: Schuldspruch im Stellvertreterprozeß
Das Ende des Prozesses gegen Oliver North erlaubt noch kein Urteil über die Iran-Contra-Affäre / Prozeß warf neue Fragen über die Rolle Reagans und Bushs auf / Sonderankläger Walsh erwägt, weitere Iran-Contra-Spieler wegen Falschaussagen anzuklagen ■ Aus Washington Stefan Schaaf
Für neun Frauen und drei Männer, allesamt afroamerikanischer Herkunft, war Oliver North kein Nationalheld, sondern ein Mysterium. Als Geschworene im Prozeß gegen den Heißsporn aus dem Nationalen Sicherheitsrat waren sie ausgewählt worden, weil sie vor zwei Jahren alle Berichte über ihn ignoriert und angewidert den Fernseher abgeschaltet hatten, wenn seine ordengeschmückte Uniform anstelle der gewohnten Seifenopern auf dem Bildschirm erschien. Acht Wochen lang waren Norths Machenschaften in minutiösen Details im Gerichtssaal vor ihnen ausgebreitet worden. Am Donnerstag legten sie nach zwölftägigen Beratungen ihr Urteil gegen den zackigen Marineleutnant vor, den Reagan beim Bekanntwerden der Iran -Contra-Affäre noch in den Himmel gelobt, dann aber kurzerhand gefeuert und der Staatsanwaltschaft zur Beute vorgeworfen hatte.
Daß North vor Gericht zum Sündenbock gemacht wird, ist eine von vielen Amerikanern geteilte Ansicht. Dennoch fand sich nur eine kleine Schar von Ollie-Fans in den vergangenen Wochen vor dem US Court House in Washingtons Innenstadt ein, um den einst so forschen Marineleutnant auf dem Weg zu seinem Richter anzufeuern. Von „Olliemania“ war nicht mehr viel zu spüren; anders zwei Jahre zuvor, als ein von seiner Mission überzeugter North dem in der Irangate-Affäre herumstochernden Kongreß die Leviten las und eine Woche lang zum bejubelten Volksheld wurde. „Ollie„-T-Shirts gab es damals, und North‘ soldatischer Kurzhaarschnitt fand spontan Dutzende von Nachahmern unter den jungen Bediensteten konservativer Senatoren. Damals war nicht abzusehen, ob der Iran-Contra-Skandal als politische Zeitbombe unter dem Stuhl Ronald Reagans explodieren würde. Die Affäre führte zu einer Krise seiner Präsidentschaft, wie sie allenfalls in Richard Nixons Watergate-Verstrickungen eine Parallele fand. Wußte Reagan davon, daß Profite aus den von ihm autorisierten geheimen Waffenlieferungen an die iranischen Ayatollahs an die Contras in Zentralamerika abgezweigt worden waren? Falls die Anhörungen im Kongreß dies bestätigt oder Hinweise auf anderweitige Verfassungsbrüche des Präsidenten erbracht hätten, erwartete eine gebannte Öffentlichkeit, daß Reagan das Schicksal Richard Nixons nicht erspart geblieben wäre: Er hätte das Weiße Haus in Schimpf und Schande räumen müssen.
Während die Fußtruppen seiner Administration in der Folge mit Anklageschriften aus der Feder des Sonderanklägers Lawrence Walsh konfrontiert wurden, blieb Reagans Weste auf wundersame Weise weiß. Nun schreibt Reagan in Kalifornien an seinen Memoiren, und George Bush sitzt im Weißen Haus. Der North-Prozeß ist, was Reagan anbelangt, ein Stück weit zu einem politischen Anachronismus geworden. Doch zumindest die Historiker dürften mit Interesse registriert haben, was durch Norths Verteidiger im Lauf des Prozesses ans Tageslicht gefördert wurde. Die Iran-Contra-Experten innerhalb und außerhalb des Kongresses streiten bereits darüber, ob es ein ungeschicktes Versehen der FBI-Ermittler war oder Ergebnis einer gezielten Vertuschung, daß einige Schlüsseldokumente über Reagans Rolle nicht schon früher aufgetaucht sind. Andere Dokumente erhielt das Komitee nur in einer von Reagans handschriftlichen Bemerkungen gereinigten Version. Im Zuge des Verfahrens hat die Affäre jedenfalls eine neue Dimension gewonnen, die die bisherige offizielle Version der Ereignisse um North, Reagan, Bush und die Contras in Frage stellt. Während der Untersuchungsausschuß des Kongresses die Frage nicht schlüssig beantworten konnte, ob Reagan etwas von der Abzweigung einiger Millionen Dollar aus dem Waffendeal mit dem Iran an die Antisandinisten wußte, ist von Norths Verteidigern nun demonstriert worden, daß Reagan und Bush zumindest über eine zweite fragwürdige Methode der Contra Finanzierung recht genau informiert waren.
Man erinnere sich: Im Kongreß beobachtete man Reagans aggressives Vorgehen in Zentralamerika mit wachsender Skepsis. In der Folge der Verminung der nicaraguanischen Häfen durch den CIA, hatten die Abgeordneten mit dem sogenannten Boland-Amendment im Oktober 1984 „der CIA, dem Pentagon und jeglicher anderer geheimdienstlicher Regierungsbehörde“ untersagt, Mittel aus dem US -Bundeshaushalt zur Unterstützung der Contras auszugeben wobei North seit zwei Jahren den Standpunkt vertrat, daß Reagans Nationaler Sicherheitsrat nicht unter diese Definition falle. Aus den Iran-Contra-Hearings ging hervor, daß verschiedene Mitglieder der Reagan-Administration wegen der Beschränkungen des Boland-Amendments Drittländer um Millionensummen für die Antisandinisten angegangen hatten. Besonders Saudi-Arabien war dieser Bitte gefolgt und hatte mehr als 30 Millionen Dollar auf die Konten der Contras überwiesen. Die Rechtsgrundlage dafür war fragwürdig, Reagans Stabschef James Baker hielt diese Praxis für unzulässig, wurde aber überstimmt. Der Kongreß beschränkte das Werben um derartige Spenden ab Dezember 1985 ohnehin auf Beamte des State Departments. Doch die Reaganistas beschränkten sich nicht aufs Betteln: Mehreren Ländern wurden Gegenleistungen, darunter Militär- und Wirtschaftshilfe, zugesagt, falls sie den Contras tatkräftige Unterstützung zukommen ließen. Damit wurde nicht nur das vom Kongreß verhängte Verbot umgangen, sondern eine der verfassungsmäßigen Grundsäulen der Gewaltenteilung ausgehebelt. Nur der Kongreß darf im US-Regierungssystem Haushaltsmittel bewilligen. Präsident Reagan, der diesen Plan persönlich billigte, befürchtete im Falle des Bekanntwerdens, daß „man uns an den Daumen vor das Weiße Haus hängt, bis klar ist, wer dafür verantwortlich ist“.
In ihrem Bemühen, die Antisandinisten zwischen Ende 1984 und 1986 „mit Leib und Seele am Leben“ zu erhalten - so eine Anordnung Reagans -, schreckten dessen Untergebene vor keinem Umweg zurück. Sie ließen sich von Israel PLO-Waffen aus der Kriegsbeute des Libanon-Feldzugs schenken und schifften sie zu den Contras nach Honduras; außerdem schlug Außenminister Shultz vor, daß die USA Militärhilfe an El Salvador liefern sollten, die stillschweigend an die Contras weitergeleitet würde. Auch Guatemala erhielt vom State Department eine Extraration Militärhilfe, nachdem das Land den Contras Endverbraucherzertifikate (Lieferscheine) für Munition im Wert von acht Millionen Dollar ausgestellt hatte. Auch das angeblich neutrale Costa Rica klopfte in Washington an: Im August 1985 bot der damalige Präsident Monge Washington an, den Contras materielle Hilfe zu leisten, falls die USA eine geheime Operation in seinem eigenen Land mitfinanzieren würden. Nachdem die USA zugestimmt hatten, durften die Antisandinisten im Dschungel im Norden Costa Ricas eine Landebahn für ihre Nachschubflugzeuge bauen. All diese Aktivitäten der Reagan -Administration sind in einem 42-seitigen Dokument beschrieben, durch das Norths Verteidiger beweisen wollen, daß er nicht hinter dem Rücken der Administration gehandelt habe. Besonders Honduras, das die Hauptcamps der Contras beherbergte, nutzte die Situation aus, um die USA unter Druck zu setzen. Nachdem versprochene Hilfslieferungen nicht in vollem Umfang eingetroffen waren, drohte die Regierung dieses Landes im Oktober 1985, den Antisandinisten das Willkommen aufzukündigen und möglicherweise sogar dem Contadora-Abkommen beizutreten. Erst ein Besuch von North und Admiral Poindexter einige Wochen später stimmte die Honduraner um. Im Gegensatz zu seinen Beteuerungen vor der Tower-Kommission und der Presse wußte Reagan sehr genau über die Honduras versprochenen Anreize Bescheid. So autorisierte er nicht nur den ursprünglichen Plan, dem Land zusätzliche Militärhilfe zukommen zu lassen, sondern er schickte obendrein seinen Vizepräsidenten Bush nach Honduras, damit der Präsident Suazo erkläre, welche Bedingungen an das Hilfspaket geknüpft seien. Bush hat in den letzten Tagen auf die Versuche der Medien und einiger Mitglieder des Kongresses empfindlich reagiert, seine Rolle im Iran-Contra-Skandal genauer zu ermitteln. Er dementierte, mit Suazo über amerikanische Gegenleistungen für Honduras geredet zu haben, obwohl Unterlagen des State Department deutlich machen, daß einen Tag nach Bushs Visite 70 Millionen Dollar US -Wirtschaftshilfe für das zentralamerikanische Land freigegeben wurden. „Reagan und Bush haben immer noch einige Fragen zu beantworten“, kommentierte der demokratische Kongreßabgeordnete Lee Hamilton am Donnerstag abend.
Der Jury lag außerdem die zur Geheimsache erklärten Transkripte von Telefongesprächen vor, die die Beteiligten an einer der Waffenlieferungen an den Iran geführt hatten. North hatte Abhörexperten des US-Geheimdienstes NSA um diese Transkripte gebeten, mit deren Hilfe er den Fortgang der Operation praktisch ohne Zeitverzögerung verfolgen könne. Kopien der Abschriften, in denen häufiger von einem direkten „Tausch von Waffen gegen Geiseln“ die Rede war, gingen auch an Verteidigungsminister Weinberger und Vizepräsident Bush. Von Bush muß in den Gesprächen häufiger die Rede gewesen sein, so habe der iranische Mittelsmann Ghorbanifar Bush als den wichtigsten Kontaktmann in der US-Administration für die Waffendeals bezeichnet. Eine Klage amerikanischer Medien auf Freigabe der Transkripte ist anhängig. Die iranische Hälfte der Iran-Contra-Affäre ist im North-Prozeß fast nicht zur Sprache gekommen. Aber es deutet sich angesichts dieser Transkripte an, daß es dort noch delikatere Probleme mit geheimen Aktivitäten der Reagan-Bush-Ära gegeben hätte als in Zentralamerika. Im Büro des Sonderanklägers Walsh wird derweil erwogen, einige weitere Iran-Contra-Spieler anzuklagen - wegen offensichtlicher Falschaussagen gegenüber den Iran-Contra-Ausschüssen des Kongresses.
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