: Schwule fressen kleine Kinder
■ Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern der Zeitgeist, der ihn befragt
Der Fragebogen ist so fragwürdig wie viele andere auch. Repräsentativ können die Ergebnisse dieser Umfrage nicht sein: Wer kann schon sagen, wieviele Schwule in diesem Lande leben. Ein Interesse an der Befindlichkeit der Bevölkerungsgruppe schwuler Männer kann somit dem Zeitgeist -Blatt nicht unterstellt werden. Aber ein schöner Aufmacher soll es werden, schnellgeschossen, bunt und spekulativ. Mit allen Fragen, die schon immer mal an Schwule gestellt werden wollten, vor allem unter die Gürtellinie: treu oder promisk, sexualpraktisch hart oder zart, Stricher oder Freier, süchtig oder safe. Wo sonst liegt die Identität des besonderen Mannes? Dazu kommt noch ein bißchen Sozialarbeiter-Romantik und Staatsbürger-Firlefanz: Coming -out und Elternlüge, Diskriminierungs-Arie und Aids -Paranoia, Nationalstolz und Waffenlust. Die Spezies bleibt eingekesselt im plappernden Party-Geschwätz, der vorurteilsvolle Blick richtet sich auf den Ausgegrenzten, den es damit noch einmal auszugrenzen gilt. Einen Grundsatz für grundsätzlich neue Fragen gibt es nicht.
Jeder Schwule hat seine eigene Fragebogen-Biographie, die sich ständig wiederholende Erfahrung mit den Kreuzchen an den Stellen, die ihm gesetzt werden. Unterschiedliche Interessen der Fragenden waren dabei immer wieder auszumachen. Das Interesse der 'Wiener'-Mutmaßer gilt niemandem außer der Story im Effekt. Und dem sicheren Vertrauen auf den nur mühsam als liberale Haltung getarnten Voyeurismus jedweder Leser. Der erkennt seine Fährten wieder, auf denen er die Fremden verfolgen kann, bevor sie ihm zu nahe kommen.
Der Zeitgeist zeigt sich mit diesen Fragen zu dieser Zeit wieder in Hochform. Der Griff mit aufmüpfiger Geste in das altbewährte und seit jeher jedem zugängliche Vorurteilsreservoir ist nichts weiter als der bekannte Bauernfängertrick, diesmal im Off-line-Fummel. Auf jeden Fall zementiert er weiter die rechte Grenzziehung für jene schielenden Ungeheuer von der aufgeklärten Front moderner Heterosexueller.
Elmar Kraushaar
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