piwik no script img

Keine Lieblinge in Tiergarten

■ Kulturgruppen besetzten leerstehende Klinik in Tiergarten / Der Bezirk ließ sofort räumen / TV-Filmer drehen hier die SFB-Serie „Liebling Kreuzberg“

„Seit heute gibt es ein neues Kulturzentrum!“ stand etwas voreilig auf den Flugblättern. Zu den Verfassern zählten u.a. der „Verein RAM.M.“, das „Zentrale Aufklärungstheater Aporee“ sowie die Theatergruppen „Antonin Artaud“ und „Magnetische Felder“. Nur etwa zwei Stunden, nachdem gestern mittag gegen 12 Uhr das seit 1982 leerstehende Gebäude der ehemaligen Ungerschen Nervenklinik an der Derfflinger Straße 12 in Tiergarten von den Theater- und Kulturgruppen besetzt worden war, ließ das Tiergartener Bezirksamt das von ihm verwaltete Haus wieder durch die Polizei räumen. Zugleich stellte es auf Veranlassung des CDU-Stadtrats für Wirtschaft, Urban, einen Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs.

Von dem Angebot, die ehemalige Klinik bis um 14 Uhr freiwillig und ohne Personalienfeststellung zu verlassen, hatten die nach Polizeiangaben 46 BesetzerInnen keinen Gebrauch gemacht. Sie fühlten sich ohne Not brüskiert, denn der derzeitige Mieter des Hauses - die Berliner „Novafilm Fernsehproduktion“ - hatte ihnen gegenüber die Bereitschaft signalisiert, einen Teil der unzähligen Klinikzimmer abzutreten. Für die Zeit von Anfang April bis Ende August war der größte Teil der Räume von den TV-Filmern angemietet worden, um dort mit dem hemdsärmeligen Star Manfred Krug in der Hauptrolle die Innenaufnahmen zu einigen Folgen der SFB -Vorabend-Fernsehserie „Liebling Kreuzberg“ herunterzudrehen.

„Nova„-Produktionsleiter Georg Restel bestätigte seine Bereitschaft, die Kulturschaffenden unter Umständen aufzunehmen. „Der Produzent erklärte uns, welche Schwierigkeiten er versicherungsmäßig haben würde, wenn das Haus nicht entsprechend dem geschlossenen Mietvertrag genutzt würde“, meinte demgegenüber der Leiter des bezirklichen Grundstücksamts, Plutowski. Die „Nova“ könne nicht einfach einen Teil der angemieteten Räume abgeben, denn der Mietvertrag sei nicht so einfach in einen Untermietvertrag umzuwandeln. Es bestände nur die Möglichkeit, daß sich die künstlerischen Interessenten beim Bezirksamt ordnungsgemäß über den bürokratischen Amtsweg um Nutzungsverträge bemühten.

Die fühlten sich indes auch vom neuen Senat und dazu noch von der AL „verarscht“. „Ausgehend von den vollmundigen Versprechungen des neuen Senats, wurden wir im März bei der Bauverwaltung vorstellig, um unser Konzept eines Kunst- und Kulturzentrums in dem Gebäude zu erläutern“, hieß es in Flugblättern. Das Ergebnis: nichts als „wohlwollendes Schulterklopfen„; weder die SPD-Kultursenatorin Martiny noch die AL-Vertreter Ströbele und Haberkorn hätten reagiert.

Wenigstens gestern tauchte der AL-Tausendsassa Ströbele jedoch wieder auf. Ströbele: „Das Nachgeben der Besetzer muß ein Signal sein, das das Bezirksamt aufnimmt.“ Er gehe von einer möglichen Lösung im Sinne der Theaterleute schon innerhalb der nächsten zwei Tage aus.

Thomas Knauf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen