: Dunkle Schatten über Kambodschas Zukunft
Hockt Pol Pot wieder in den Startlöchern? / Mit amerikanischen Dollars und chinesischen Waffen haben die Roten Khmer die Jahre der vietnamesischen Besetzung überlebt / Jetzt spielen sie eine wichtige Rolle in der Widerstandskoalition, der künftigen Regierung Kambodschas / Den Khmer sitzt die Angst noch im Nacken ■ Von Larry Jagan
Kambodscha lebt noch immer im Schatten der Angst. Pol Pot, berüchtigter und charismatischer Führer der Roten Khmer, der Kambodscha bereits einmal mit Schrecken übersät hat, ist auf eine neue Herrschaft erpicht. Mit dem bevorstehenden vollständigen Abzug der vietnamesischen Truppen bereiten sich die Führer der Roten Khmer auf eine ausgedehnte Entscheidungsschlacht vor.
Für viele machte erst David Putnams Film Killing Fields den Holocaust deutlich, den das Khmer-Volk während Pol Pots vierjähriger Herrschaft, von 1975-78 erlitt. Von denen, die dieses Zeit durchgemacht haben, verlor jeder Familienangehörige; weiß jeder seine eigene ganz persönliche Tragödie zu erzählen.
Über eine Million Menschen starben durch die Hand der Roten Khmer, die eine mörderische Politik der Massenevakuierung, Aushungerung und Massenexekution betrieben.
Das Zentrum für politische Gefangene, Tuol Sleng, erinnert noch an das Ausmaß der Schrecken ihrer Politik des Jahres Null. Nach den peinlich genau aufbewahrten Dokumenten starben dort zwischen Dezember 1975 und Juni 1978 mindestens 12.000 Menschen einen langsamen Tod, buchstäblich zu Tode gefoltert.
Viele Insassen waren führende Mitglieder der Armee der Roten Khmer, darunter auch die Spitze des Widerstandes gegen Pol Pot. Sie wurden umgebracht, nachdem sie gestanden hatten, für die CIA, den KGB oder Hanoi gearbeitet zu haben, und in einem der 19 Massengräber vor Tuol Sleng vergraben.
Als die Vietnamesen Kambodscha besetzten und damit der Schreckensherrschaft im Januar 1979 ein Ende setzten, entdeckten sie die acht einzigen Überlebenden des Gefängnisses, darunter vier Kinder und ein einmonatiges Baby. Einer, Tem Chan, ein Bildhauer, erzählte seine Erfahrungen: „Eine ganze Woche lang flößten sie mir Wasser ein und malträtierten mich anschließend mit Elektroschocks. Schlußendlich gab ich alles zu, was sie nur hören wollten.“ Ein anderer Überlebender, ein Ingenieur, dessen Finger in einem Schraubstock zerquetscht wurden, verlor all seine Kinder bis auf eines. „Meine Frau, mein Sohn, meine Tochter... Alle sind nicht mehr. Fünf Kinder sind tot. Sie haben ihnen nichts zu essen gegeben.“
Vor einem Jahr sorgte ein tschechisches Filmteam bei den Dreharbeiten für Die neun Stufen zur Hölle - eine Liebesgeschichte in der Pol-Pot-Ära - für eine Massenhysterie. Als die Akteure in den schwarzen Pyjamas der Roten Khmer auftauchten, flohen die Einheimischen in alle Himmelsrichtungen, weil sie glaubten, Pol Pot sei zurückgekehrt.
Flüchtlingscamps als Operationsbasis
Doch trotz dieser Bilanz der Unmenschlichkeit gehören die Roten Khmer und Pol Pot nicht der Vergangenheit an. Nicht nur, daß sie überlebt haben und für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wurden, sie wurden rehabilitiert und sie fanden erneut internationale Anerkennung.
Wir Martin Barber, Chef des britischen Flüchtlingskommitees, der sich seinerzeit an der thailändisch-kambodschanischen Grenze aufhielt, berichtet, trafen dort im September 1979 die Überbleibsel der Armee der Roten Khmer ein. Ein völlig ermatteter Haufen von Kämpfern, die nur wenige Meter vor der Grenze auf der Flucht vor den Vietnamesischen Soldaten im Sterben lagen. Aber mit einem international koordinierten Hilfseinsatz wurden die Roten Khmer wieder zum Leben erweckt.
Seither haben die USA, China und der Westen 300.000 Khmer -Flüchtlinge in den Camps entlang der thailändisch -kambodschanischen Grenze ausgehalten. Diese Camps stellen die Basis für die Koalition für ein demokratisches Kambodscha, die Sihanouk und seine Anhänger, die rechts -nationalistische Khmer People's National Liberation Front (KPNLF) Son Sanns und die Roten Khmer vereinigt. Durch die Vermittlungen Chinas, der USA und der ASEAN-Staaten sicherte sich die Koalition 1982 vor der UNO einen internationalen diplomatischen Status als rechtmäßige Regierung von Kambodscha.
1981 ließen die ASEAN-Staaten Prinz Sihanouki und Son Sann wissen, daß sie ihren Sitz bei den Vereinten Nationen einbüßen könnten, falls sie nicht auf eine Koalition mit den Roten Khmer eingingen. Mit diesem Schritt wollten die ASEAN -Staaten die internationale Anerkennung für das von Vietnam eingesetzte Heng-Samrin-Regime blockieren.
Auch China und die USA bezogen diese Position. Beide Regierungen übten Druck auf Sihanouk aus. Er sollte einer solchen Koalition sein politisches Gewicht verleihen. Präsident Carter unterstützte die Roten Khmer noch im Verborgenen, es war die Reagan-Administration, die aktive Unterstützung gewährte. Der US-Botschafter in Peking, J. Stapelton, sprach 1981 Klartext mit Sihanouk: „Wenn Sie eine geeinte Front mit den Roten Khmer eingehen, wird es für die befreundeten Länder einfacher, ihnen Beistand zu leisten.“
Unkontrollierbares Monster
China und die USA haben auch die Armee der Roten Khmer unter thailändischer Kooperation wiederaufgebaut und sie damit zur stärksten Khmer-Armee gepeppelt. Die verdeckte US-Hilfe im Werte von jährlich 15 Millionen US-Dollar wurde seit 1982 über die ASEAN-Staaten an den Widerstand kanalisiert. Seit 1980 flossen nach dem „Congressional Research Service“ 85 Millionen US-Dollar als „government to government aid“ direkt an die Roten Khmer. Obschon vor kurzem reduziert, versorgen die Chinesen die Roten Khmer noch immer monatlich mit 500 Tonnen Waffen und Munition.
Der Einklang, in dem die ASEAN-Staaten, China und die USA den Roten Khmer ihre Unterstützung zukommen lassen, reflektiert ihren gemeinsamen antivietnamesischen Standpunkt - eine Position, die bereits lange vor der vietnamesischen Invasion in Kambodscha eingenommen wurde. Aber Chinas traditionelle Antipathie gegenüber Vietnam und Pekings Bestreben nach einer prochinesischen Regierung in Phnom Penh - unter Pol Pot hat China eine wichtige Landebahn in der Nähe der Hauptstadt errichtet - bleiben der Schlüssel zur fortgesetzten internationalen Hilfe für die Roten Khmer.
Die USA betrachteten ihren Anteil an der Unterstützung für die Koalition als Gegenleistung für die verbesserten chinesisch-amerikanischen Beziehungen. Bei der Bewaffnung der Roten Khmer ist China auf thailändische Kollaboration angewiesen. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen konnten Bedienstete der Thai-Armee beobachten, wie sie das Abladen chinesischer Militärhilfe von chinesischen Schiffen in Sattahip, einem Tief-Wasser-Hafen südöstlich von Bangkok beaufsichtigten. Die Lieferungen wurden dann an die thailändisch-kambodschanische Grenze verfrachtet und unter Kontrolle des thailändischen Militärs an die Guerillas der Roten Khmer verteilt.
Als Entschädigung für die militärische Kooperation stellten die Chinesen ihre Unterstützung für die kommunistische Thai -Guerillas ein. Dies trug wesentlich dazu bei, die Aufständigen von etwa 80.000 im Jahre 1978 auf heute wenig mehr als 300 zu reduzieren.
Zudem hat China an Thailand in den vergangenen Jahren zu erstaunlich günstigen Bedingungen beachtliche Waffenmengen verkauft - darunter Panzer, bewaffnete Truppentransporter, weittragende Artillerie und Anti-Luftwaffen-Gewehre geliefert zu Schleuderpreisen, wie ein Militärexperte in Bangkok zum Besten gab. Erst unlängst hat China Thailand mit Missile-bestückten Fregatten und Flugzeugen zu Tiefstpreisen ausgestattet.
Nun, da sich eine kambodschanische Friedenslösung abzeichnet, realisieren jene, die die Roten Khmer unterstützt haben, um Vietnam auszubluten, daß sie ein unkontrollierbares Monster geschaffen haben. Selbst China vermag den nationalistischen Roten Khmer nicht vorzuschreiben, was zu tun ist. Es gibt zunehmend Beweise, daß die Führung der Roten Khmer nach wie vor intakt ist und keine Reue zeigt. Pol Pot selbst, der 1985 offiziell in den Ruhestand getreten ist, soll unter thailändischer Protektion in einer Villa an der Küste der Provinz Trat leben. Nach jüngsten Angaben eines Abtrünnigen hat Pol Pot noch immer zentrale Befehlsgewalt und kommt regelmäßig mit seinen Kommandeuren zusammen.
Die meisten informierten Beobachter sehen Pol Pots Ruhestand „aus medizinischen Gründen“ mit Skepsis. Immerhin trat er schon einmal, im September 1976, kurz nach seinem Amtsantritt als Premier - angeblich aus medizinischen Gründen - zurück. Sollten ihn jemals Rücktrittsgedanken geplagt haben, so war auch dies nur vorübergehend und niemals auf eine offizielle Niederlegung seines Amtes angelegt.
Wie aus seinen französischen Studienunterlagen hervorgeht, wurde er am 19. Mai 1928 geboren, obschon er selbst behauptet, etliche Jahre älter zu sein. 1949 gewann er ein Stipendium für Frankreich, wo er sich einem Kreis marxistisch-leninistisch orientierter Khmer-Intellektueller anschloß. Nachdem er sein Examen verfehlt und sein Stipendium wegen seiner politischen Aktivitäten verloren hatte, kehrte er 1953 nach Kambodscha zurück.
Pol Pot zieht die Fäden
Während er in einer Privatschule unterrichtete, zog es ihn gemeinsam mit zwei Freunden aus Paris, Teng Sary, der später sein Schwager werden sollte und Son Sen, der heute für die Armee der Roten Khmer verantwortlich ist, in die radikale Politik. 1960 war Pol Pot auf Platz drei der Hierarchie der illegalen kommunistischen Partei von Kambodscha vorgerückt. Nach dem mysteriösen Verschwinden von Parteisekretär Tou Samouth übernahm Pol Pot zwei Jahre später die Führung. 1963 tauchten Pol Pot, Teng Sary und Son Sen mit ihrem Kampf in den Dschungel ab. Dort entwickelten sie eine ausgeklügelte Parteistruktur, die auf blinder Loyalität gegenüber den unmittelbar Vorgesetzten basierte.
Nach der Machtübernahme im Jahre 1975 setzte Pol Pot eine Misch-Masch-Philosophie aus Maoismus und Jean Jacques Rousseau - der Mensch wird rein geboren, aber durch die Gesellschaft korrumpiert - in die Praxis um. Besessen von „Sauberkeit und Reinheit“ behütete er das Land vor allen externen Einflüssen, abgesehen von denen durch seine chinesischen Hintermänner, und versuchte die zerstörte kambodschanische Ökonomie ohne internationalen Beistand wieder aufzubauen. „Die Abwesenheit von Lohn konstituiert selbst schon eine große Kapitalquelle“, verkündete er nach der Abschaffung von Geld und Löhnen und der Einführung der Sieben-Tage-Woche.
Chauvinistisch, paranoid und rastlos beseitigte Pol Pot seine sämtlichen Rivalen innerhalb der Partei. Die Hälfte seiner ursprünglich 18 Minister, die er 1976 ausgerufen hatte, waren innerhalb von zwei Jahren umgebracht, viele von ihnen im berüchtigten Tuol Sleng.
Es entbehrt nicht der Ironie, daß nur wenige Monate später, nach dem Einmarsch der vietnamesischen Truppen und zur Zeit der chinesischen Vergeltungsangriffe auf Vietnam, die US -Administration, insbesondere der Sicherheitsexperte Zbigniew Brzezinski, auf einer Linie mit Pol Pots Einschätzung lag und mit der Unterstützung der Roten Khmer begann.
Heute drohen sie die Schreckensherrschaft der Killing Fields nach Kambodscha zurückzubringen.
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