: Schamir zwischen allen Stühlen
Der Streit über Wahlen in den israelisch besetzten Gebieten droht die Koalition der Nationalen Einheit zu spalten / In wochenlangen Geheimverhandlungen haben Likud und Arbeiterpartei auf Druck der USA einen Wahlplan entworfen / Palästinenser wurden nicht konsultiert / Jetzt wächst das Mißtrauen in Siedlerkreisen ■ Aus Jerusalem H. M. Broder
Das Innere Kabinett, auch „Viererbande“ genannt, hatte den Plan ausgearbeitet und der Ministerrunde zur Entscheidung vorgelegt. Das Papier sollte als Ganzes angenommen oder abgelehnt werden, eine Diskussion über einzelne Punkte wurde nicht zugelassen, Änderungs- und Ergänzungsvorschläge waren nicht erwünscht. Es sei schon schwierig genug gewesen, meinte Regierungs-Sekretärin Elyakim Rubinstein, eine Einigung zwischen den vier Parteiführern zustande zu bringen, für andere Positionen wäre „kein Platz da“.
Die vier, Jizchak Schamir und Moshe Arens auf der einen und Jizchak Rabin und Schimon Peres auf der anderen Seite, hatten sich in wochenlangen Geheimverhandlungen unter Umgehung aller Parteigremien miteinander verständigt, nach welchem Modus Operandi in den von Israel besetzten Gebieten Wahlen abgehalten werden sollten. Ein solches Versprechen hatten die Amerikaner Jizchak Schamir bei dessen Washington -Besuch im April abgerungen, nun mußten den Worten Taten oder wenigstens Pläne folgen. Über die Köpfe der Palästinenser in den besetzten Gebieten hinweg wurde eine Initiative gezimmert, die vor allem zwei Voraussetzungen erfüllen müßte: die Erwartungen der Amerikaner sollten erfüllt und die völlig entgegengesetzten Positionen des Likud und der Arbeiterpartei auf eine Kompromißformel gebracht werden, die beiden Parteien die Fortsetzung der Koalition der Nationalen Einheit erlaubte. Dringender nämlich als die Frage, wie Israelis und Palästinenser an den Verhandlungstisch gebracht werden könnten, ist das Problem, wie sich die Gegensätze auf der israelischen Seite überbrücken lassen. Die Arbeiterpartei möchte noch immer mit König Hussein über einen „territorialen Kompromiß“ verhandeln (wobei es darüber Differenzen zwischen Peres und Rabin gibt), der Likud möchte erst einmal den anderthalb Jahre dauernden Aufstand in den Gebieten beenden (wobei sich die Anhänger der „weichen“ und der „harten“ Linie über die Wahl der richtigen Mittel streiten).
Entsprechend fiel dann letzten Sonntag (14. Mai) im Kabinett die Abstimmung über den Wahlplan der großen Vier aus. Von 26 Ministern stimmten 20 dafür, sechs waren dagegen. Minister Arik Scharon warnte, der Plan gefährde „jüdische Leben“, er könnte „noch mehr Terror und sogar Krieg“ bedeuten. Auf der anderen Seite des Tisches erklärte Minister Ezer Weizman, der ebenfalls gegen den Plan gestimmt hatte, es wäre besser, direkt mit der PLO zu verhandeln, statt das Risiko einzugehen, daß auch Anhänger von Ahmed Jibril gewählt würden. Eine Gruppe ultra-rechter Abgeordneter aus Likud, Techiya (Erneuerung) und Moledet (Vaterland), die sogenannte „Eretz Israel Front“, rief umgehend den nationalen Notstand aus: der Plan sei das „Fundament für einen palästinensischen Staat“. Das Exekutivkomitee der PLO in Tunis nannte den Entwurf dagegen eine „Farce“, die das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat ignoriere.
Das so mühsam zustandegekommene Papier schien von Anfang an das Schicksal aller Initiativen zu teilen, die nach einem Ausweg aus dem israelisch-palästinensischen Dilemma suchen: den einen ging es zu weit, den anderen nicht weit genug. Dabei macht der 20-Punkte Vorschlag, auf den ersten Blick, einen durchaus soliden und vernünftigen Eindruck. Die Wahlen sollen „frei, demokratisch und geheim“ sein, die gewählten Repräsentanten der Bevölkerung von „Judäa, Samaria und Gaza“ sollen drei Funktionen haben: mit Israel die „Interimslösung“ verhandeln, die eine Dauer von fünf Jahren haben soll, in dieser Zeit die „Selbstverwaltung“ der Gebiete ausüben und danach als „das zentrale palästinensische Element“ dienen, mit dem Israel die endgültige Regelung des Konflikts verhandeln wird.
Die Crux des Plans liegt in den Punkten, die nicht genannt werden. Offen bleibt die Frage, ob die Einwohner von Ostjerusalem an den Wahlen teilnehmen können, ob es eine internationale Überwachung der Wahlen geben wird und, vor allem, ob es in erster Linie ein politisches Referendum oder erweiterte Kommunalwahlen geben soll. Die Israelis sprechen, absichtlich unklar, von „regionalen Wahlen“, als ob es auch über-regional etwas zu entscheiden gäbe.
Auf all diese Fragen konnten sich die großen Vier untereinander nicht einigen, und so wurden sie einfach offengelassen, für eine spätere Verhandlungsrunde aufgeschoben. Dennoch nannte Minister Arens, der sich um das Ansehen Israels im Ausland große Sorgen macht, den Entwurf „einen großen Schritt vorwärts“ und rief die Palästinenser und die arabischen Staaten dazu auf, ihrerseits Konzessionen zu machen. In Zeitungsinterviews meinte er, es werde schwierig werden, den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern zu lösen, wenn die arabischen Staaten ihre Beziehungen mit Israel nicht normalisieren würden. Das Camp David Abkommen müsse aufs neue bekräftigt werden und man müsse auch über die Rehabilitation der Flüchtlinge in den Lagern sprechen. Damit hatte Arens weitere Faktoren in die Gesamtrechnung eingeführt, das Abhalten der Wahlen in den besetzten Gebieten indirekt vom Wahlverhalten der arabischen Staaten abhängig gemacht.
Zuckerbrot und Peitsche
Verteidigungsminister Rabin demonstrierte derweil, was er unter der Politik der Stärke versteht. Einen Tag nach der Verkündung des Wahlplans ließ er ganz Gaza absperren, ein unbegrenztes Ausgehverbot wurde über den Streifen verhängt, alle in Israel arbeitenden Gazaner wurden aufgerufen, sofort in ihre Häuser zurückzukehren. Zehntausende von Arbeitern zwischen Gaza und Tel Aviv verließen ihre Arbeitsplätze, auf den Markplätzen und den Baustellen gab es plötzlich keine Kistenschlepper und Maurer mehr. Die Palästinenser sollten, so Minister Rabin, das Recht, in Israel arbeiten zu können, nicht für selbstverständlich halten und sie sollten wissen, daß es nicht von ihnen allein abhängt, wann sie den Gaza -Streifen verlassen können und wann nicht.
Die Botschaft war klar: Israels grundsätzliche Gesprächsbereitschaft sollte nicht als Zeichen von Ermüdung mißverstanden werden. Während 600.000 Menschen in Gaza ihre Häuser nicht verlassen durften, ließ Rabin ein Dutzend prominente Palästinenser aus dem Streifen in sein Büro bringen, um ihnen den Wahlplan und dessen Implikationen persönlich zu erklären. Nach dieser erzwungenen Unterhaltung erklärte der Rechtsanwalt Faez Abu Rahme, man sei sich nicht näher gekommen, ohne die Hilfe einer dritten Partei werde es keinen Fortschritt geben.
Dabei lehnen die Palästinenser die Wahl-Idee nicht grundsätzlich ab. „Jeder hier sagt: 'Ja, aber‘, das ist eine diplomatische Formel für: 'So nicht'“, meint ein palästinensischer Journalist aus Ost-Jerusalem; ein Stufenplan wäre annehmbar, wenn von vornherein das Ziel der Verhandlungen feststünde, nämlich ein unabhängiger palästinensischer Staat, und man über den Weg dahin reden müßte. Außerdem hängt alles von der Zustimmung der PLO ab. „Noch vor fünf Jahren hätte Israel Palästinenser gefunden, die auch ohne das Okay der PLO zu verhandeln bereit gewesen wären, heute ist das ausgeschlossen.“ Israels Plan erfülle nicht einmal die Mindestforderungen der Palästinenser, er ziele nur auf „die Fortsetzung der Besatzung mit anderen Mitteln„; eine Regelung, bei der die Palästinenser nicht selber über ihre „innere Sicherheit“ entscheiden würden, die kein Wort über die Nutzung der „nationalen Ressourcen“ wie Wasser und Boden verliert und nicht sagt, was mit den jüdischen Siedlungen werden soll, sei nicht annehmbar. „Wir hätten an Stelle der Soldaten lokale Autoritäten und wären von der Selbstbestimmung genauso weit entfernt wie heute.“ Es könnte schon sein, sagt der palästinensische Journalist, daß die Autonomie besser wäre als der jetzige Status quo, „aber sie würde den Verzicht auf die Unabhängigkeit bedeuten“, und dieser Preis sei zu hoch.
Die Palästinenser erkennen an, daß der Wahlvorschlag trotz seiner Unannehmbarkeit ein wichtiges Signal setzt: „Die israelische Legitimation über das ganze Land Israel wird in Zweifel gezogen, wir sind auch noch da.“ Ihr Nein zu den israelischen Vorschlägen ist ein bedingtes. Würde Israel zum Beispiel das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung grundsätzlich anerkennen, dann ließen die Palästinenser auch über eine „Zwischenlösung“ mit sich reden. Aber dafür gibt es derzeit keine Chancen. Schamir hat zwar erklärt, in der zweiten Phase der Verhandlungen, in der über die definitive Regelung entschieden werden soll, könnte jede Seite jeden Vorschlag auf den Tisch legen, zugleich hat er aber die Möglichkeit eines palästinensischen Staates für nicht verhandelbar erklärt. Es sind also alle Optionen offen - bis auf eine, auf die es den Palästinensern ankommt. Sie nehmen Schamirs Wort für bare Münze, in seinem eigenen Lager dagegen wächst das Mißtrauen, ob er es so meint, wie er es sagt. Schon droht der Rat der Siedler in Judäa, Samaria und Gaza mit einem Aufstand, in Siedlerkreisen hält man die Gründung eines palästinensischen Staates für eine ausgemachte Sache. Und Wirtschaftsminister Jizchak Moda'i, ein Likud-Liberaler, hat Schamir aufgefordert zurückzutreten, um Neuwahlen zu ermöglichen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes hat ein Likud-Minister öffentlich den Sturz eines Likud-Ministerpräsidenten gefordert.
Würden die Palästinenser den Plan von Schamir jetzt annehmen, wäre dies das Ende der derzeitigen Regierung. Höchstwahrscheinlich wird auch diese Gelegenheit ungenutzt bleiben.
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