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KEINE LÜGE, KEINE RELIGION

■ Freitag abend Lohmeyerstraße 5

Man soll nicht pathetisch werden wenn einer tot ist. Die Gucklöcher gehen irgendwann auf und schließen sich irgendwann wieder, so ist das eben, so geht das.

Freitag um halb acht in der Berliner Abendschau: „Im Alter von fünfundsechzig Jahren... Wolfgang Neuss... Vor einer halben Stunde in seiner Wohnung gestorben... Die Polizei schließt Fremdeinwirkung aus...“

Die Polizei, die nichts Eiligeres zu tun hat, als öffentlich eine „Fremdeinwirkung“ auszuschließen, damit auch ganz sicher etwas hängenbleibt, irgend etwas Ungutes, Mieses, jaja, die Drogenszene usw., ist auch eine halbe Stunde später, in der Lohmeyerstraße, anwesend. „Nein, Sie können nicht in die Wohnung.“ Fotografen mit Klackklack und Blitzlicht stehen halb lungernd, halb geschäftig im Flur, eine Reporterin von der 'BZ‘ stellt Fragen von grotesker Geistverlassenheit: Was hat er angehabt, was hat er gegessen, der ganze Detailramsch, in dem alles sich auflöst, hinter dem der Tod und der Tote verschwinden.

Arnulf und Günther von den Tornados sind da, Frau Zucker, Juppi von der UFA-Fabrik und ein gutes halbes Dutzend Freunde und Bekannte von Wolfgang Neuss. Nach einigem Hin und Her - „Wir möchten von unserem Freund Abschied nehmen“ „Nein, ich darf Sie nicht hereinlassen, wenn Sie keine direkten Verwandten sind“ - gibt der Kripomann doch die Tür frei; die Geburt ein Verwaltungsakt, der Tod ein Verwaltungsakt, und was dazwischen liegt, ist die deutsche Kultur.

Ausgehöhlt steht man da, ausgelutscht, einer weint und schluchzt, andere brüten schweigend, die 'BZ'-Frau plappert ohn‘ Unterlaß. Majestätische Würde des Todes? Ach was. Es ist banal, es ist beschissen. Eine Bahre wird herausgetragen, eingeschlagen in graues Plastik liegt der winzige, der Kinderkörper, wird in einen schwarzen Lieferwagen verfrachtet, und dann ist Wolfgang Neuss nicht mehr da. Starr, wie blöde, sieht man ihm nach.

Manche umarmen sich, drücken einander die Hände, trösten sich hilflos, einer kalauert über die Drückebergerei auf dem Kabarett; jeder hat seine Methode der Verdrängung, seine Weise, den Tod von sich fernzuhalten. Gemeinsam geht man ins Cafe um die Ecke und zwängt etwas in sich hinein, beklommen, niedergedrückt, und wenn es auch angemessen ist, dazusitzen und das Maul zu halten, wirkt das Schweigen nur ratlos und dumpf. Irgendwer hebt an zur Haschischverherrlichung, wie prima diese Pflanze doch den Menschen zum Guten verändere, man möchte die Haare ausraufen, aber nicht die eigenen: Hätte Neuss getrunken, würde man dann jetzt das Loblied des geistigen Getränks singen?

Natürlich, Wolfgang Neuss ist schwer krank gewesen, wir haben das gewußt, und seine Theorie, sein Krebs sei ein Haustier, das er bei sich behalten müsse, war immer ebenso wohlklingend wie abenteuerlich. Es ist gut, daß seine unerträglichen Schmerzen der letzten Zeit vorbei sind, trotzdem, man glaubt es nicht; daß Wolfgang Neuss sterben könnte, die lebende Legende, die so vielen kabarettistischen und freigeistig schweifenden Kräften Vater gewesen ist, Opa, Mutter und Kind, Nörgler, Querulant, Beschimpfer, Denkanstoßer und Wegweiser, war absurd, lag außerhalb jeder Vorstellung. Frei delirierend hat er in seiner Wohnung gesessen, Hof gehalten, gleichermaßen asozial wie in permanenter Verwicklung mit der Welt, und unversöhnt, ohne Selbstbetrug, ist er gestorben.

Mit einem etwas gezwungenen „Wolfgang lebt“ betritt jemand das Hinterzimmer, wo wir sitzen und nichts begreifen; nein, das tut er nicht, da hilft kein Spruch, keine Lüge und keine Religion. Wolfgang Neuss ist tot.

wiglaf droste

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