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Prima Leben unterm Stiefel

Montagsexperten kommen zu Wort. Heute: Enno Bohlmann  ■ Ü B E R L E B E N S B Ö R S E 8 9

Und sie weinen doch. Mitscherlich hatte unrecht. Zum 44. Mal jährt sich heuer der Deutsche Volkstrauertag, der Tag der Niederlage. Wie gräßlich. Am 8.Mai war alles vorbei, und wie schön hätte alles werden können nach dem Endsieg. Ein deutsches Paradies. Mit arischen Bossmenschen. Aus der Traum. Stumme Bedrückung herrscht in Deutschland. Gleichwohl ist der heutige Tag fett angestrichen im deutschen Jubelkalender. Schließlich gelang es der BRD und ihren westlichen Verbündeten just an jenem Datum, den Bolschewismus in seine Grenzen zu verweisen.

Tja, freuen oder weinen. Die damit einhergehende quasi gehirnleerende Trübsinnigkeit brachte vor vier Jahren Richard Silberschweif von Weizsäcker mit seiner Volltreffer -Rede zum 8.Mai auf den Rinserträchtigen Punkt und sorgte damit für sprunghafte Identitätsschübe in Richtung bekennendes Deutschsein plus Aussöhnungsbreitschaft. Die Konzentrationslager werden den Deutschen nicht vergessen, nein, nie und nimmer, und doch sind sie bereit zu versöhnen und zu vergeben. Eine Gnadenleistung der Extraklasse, die es erlaubt, melancholisch zurückzuschauen und gleichzeitig ein wenig stolz auf sich und das Topmodell der Präsidialbewältigung zu sein. Da dürfen auch schon mal nachdenklich-mahnende Worte fallen, Worte, mit denen Hilfsaufarbeiterin Antje Vollmer „dieses merkwürdig Brüchige in unserer deutschen Identität“ zu begreifen sucht. Wer möchte da nicht mitheilen an der brüchigen Identität. Gerade ganzheitliche Deutsche sind ein schönes Ziel.

Doch gemach. 15mal werden wir noch wach, heißa dann ist Feiertag. 40 Jahre Deutschland, 40 Jahre Grundgeschwätz. Heidewitzka, der Bundestag macht ein Faß auf, und schon ist Polen wieder offen. So richtig auf die Kacke wird dann gehaun, alle freuen sich, denn Deutschland ist schon ein Spitzenland, da kann man machen, was man will. 40 Jahre allerbeste, freiheitlichste Demokratie, das soll uns erst mal einer nachmachen. Und gerade weil der Nationalsozialismus so schrecklich war für die Deutschen, weil er so viel Leid über Deutschland gebracht hat, war es doch nur angebracht, daß sie sich mal so was richtig schönes wie die FDGO gönnten. Einfach mal alles vergessen und sich wohlfühlen. Wer könnte ihnen das verdenken.

„Demokratiewärts“ lautete die klasse Parole, die nicht für möglich gehaltene Begeisterungsstürme dermaßen entfachte, daß sich hinterher alle verwundert fragten, warum wohl noch niemand früher auf diesen Trichter gekommen war. Auch 1989 noch für viele Deutsche eine schmerzhaft bohrende Frage. Wirklich: Ich habe nichts gegen Deutsche, einige zählen sogar zu meinen besten Freunden.

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