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Somerville & Ross

■ Tatjana Botzat erinnert an ein bei uns fast vergessenes Paar irischer Schriftstellerinnen

Sie waren berühmt zu ihrer Zeit. Elizabeth Bowen schrieb, sie seien die einzigen Schriftstellerinnen nach dem Tode Virginia Woolfs, neben der Colette und Edith Sitwell, die sie bewundere. Arnold Bennett hielt ihren Roman The Real Charlotte für ein Meisterwerk balzacschen Realismus. Ihre Erzählungen The Experiences of An Irish R.M. rissen englische Leser zu ganz unenglischen Begeisterungsstürmen hin.

In Irland gibt es im Moment eine Art Revival, ausgelöst von der irisch-englischen TV-Serie The Irish R.M. (nach Erzählungen aus Experiences of An Irish R.M. „Erfahrungen eines irischen Friedensrichters“). Es liegen sogar einige Neuauflagen ihrer Bücher vor und eine schöne, reich bebilderte Biographie von Clifford Lewis.

Hier in Deutschland sind sie gänzlich unbekannt - von der einen oder anderen wohlinformierten Buchhändlerin abgesehen, die sich noch voller Hochachtung an ihren Roman Die reale Charlotte erinnert - fast die einzige deutsche Übersetzung, die vorliegt oder vorlag, denn der Manesse Verlag hat das 1954 erschienene Buch 1986 aus dem Programm genommen, wegen „schleppenden Umsatzes“.

Daß sie so in Vergessenheit gerieten, mag zum einen an ihrer Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht liegen, zum anderen aber auch an dem Schattendasein, das anglo-irische Literatur bei uns führt: „Richtige“ Iren sind bekannter und beliebter, so Frank O'Connor, Sean O'Faolain oder auch James Joice.

Wer waren sie, Edith Oenone Somerville und Violet Martin, die sich Martin Ross nannte? Fotos zeigen die beiden Cousinen vorzugsweise in strenggeschnittenen Jacken und schmucklosen langen Röcken. Schön waren sie nicht, eher würden wir heute sagen, ganz ansehnlich. Sie erinnern an Lehrerinnen, Gouvernanten. Unter ihren Freunden galten sie als ausgesprochen witzig, schlagfertig (so daß manche Männer Angst vor ihnen hatten) und humorvoll - spitzzüngig. Sie waren beide ausgezeichnete Reiterinnen, im Damensitz, versteht sich, und gern gesehene Teilnehmerinnen an Fuchsjagden, damals keine Selbstverständlichkeit. Sie segelten und jagten auch. Außerdem war Edith eine gefragte Tänzerin und sprach neben französisch und deutsch, natürlich gälisch; so auch Violet. Beide blieben unverheiratet, lebten eine Weile zusammen, und beide lebten von selbstverdientem Geld.

Edith Somerville, 1858 als Älteste von acht Geschwistern geboren, stammte aus einer schottischen, ehemals adligen Familie: Die Somervilles hatten klugerweise den Niedergang ihres Hauses mit der Hinwendung zum Kaufmannsstand beendet. Sie flüchteten Ende des 17. Jahrhunderts aus religiösen Gründen zu Verwandten nach Irland und ließen sich in Castletownsend, County Cork, nieder. Dort bauten sie mit dem von Kaufmann Tom verdienten Geld ein großes Haus, Drishane, und verbreiteten sich mit den Jahren über den gesamten Ort. Sie waren keine Großgrundbesitzer, sondern hielten sich finanziell über Wasser, indem sie ihre Söhne zum britischen Militär schickten und ihre Töchter reich verheirateten. So blieben sie verschont von den heftigen Auseinandersetzungen um das Pachtsystem, die vor allem um die Besitztümer entbrannten, die ausgebeutet wurden, um den Besitzern fern von Irland ein luxuriöses Leben zu finanzieren. Die Somervilles gehörten zwar unbestreitbar zur Oberschicht, waren gute Protestanten und liebten ihre Pferde aufrichtig, aber hatten wenig Ähnlichkeit mit den Vertretern ihrer Klasse, die Brendan Behan als „A Protestant on a horse“ bezeichnete. Eher künstlerisch und wissenschaftlich interessiert, - ein Onkel Ediths führte die Fotografie in Irland ein, ein anderer war ein berühmter Ethnologe - könnte man sie als „Weltbürger“ bezeichnen. Edith selbst besuchte als eine der ersten Absolventinnen das Alexandra uCollege in Dublin und hätte, Angebote lagen vor, Karriere als Sängerin in Gilbert-and-Sullivan-Operetten machen können. Sie entschloß sich Malerin zu werden - nach einer unglücklichen Liebe in ihrem achtzehnten Lebensjahr - und setzte nach etlichen Auseinandersetzungen mit ihren Eltern einen Studienaufenthalt in Paris durch.

Violet Martin of Ross, 1862 in der Nähe Galways, ganz im Westen Irlands geboren, kam aus einem traditionellen irischen Haus. Der Clan der Martins of Ross, seit Jahrhunderten dort ansässig und stolze Besitzer von 200.000 acres Land, war von den Maßnahmen der „Land Liga“ besonders betroffen: Zu der Zeit von Violets Kindheit - sie war ein Nachkömmling - konnte die Familie nicht mehr von den Einkünften leben. Sie zerstreuten sich in alle Winde; ihr ältester Bruder geriet in die Laufbahn eines Journalisten, und Violet folgte ihm. Sie schrieb vor allem politisch -kulturelle Essays für Zeitungen und Zeitschriften, machte sich dabei die guten Verbindungen ihres Bruders zunutze und die ihrer berühmten Cousine, Lady Augusta Gregory (Mitbegründerin des Abbey Theatres, Freundin Yeats, Mitinitiatorin der „Celtic Renaissance“ etc.); und hatte dadurch ihr Auskommen. Violet hatte trotz ihrer labilen Gesundheit einen merkantilen Sinn und Durchsetzungsvermögen. Ohne ihr beständiges Werben um Rezensionen, ohne ihr Handeln um Provisionen und Verkaufsrechte wäre ihr erster gemeinsamer Roman mit Edith, An Irish Cousin, höchstwahrscheinlich in der Schublade des Verlegers liegengeblieben.

1886, als sich die Cousinen anläßlich eines Familienbesuchs Violets in Castletownsend das erste Mal trafen, war Edith Somerville bereits eine bekannte und gefragte Illustratorin. - Sie hätten nicht gegensätzlicher sein können: Edith, erfolgreich, lebenslustig, selbständig, Violet, mit ihrer Mutter lebend, kränklich, schüchtern - und uns wundert es nicht weiter, daß Edith ihre Cousine bei dieser Begegnung mehr oder weniger übersah. Es ist nur Violets zäher Bewunderung zu verdanken, der sie in unzähligen Briefen an Edith Ausdruck verlieh, daß sie sich näherkamen und 1888 ihren ersten gemeinsamen Roman verfaßten.

In Irish Memories schrieb Edith: „Als wir uns das erste Mal trafen, waren wir, so dachten wir jedenfalls, in den besten Jahren ... wir befanden uns nicht unbedingt am frühen Morgen des Lebens - sagen wir, so gegen halbzehn, nach dem Frühstück (wenn schon alle Spuren beseitigt, Brot und Butter abgeräumt sind)“ (aus C.Lewis, eig. Übers.).

Dies war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft - und einer langen fruchtbaren Zusammenarbeit. Ob es mehr war als Freundschaft, hat viele interessiert. Clifford Lewis verneint es entschieden - aber auch wenn es so war, scheint es nichts Ungewöhnliches gewesen zu sein (vergl. Phyllis Rose Parallele Leben).

Somerville & Ross waren, trotz häuslicher Pflichten und gesellschaftlicher Anforderungen, sehr fleißig. Sie produzierten jedes Jahr, oder zumindest alle zwei, ein Buch. Das bekannteste ist der Roman Die reale Charlotte, 1894 erschienen; ein klassischer Frauenroman voll Liebe, Haß und Unglück: Die schöne Francie aus dem miesen Nordviertel Dublins verlebt ihre Sommerferien bei ihrer Cousine Charlotte, die, nicht begeistert von diesem Aufenthalt, da sie Francie um ihr Erbe gebracht hat, deren heftigen Flirt mit einem britischen Offizier unterstützt - um sie so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Der Offizier läßt Francie als unstandesgemäß wegen einer reichen Erbin sitzen, und sie heiratet, nicht aus Liebe, sondern um einem Leben in Armut zu entgehen, einen um vieles älteren Jugendfreund, der aber bereits seit vielen Jahren heimlich von Charlotte geliebt wird. Als dieser sich wegen Francie in Schulden stürzt und zum Betrüger wird, erpreßt Charlotte ihn und wähnt sich am Ziel aller Wünsche, da Francie mit ihrem Offizier auf und davon will. Aber Francie stürzt auf der Flucht vom Pferd, tragischerweise tödlich.

Viele damaligen Kritiker fühlten sich an Balzacs Cousin Bette erinnert, auch wenn Charlotte nicht ganz deren mörderische Qualitäten erreicht. Aber die Geschichte ist ebenso unsentimental und schnörkellos erzählt, die Charaktere ebenso desillusionierend wie menschlich gezeichnet. Mit der Realen Charlotte ist ihnen ein sehr genaues Bild der damaligen irischen Gesellschaft gelungen.

Der Roman machte Somerville & Ross schlagartig berühmt, aber er machte sie nicht reich. Sie mußten weiterhin, um ihren Lebensunterhalt zu sichern, in ihren angestammten Berufen arbeiten, Edith als Illustratorin und Violet als Journalistin. Zuweilen ließen sie sich als Berichterstatterinnen Reisen bezahlen, so nach Wales, nach Frankreich und nach Dänemark. Edith züchtete außerdem mit ihren Geschwistern zusammen Rinder und bildete Jagdpferde aus.

Obwohl ihre Geldsorgen wohl manchmal recht drückend gewesen sein müssen (das große Haus verursachte große Kosten), kam Edith nie auf die Idee, dem mit einer Heirat abzuhelfen. Ob tatsächlich eine unglückliche Jugendliebe die Ursache war oder ob ihre Abneigung dem Ehestand gegenüber nicht eher von der täglichen Anschauung herrührte, bleibt Spekulation. Aber Somerville & Ross verfochten nicht nur in ihren Romanen den Standpunkt der Gleichberechtigung von Frau und Mann, sie waren auch in den ersten Reihen der Vorkämpferinnen für ein Frauenwahlrecht zu finden. Nicht unbedingt als militante Suffragetten, aber als Präsidentin und Vizepräsidentin der „Munster Women's Franchise League“. Auf unzähligen öffentlichen Versammlungen warben sie für die Teilhabe der Frauen am demokratischen politischen Leben:

„Ladies - ich unterstütze die Ausdehnung des Wahlrechts auf qualifizierte Frauen aus vier Gründen: 1. Zum Besten des Staates. Da der Staat für Frauen und Männer Gesetze machen muß, benötigt er die Unterstützung beider Geschlechter. 2. Zum Besten der Frauen. Um ihnen Bildung zu ermöglichen. Um ihnen gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu sichern und um ihren allgemeinen Status zu erhöhen. 3. Zum Besten der Männer. Um ihren geistigen Horizont und ihr Mitgefühl zu erweitern. - Und schließlich, weil Besteuerung ohne Mitbestimmung Unrecht ist“ (aus C.Lewis, eig. Übers.).

So einig sich die beiden Cousinen in der Frauenfrage waren, so unterschiedlich reagierten sie auf die nationalistischen Bestrebungen Irlands. Während Edith für einen unselbständigen irischen Staat votierte, hielt es Violet mit den Unionisten: Zu unfähig erschienen ihr ihre Landsleute, einen Staat zu gründen und sich selbst zu regieren. Die Frage des Verbleibs im britischen Empire oder Gründung eines eigenen Staates - Unionist oder Nationalist - spaltete nicht nur Familien oder Klassen, sie führte das Land in einen langen, blutigen Bürgerkrieg. Und sie hatte zur Folge, daß mit den Anglo-Iren auch die anglo-irische Literatur verschwand; erst seit ein paar Jahren werden in Irland Jonathan Swift, Goldsmith, Shaw, Oscar Wilde, Elizabeth Bowen wieder verlegt und gelesen. Obwohl oft nationalistischer und irischer als die Iren selbst, machte sie die Zugehörigkeit zur anglo-irischen Oberschicht von vornherein suspekt.

So wurden Somerville & Ross verdächtigt, dem englischen Geschmack entsprechend zu schreiben, oder schlimmer, in Kritiken zu den „Experiences ...“ angeklagt, sie würden die irische Bevölkerung englischem Gelächter preisgeben. Ein ungerechter Vorwurf, schufen sie doch ihre Charaktere nach lebenden Vorbildern - aus der Familie, nach Freunden, Bekannten, Angestellten, Dorfbewohnern. Diese diskutierten sie so lange, bis sie Form und Gestalt annahmen, dann erst brachten sie sie gemeinsam zu Papier. Ein sehr langsamer und intensiver Arbeitsprozeß, und nicht umsonst hat ihn Edith einmal mit der Malerei verglichen, hier ein Tupfer Blau, dort ein bißchen Geld - ergibt zusammen Grün. Und es ist tatsächlich nicht möglich, Edith oder Violet bestimmte Passagen oder Figuren zuzuschreiben.

Als Violet Martin 1915 mit dreiundfünfzig Jahren unerwartet starb, schien der gemeinsamen Produktion ein abruptes Ende bereitet. Um so überraschter war die Öffentlichkeit, als weitere fünfzehn Bücher, zwar von Edith allein verfaßt, aber unter dem gemeinsamen Namen Somerville & Ross, erschienen. Es war nicht nur eine unverbindliche Hommage an Violet Martin, sondern ein Zeichen der Verbundenheit über den Tod hinaus: Edith, dem Spiritualismus immer schon zugeneigt, hatte in einer Seance von Violet geradezu den Auftrag dazu bekommen: „Du und ich haben unsere Arbeit noch nicht beendet.“ Auch als ihr 1932 das Trinity College, Dublin, die Ehrendoktorwürde antrug, nahm sie unter der Bedingung an, daß Violet ebenfalls geehrt würde.

Edith Somerville starb mit einundneunzig Jahren, im Oktober 1949 in Castletownsend. Sie hatte bis zuletzt an einem Buch gearbeitet.

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