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„Die Demokratie ist durch die AL belebt worden“

■ Interview mit dem neuen Leiter des Berliner Verfassungsschutzes Dieter Schenk / Verfassungsfeindlich sei auch der Kauf von Parteimitgliedern

taz: Herr Schenk, Ihre Behörde soll künftig bürgernah werden. Können Sie den Bürgern zunächst einmal mitteilen, was der Verfassungsschutz kostet, wieviele Arbeitsplätze er schafft und wieviele Bürger er beobachtet?

Dieter Schenk: Die Daten sind zur Zeit noch geheim. Aber es werden ja bereits gewisse Zahlen gehandelt...

320 Mitarbeiter...

...die sogar nicht mal so ganz falsch sind...

150.000 Bespitzelte...

Also den Begriff benutzen Sie. Nach dem Gesetz haben unsere Beamte gewisse Dinge zu beobachten und das tun sie auch. Vielleicht ein bißchen übereifrig auf einigen Gebieten.

Was schützen Sie eigentlich?

Die verfassungsmäßige Ordnung. Unsere Behörde ist eingerichtet worden von denen, die das Naziregime überlebt haben und entsprechend konkrete Vorstellungen davon hatten, daß sie nie wieder in eine Situation hineinschliddern wollten.

Gegen Ende der sechziger Jahre entstand in Deutschland eine Bewegung unter der idealistischen Jugend, die viele Dinge in dieser Gesellschaft zurechtrücken wollte und, sicherlich auch ausgelöst durch die schrecklichen Dinge, die da in Vietnam passierten, recht schnell 'ne recht klar kommunistische Orientierung bekam. Viele von denen wollten nicht den mühseligen demokratischen Weg beschreiten, sondern meinten, das muß schneller gehen. Der eine Versuch, eine Revolution zu machen, existiert heute noch in den Resten der RAF. Den anderen, schon moderateren Versuch, hat Rudi Dutschke vertreten, der sagte, wir versuchen die wesentlichen Stellen in diesem Staat zu übernehmen...

Heute ist die Demokratie ja durch solche Organisationen wie die Alternative Liste belebt worden. Dadurch hat diese demokratische Staatsform eine riesige Anhängerschaft gewonnen. Jetzt ist zum erstenmal durch die Beteiligung der AL am Senat deutlich geworden, daß Veränderungen auf demokratischem Wege durchgesetzt werden können. Ich glaube also, daß das am Anfang richtig war, daß die Landesämter für Verfassungsschutz erst mal eine ganze Menge gesammelt haben. Aber spätestens, sagen wir mal, 1980 hätte sich das ändern müssen.

Aber rückblickend ear das sicher eine richtige Funktion des Verfassungsschutzes. Stellen Sie soch doch bloß mal vor, was passiert wäre, wenn diejenigen, die da Anfang der 70er Jahre mit Mao-Bibel rumgerarnnt sind, sich durchgesetzt hätten?

Aber das kann sich der Verfassungsschutz doch nicht zugute halten. Die K-Gruppen haben sich doch auch aufgelöst, um bei der AL mitzumachen.

Das stimmt. Die wollten die unterwandern und sind in Wirklichkeit aufgesogen worden. Aber nehmen wir mal an, die wären einfach so durchmarschiert mit einer Revolution. Da wären die doch heute gar nicht glücklich drüber. Die Chinesen sehen das ja selbst mittlerweile auch ein bißchen anders.

Ist es denn auch ein Erfolg des Verfassungsschutzes, daß jetzt auch Rechtsradikale wie die REPs die Demokratie, wie Sie sagen, beleben?

Einen Erfolg des VS wird man das sicherlich nicht nennen können. Aber solange das eine Partei ist, die auch in ihren inneren Strukturen keine antidemokratischen Ziele hat...

Sind das Ihre Erkenntnisse?

Im Augenblick gibt es Erkenntnisse über Zulauf von Rechtsextremisten. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die REPs von den Neo-Nazis unterwandert werden. Wie der Präsident des Bundesamtes für VS gesagt hat: Die stehen an der Grenze, und man überlegt, was man machen wird.

Sind die REPs also schon Objekt eines besonderen Interesses des Verfassungsschutzes?

Nicht Republikaner, wir beobachten Rechtsextremisten als Personen, und wenn die nun verstärkt bei den Republikanern anzutreffen sind, dann ist das sicherlich ein Faktor.

Wie könnte ein „alternativer“ Verfassungsschutz aussehen?

Also mit alternativ kann ich in dem Zusammenhang nicht soviel anfangen. Aber man sollte vielleicht auch mal über andere Aspekte nachdenken. Zum Beispiel ist ja noch nie die Frage diskutiert worden, in welchem Maße es verfassungsfeindlich ist, Parteimitglieder und führende Parteimitglieder zu kaufen. Wir alle wissen aber, daß das passiert. Das ist natürlich verfassungsfeindlich, denn damit wird einer der absoluten Grundsätze dieser Verfassung außer Kraft gesetzt.

Rechnen Sie weiter mit solchen Straßenschlachten wie der des 1.Mai?

Auf Dauer wird man dieses Problem nur lösen können, wenn Einigkeit darüber besteht, daß bestimmte Formen nicht akzeptiert werden, sei es indem man nicht mehr mit denen demonstriert, sei es aber auch, daß man bei wirklich haarigen Straftaten wie z.B. dem Anzünden von Banken, die ja meistens in Wohnhäusern liegen, den Betreffenden sagt, paß mal auf, du hast jetzt noch eine Chance, det sein zu lassen, ansonsten werden wir unserer Pflicht zur Zeugenaussage nachkommen.

Glauben Sie wirklich, daß die Linke zur Kooperation mit dem VS bereit sein könnte?

Ich kann mir das im Moment noch nicht vorstellen. Ich kann mir vorstellen, daß sich einiges bei uns ändern wird und daß man in einem ganz langen Prozeß zu einer Neubewertung dieser Frage kommen wird. Dann wird man übrigens auch mal ganz unvoreingenommen prüfen müssen, ist so ein Instrument denn noch notwendig, braucht man das denn überhaupt in unserem Land. Im Augenblick wird sich da nicht viel ändern, denn die klare Position der AL ist: abschaffen. Da darf man natürlich nicht erwarten, daß die eine besondere Liebe zum Detail entwickeln.

Müßte ein bürgernaher Verfassungsschutz nicht alle Bürger, die er beobachtet, darüber informieren?

Ja, ja, nee, nee. Wir müssen und werden auch vieles offenlegen. Aber wenn es in den Bereich der Leute geht, die diesen Staat tatsächlich angreifen wollen, dann brauche ich darauf wahrscheinlich keine Steuergelder verschwenden, ihnen auch noch mitzuteilen, daß wir sie demnächst überführen werden.

Moment mal, Sie sind jetzt Chef des Verfassungsschutzes und nicht der Abteilung Verbrechensbekämpfung, was heißt hier überführen?

Das ist eine ganz schwierige Frage, das läßt sich meines Erachtens in dem Bereich Terrorismus und Gewaltbereitschaft, also Vorbereitung von nicht unerheblichen Straftaten, nicht trennen.

Wollen Sie die Trennung von Verfassungsschutz und Polizei aufgeben?

Nein, die Trennung besteht darin, daß wir uns nicht der Legitimation der Polizei bedienen dürfen. Wir dürfen nicht verhaften und nach Herzenslust durchsuchen und Fingerabdrücke nehmen, sondern sind auf den Bereich der nachrichtendienstlichen Mittel angewiesen.

Das Problem ist doch viel eher: Sie müssen sich auch nicht so verhalten wie die Polizei, die jede Straftat zu verfolgen hat. Der Verdacht, daß V-Leute unmittelbar an der Vorbereitung von Straftaten beteiligt sind, wird doch von vielerlei Erfahrung genährt.

Eines ist jedenfalls klar: Unsere Leute haben niemals die Berechtigung, Straftaten mitzumachen.

Interview: Sontheimer!/ Härlin!/Legner

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