythos der Stadt“ ist bis zum 25.Mai in der Volkshochschule Wedding, Ravenestraße 12, zu sehen. Mo-Fr 9-20 Uhr.

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